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Alt 23.09.2017, 17:23   #6
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Faldi!

Alles ist aus irgendeiner Sicht gefärbt, alles erscheint aus dem richtigen Winkel betrachtet positiv oder negativ, wie eine nötige Angelegenheit oder eine bodenlose Frechheit.

Jede Seite der Betrachtung hat ihre eigene Färbung der Fakten, ihre eigene Legende, aus der zitiert wird wie aus einem heiligen Buch, und ihre eigenen Verschwörungstheorien.

Man könnte wirklich denken, dass Wahrheit nur etwas ist, worauf sich der kleinste gemeinsame Nenner einigt, und selbst die Geschichte ist nur das, was von denen, die sie schreiben, letztlich dazu bestimmt wird:

Warum gilt Da Vinci heute als Universalgenie, während sein Zeitgenosse - wie war nochmal sein Name - der genau so elaborierte Skizzenbücher hinterließ, heute praktisch unbekannt ist?
Weil irgendwann irgendjemand damit begonnen hat, in seinem Niedergeschriebenen Da Vinci zu favorisieren, und alle Schreiber nach ihm sind dieser Präisse gefolgt. Da Vincis Bild in der Geschichte wurde immer größer und dabei selbstgefällig zur Zierde der Menschheit stilisiert, während seine ebenso begabten Zeitgenossen immer vernachlässigter in den schweigenden Falten der Zeit verschwanden.

Wie wenig wäre nötig gewesen, und Da Vinci würde man heute nur als verachtete Nebenfigur der Renaissance kennen: einen jämmerlichen Knabenschänder, der bis auf ein paar Gemälde kaum ein Werk in seinem inkonsequenten Leben vollendet hat!

Ein anderer Blickwinkel, eine andere Geschichte, eine andere Realität.

Mit der - mit jeder - Politik ist es gernauso. Der Islamist wie der Nazi, der Buddhist wie der Kapitalist (usw.) lehren ihre Kinder, dass sie auf dem Pfad der Gerechten wandeln und nur das Beste wollen für die Welt. Entscheidend bleibt bei aller Entropie des Anspruchs letztlich nur, wem man glaubt. Ist der Islamist/Nazi/Buddhist/Kapitalist ein guter Vater, werden seine Kinder dazu neigen, ihm zu glauben und seine Lebensprämissen eher unreflektiert in Ehren halten. Sehen sie ihn als unfähigen Wüterich, gehen sie möglicherweise einen anderen Weg, und die Wahrheit des Vaters verblasst mit ihm.

Letztlich haftet allem in unserer sogenannten Realität der Ruch des Veränderlichen an, des Zweifelhaften, des Mehrdeutigen. Wir aber tun gern so, als wären Prinzipien der Wahrnehmung und die dadurch bestimmten Handlungen in Erz gegossen und nur auf eine einzig ethisch vertretbare Weise auslegungsfähig.
Dabei genügt meist doch schon ein winziger Schritt zu Seite, ein leichtes Wanken schon - und alles ändert sich, bis hin zum Kern dessen, was wir als Wahrheit begreifen.

Angesichts dessen fragt sich der philosophisch denkende Mensch, wie man sich in so einer Welt überhaupt noch Prinzipien und Wahrheitsansprüche leisten kann, ohne hoffnungslos oberflächlich und manipulierbar zu wirken!
Auch dies ist ein Grund, warum ich mich schon als junger Mann dazu entschlossen habe, das Menschenspiel nicht mitzuspielen. Vage und undefiniert zu bleiben ist die einzige Möglichkeit, nicht zu irren und unausweichlich Leid zu verursachen, wenn man sich an anderen reibt.

Wären alle Menschen davon überzeugt, nicht ständig überzeugen zu müssen oder zu sollen, sei es andere oder sich selbst, und zwar wovon auch immer, ginge es wesentlich friedlicher zu auf diesem Planeten! Und Politik ist nun mal die Lehre von der Überzeugung in Reinkultur! Ich verachte ihren so durchschaubar verlogenen Anspruch auf Macht und Wahrhaftgkeit - aber eine realisitsch umsetzbare Alternative zur Kontrolle einer Zivilisation mit vergleichbaren persönlichen Freiheiten für alle Bürger will mir eingedenk der Unreife der menschlichen Natur partout nicht einfallen ...

LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
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Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (23.09.2017 um 17:31 Uhr)
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