Thema: Abendglanz
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Alt 25.02.2010, 15:01   #3
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Neil Olssen!

Vielen Dank für deine Gedanken. Natürlich kann man es nicht jedem recht machen, bzw. jede Strophe gleich gut. Vieles ist eben abhängig von Lesart und Geschmack und des jeweiligen Erfahrungshintergrundes des Lesers.
Was für den einen wunderbar formuliert ist, erscheint dem anderen grauenvoll altbacken oder einem anderen gar allzu avantgardistisch.

Es heißt "der Sehende", ist also hauptwörtlich gebraucht in der Zeile 2 von S 3.
Der Abend gibt sich an den Sehenden heraus, soll heißen: Wer mit offenen Augen durch den Tag geht, dem offenbart er seine Wunder, seine schönsten Bilder, quasi "mit vollen Armen".

Das mit dem Meer:
Wer an einem solchen wohnt, kann diese beiden Zeilen (S1 Z 2,3) als echtes Wasser interpretieren. Möglich wäre auch ein Wolkenmeer, ein Nebelmeer, ein Schattenmeer, das Meer der sich ausbreitenden Dunkelheit,... Du siehst, da sind viele Interpretationen möglich, ohne dass ich es näher beschreiben müsste. Ich gebe dir allerdings recht in dem Punkt, dass dieses Bild gleichsam ein wenig "in der Luft hängt", also keinen direkten Bezug zum ursprünglich entworfenen Bild findet - zumindest nicht beim ersten Lesen, auf den ersten Blick. Das liegt wohl daran, wie ich schreibe: einem starken Eindruck oder Gefühl folgend lasse ich die Worte gleichsam "auskristallisieren", wie sie mir aus dem Un- oder Unterbewußten tropfen. Gleichzeitig werden sie dabei in eine verwertbware Syntax gefügt, in einen nachvollziehbaren Sinnzusammenhang. Manchmal allerdings ist ein Eindruck der Seele stärker als der Wunsch nach unmittelbarer Verständlichkeit, und dann passiert's eben, dass sich irgendwas eben NICHT so perfekt einfügt.
Dennoch widerstrebt es mir mitunter, solche Stellen zu vernichten. Dann bleiben sie und werden - wie beispielsweise hier von dir - beanstandet, und das durchaus zurecht. Trotzdem...es soll so bleiben. Irgendwas in mir fühlt sich wohler damit.

Das mit dem "zu" Perfekten hör ich öfter mal. Ich bin - von Rilke beeinflußt - ein Perfektionist in Sachen Sprache. Obwohl mir das handwerkliche Rüstzeug - all das Wissen über Gesetze und Regeln der Lyrik - fehlt, schreibe ich eben so, wie es MIR gefällt und sinnfällig erscheint.
Nicht aus Arroganz jenen gegenüber, die sich die Zeit genommen haben, all das zu erlernen, sondern, weil es bei mir eben so funktioniert und weil ich so meine Freude dran habe.
Die Schönheit und Eleganz des Deutschen stehen also bei meiner Lyrik IMMER im Vordergrund. Ist eben so.

Also, nochmal vielen Dank für deine lobenden Worte! Bis demnächst mal...

LG, eKy
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