Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 09.04.2010, 09:01   #3
Pedro
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Benutzerbild von Pedro
 
Registriert seit: 31.10.2009
Ort: Freiburg
Beiträge: 151
Standard

Kapitel 4 und 5 stelle ich nicht ein, sonst wird die Geschichte zu lang. Es handelt sich dabei Land und Leute und einem Familientreffen.
Der Taxifahrer, Don Fabian, hat früher bei der Polizei gearbeitet. Er hat für mich einen Termin bei der Polizei in Tomé vereinbart.


6
Pünktlich um 10.00 Uhr komme ich zur Polizeistation in Tomé. Am Eingang steht ein Polizist, der mich direkt zu Major Orlando Lorenzo bringt. Wir gehen durch einen langen Gang. Verschiedene Leute sitzen da herum, Männer und Frauen. Sie machen bedrückte Gesichter.
Am Ende des Ganges ist Major Lorenzos Büro.
Er sitzt hinter einem alten Schreibtisch. Die schwarzen Haare auf seinem runden Schädel sind kurz geschoren, dunkle, sehr lebhafte braune Augen blicken mich an.
Ich erkenne ihn sofort wieder. Vor fünfundzwanzig Jahren bin ich ihm einmal begegnet.
Er bietet mir Platz in einem bequemen Sessel an.
An den Wänden hängen Bilder von chilenischen Kriegshelden, ein General auf seinem Pferd, Soldaten marschieren.

Er begrüßt mich freundlich und zuvorkommend:
„Sie sind also Deutscher, die Deutschen sind alle tüchtige Leute, da herrscht Disziplin, da geht es nicht so zu wie bei uns. Meine Frau hat deutsche Vorfahren.
Wir wollten schon immer mal nach Deutschland fahren, aber die Reise ist ziemlich teuer, da wird wohl nichts daraus.
Sagen Sie mal, fahren da wirklich alle Leute in einem Mercedes herum?“
„ Da wird viel erzählt, die meisten haben keinen Mercedes.“
„ Aber alle haben ein Auto, sogar Arbeitslose, habe ich gehört!“
„Ja, die meisten haben ein Auto.“
„ Lange Zeit war Deutschland geteilt, habe ich gehört. In einem Teil regierten Kommunisten, das hat sich aber jetzt , Gott sei Dank, geändert. Da ist es nicht wie bei uns, wo die Kommunisten sogar im Parlament sitzen! Der General Pinochet hatte mit denen aufgeräumt, aber jetzt ist es fast wie früher. Ich war damals bei den Streitkräften und habe alles getan, was möglich war, um das Land vor dem Kommunismus zu retten, aber jetzt geht es schon wieder los!“
Ja, du hast wirklich alles getan, was möglich war, denke ich, und viel Glück hast du gehabt, dass du heute vor mir sitzt!
„ Bei uns gibt es auch eine kommunistische Partei“, erkläre ich ihm, „ sie sitzt aber nicht im Parlament, erhält zu wenig Stimmen bei Wahlen.“

„Unser gemeinsamer Freund, Don Fabian hat sie sehr empfohlen, hat mir erzählt, dass sie ein Buch über diese Gegend hier schreiben und sich auch für den Fall Claudia Palma interessieren.
Um was geht es da in ihrem Buch?“
„Wissen sie, ich habe von 1980 – 1985 an der Deutschen Schule gearbeitet, war dort stellvertretender Schulleiter. Habe da auch meine Frau, eine Chilenin, kennen gelernt. Wir werden in absehbarer Zeit von Deutschland nach Chile umziehen, ich habe ein Haus in Coliumo.
Ich liebe das Land, sein Klima, seine Landschaften und die Menschen hier. Ich möchte, dass auch Menschen in Deutschland erfahren, wie angenehm es sich hier leben lässt, wie freundlich und hilfsbereit alle Chilenen sind. Ich schreibe also über das Leben der Menschen hier.“
Ich hoffe, dass ich nicht zu dick aufgetragen habe. Major Lorenzo bleibt aber weiterhin freundlich.
„Ich nehme an, dass sie in ihrem Buch dann auch die Arbeit der Polizei hier erwähnen.“
„Selbstverständlich, ich werde, wenn ich darf, sie sogar namentlich nennen, als Leiter der hiesigen Polizeistation.“
Major Lorenzo ist sichtlich erfreut, in einem Buch erwähnt zu werden.
„Protokolle über unsere Arbeit kann ich natürlich nicht an Privatpersonen weiter geben. Sie wissen ja schon, dass die Frau Palma wahrscheinlich von zwei Männern vergewaltigt wurde und sich dann das Leben genommen hat. Die Täter konnten wir leider nicht finden.
In diesen elenden Fischerdörfern ist man nicht sehr geneigt, mit der Polizei zusammen zu arbeiten. Wir mussten den Fall also als ungelöst abschließen.“
Er nimmt einen Ordner, der auf seinem Schreibtisch liegt, in die Hand, er ist ziemlich dünn, blättert ein wenig umher und sagt dann:
„Ich muss jetzt leider mal weg zu einer wichtigen Besprechung, die hatte ich ganz vergessen. Ich werde erst in zehn Minuten zurückkommen, bitte warten sie auf mich.“
Er steht auf, schiebt den Ordner wie unbeabsichtigt in meine Reichweite und geht hinaus.
Ich schaue ihm nach, etwa 1,70 Meter ist er groß, eine gedrungene Gestalt, etwas füllig. Er war mal schlanker, sein abgetragener dunkler Anzug klebt am Körper, heute trägt er keine Uniform.
Ich nehme an, dass er mir den Ordner zur Einsicht überlassen hat.
Ich öffne ihn und beginne zu lesen.
Da ist zunächst eine Zeugenaussage. Ein Mann, Jorge Silas, hat Claudia am 27. Februar 2006 in Richtung Los Morros gehen sehen. Es war etwa gegen 21.00 Uhr und dunkelte schon. Sie ging alleine.
Nachbarn haben ausgesagt, dass Claudia Palma öfter um diese Zeit zur Jungfrau Maria auf dem Hügel gegangen sei.
Am 28. Februar 2006 wurde Claudia Palma vom Fischer Roberto Sanchez gegen Mittag gefunden. Sie lag teilweise im Wasser zwischen den Felsen unterhalb des Hügels, wo die Statue der Jungfrau Maria steht.
Eine Polizeistreife traf 30 Minuten später ein, Claudia Palma wurde zur Autopsie nach Concepción gebracht.
Eine Spurensuche ergab, dass auf dem Hügel der Jungfrau ein Art Kampf statt gefunden hatte, mehrere Personen mussten daran beteiligt sein, das Gras war völlig niedergetreten, man hat Fußabdrücke von drei verschiedenen Personen gefunden.
Beiliegende Fotos bestätigen das.
Befragung der Bevölkerung ergab keine Hinweise.
Die Autopsie wurde von Dr. Sergio Sierra durchgeführt. Er stellte fest, dass Claudia Palma wahrscheinlich mehrfach vergewaltigt wurde. Blutergüsse, Hautabschürfungen, Bruch des linken Wadenbeins wurden zumindest teilweise durch den Sturz der Claudia Palma vom Felsen herbeigeführt. Die eigentliche Todesursache war ein Schädelbasisbruch. Ob und welche Verletzungen Claudia Palma vor ihrem Sturz erhalten hat oder erst danach, kann ich nicht aus dem Protokoll ersehen. Ob sie freiwillig von der Klippe gesprungen ist oder gestoßen wurde, ist ebenfalls nicht erwähnt.
D N A – Proben zur Ermittlung der Täter konnten nicht genommen werden, da Claudia Palma zu lange im Meereswasser gelegen hatte.
Der Autopsiebericht liegt nicht bei.

Ich höre Major Lorenzo im Vorzimmer seines Büros, er spricht mit seiner Sekretärin im Vorzimmer, ich legte den Ordner wieder zurück.

„Es tut mir Leid, dass ich ihnen nicht helfen konnte“, sagt er, „alles, was möglich war, habe ich für sie getan.“ Er schaut dabei zuerst auf mich, dann auf den Ordner.
„Vielen Dank für ihre freundliche Zusammenarbeit, ich werde sie in meinem Buch erwähnen. Ich wünsche ihnen eine gute Zeit.“
Ein Polizist begleitet mich wieder zum Ausgang, die Sonne knallt mir ins Gesicht. Viel weiter bin ich nicht gekommen.

Die Leute drängen sich auf den Gehwegen, da wird gehupt und geschrieen, da wartet eine ganze Gruppe auf den Bus nach Concepción. Vor einer Bank steht eine lange Schlange von Menschen. Sie holen ihre miserable Rente ab, stehen teilweise schon zwei Stunden vor der Öffnung der Bank an, um dann schneller dranzukommen. Nur ein Schalter wird für diese Leute geöffnet. Andere Bankkunden werden an anderen Schaltern sofort abgefertigt.
Und dann fällt mir ein Mann zum ersten Mal besonders auf, er scheint mich zu beobachten. Ich habe ihn schon gesehen, als ich in die Polizeistation ging. Er ist etwa dreißig Jahre alt, schwarze Locken hat er, die aus einer Kappe herausschauen, abgetragene Cordhosen trägt er, die ihm viel zu groß ist und an seinem mageren Körper herunterhängt, dazu ein rotes Hemd. Wegen seines Aussehens und seiner Kleidung glaube ich, dass das ein Mann aus irgendeinem Elendsviertel ist.
Pedro ist offline   Mit Zitat antworten