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Alt 06.06.2011, 22:49   #13
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Hi Stimme,

ich gehe jetzt erst mal auf deinen Beitrag #10 eiin, auch wenn Dana und du schon weiter seid.

Zitat:
Also, ich stelle gleich am Anfang mal fest: Ich glaube nicht daran, dass das menschliche "Ich" nur illusorisch ist.
Ich denke wir sind uns da im Grunde einig...

Zitat:
Das nur, damit es betreffs des Folgenden keine Missverständnisse gibt, denn ich spiele zuerst den "Advocatus Diaboli".
...weshalb ich auch das Teufelchen einmal widerlegen möchte:

Das fiktive Szenario kann als Erklärung für die Entwicklung des Intellekts und des Ich-Bewusstseins, wie wir es kennen, nicht genügen, denn ich halte dagegen, daß der Affe heute noch immer genau so, wie dargestellt, verfährt und sich beim Sprung auf den nächsten Baum auch die Knochen nicht bricht.
Dasselbe gilt sogar für ein Eichhörnchen. Auch das muss einschätzen, wie weit seine Kraft für einen Sprung reicht und ob das zu erreichende Geäst oder Gezweige sein Gewicht trägt.
Und wenn ich diese possierlichen Tierchen beobachte, dann sehe ich genau, daß die das sehr wohl können.

Zitat:
Eine Eigenschaft des menschlichen Bewusstseins, die dafür sorgt, ist die Fähigkeit des analytischen Denkens und der Abstraktion. Wenn ich das tue, dann kann das passieren, dann wird das passieren (er stellt sich die Szenarien vor und "spielt" sie geistig durch), und so kann unser Vormensch entscheiden, ob er springt, also die Chance auf Nahrung das Eingehen eines Risikos lohnt, und ob das Risiko "tragbar" ist. Ein "Ich" kann sämtliche Varianten "vorwärts und rückwärts" durchdenken - ohne den Sprung tatsächlich auszuführen, also nur in der Imagination. Worin liegt der ganz besondere Vorteil? Dadurch wird die Gefahr minimiert, es beginnen nicht Instinkt und Bedürfnis allein zu walten, sondern hier kommt der "Verstand" hinzu.
Hier muss ich leider sagen, daß diese Aussage des "Advocati Diaboli" schlicht falsch ist.
Nicht in der Hinführung aber doch im Ergebnis, denn nicht der Verstand kommt hinzu, sondern die Vernunft. Und das ist ein riesengroßer Unterschied.
Warum?
Schopenhauer definierte den Verstand so:

„Das subjektive Korrelat der Materie oder der Kausalität, denn beide sind eines, ist der Verstand, und er ist nichts außerdem. Kausalität erkennen ist seine einzige Funktion, seine alleinige Kraft.“

Und auch Kant definierte den Verstand als das an Sinneseindrücke gebundene, aposteriorisch arbeitende Erkenntnisvermögen, wohingegen er der Vernunft die Bedeutung als dem gegenüber dem Verstand höheren Erkenntnisprinzip zuspricht, also genau das, was im o.a. Zitat beschrieben steht.

Verstand also muss jedes Lebewesen seinen Fähigkeiten nach mehr oder weniger schon besitzen, sonst könnte es nicht in seiner Umwelt existieren.
Es muss sehen, es muss abschätzen und schließlich ein Urteil fällen, wo immer dieses auch herkommen mag, jedoch nicht als Entscheidung aus abstrakten Gedankengängen heraus, was vornehmlich dem Menschen mit seinem außerordentlichen Denkorgan zukommt.

Zitat:
Die Wahrscheinlichkeit des Überlebens steigt explizit an. Deshalb hat sich die Spezies Mensch durchgesetzt. Denn Tatsache ist: Kunst ist Abstraktion, Sprache ist Abstraktion, und die Schrift ist eine Abstraktion. Wir nehmen Symbole (Buchstaben, Schriftzeichen, Zahlen) und nutzen diese als "Stellvertreter" für die Dinge. Z.B. "B A U M" - ein Symbol B, ein Symbol A, ein Symbol U, ein Symbol M und das "Wort-Symbol" BAUM. Wir lernen, diese Symbole zu deuten und zu kombinieren, das erhöht unsere Fähigkeit zur Kommunikation (dem Austausch von relevanten Informationen) ganz enorm! Als aus dem Vormensch ein "Mensch" wurde, konnte dieser seiner Sippe mitteilen: "Der Ast hält. Kommt mit, ich habe einen Obstbaum voller Früchte gefunden!" So steigen nicht nur die eigenen Überlebensschancen, sondern die seiner Familie/Gruppe ebenso und dadurch auch die der ganzen Spezies. (Hier nur zur Verdeutlichung, denn das nahm seinen Anfang durch den "Auftritt" des "Ich-Bewusstseins")

Jeder, der den Bedeutungsinhalt der Symbole erlernt hat, kann geistig erkennen, aha, hier geht es um einen Baum - das Gehirn "dechiffriert" und setzt die Symbole wieder in Bilder (Töne, Gefühle) um, denn wir denken "bildhaft". So funktioniert auch die gesprochene Sprache mittels einer "Lautsymbolik" und auch die "Klopfsprache" für Menschen, die blind und taub sind mittels einer "Berührungssymbolik". Auch die Fähigkeit, in "Oberbegriffen" zu denken, ist eine Abstraktion. Wir können sagen: Das ist eine Fichte, das ist eine Buche, das ist eine Eiche - und wir können sagen, das sind alles Bäume. In diesem Sinne ist die Sprache eindeutig eine Form von Kunst - und die Schrift ebenfalls. Willkommen im Reich der Abstraktion und der Symbolik - einem Gedichteforum!
Nun, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit des Überlebens für ein Lebewesen in einer feindlichen Umwelt, daß weder scharfe Klauen oder Zähne, noch starke Hände hat und zudem fast allen Vierbeinern aufgrund seines aufrechten Ganges auf zwei Beinen beim Laufen unterlegen ist und zudem noch nicht mal so gut riechen oder hören kann, um eine Gefahr frühzeitig zu erkennen?
Unterlegene körperlichen Waffen, "schlechte" Sinnesorgane und keine Fluchtmöglichkeiten bieten keine guten Überlebenschancen, wenn das nicht irgendwie ausgeglichen wird.
Also bleibt nur die Kommunikation (u.a. Warnungen) und die Fähigkeit, mit List (Waffen benutzen und schaffen) zu überleben.
Dabei ist Sprache ein notwendiges Mittel (das Schreiben kam erst viel, viel später dazu).

Aber wie kam es dazu?

Der "Advocatus Diaboli" spricht hierbei immer wieder von einem Vormenschen.
Wer oder was war denn nun genau dieser Vormensch?
Die heutige Wissenschaft geht davon aus, daß der Mensch und die Primaten einen gemeinsamen Vorfahren hatte, dessen eine Richtung sich so und die andere so entwickelte.

Der aufrechte Gang entlastete die Hand, was deren Entwicklung ermöglichte und Werkzeuggebrauch wurde möglich. Dazu ist eine präzise Führung der Hand Voraussetzung, was erst sensible Handflächen ermöglichen. Primatenhände besitzen empfindliche Tastballen.

Auch der stark ausgebildete, in mehrere Richtungen drehbare Daumen, der jedem Finger gegenübergestellt werden kann ist für differenziertes Zupacken besser, als der kürzere Daumen der Affen, dessen, soweit ich weiß, mittleres Gelenk sogar fast steif ist und damit der Affenhand nur einen einfachen Pinzettengriff erlaubt.
Das Präzisionswerkzeug Hand in Verbindung mit dem um seine Längsachse drehbaren Arm wurde zu einem Greif-,Erkundungs- und Manipulationsinstrument, und damit zur Grundlage jeder kulturellen Betätigung.
Womit wir bei den körperlichen Voraussetzungen für die geistige Entwicklung angelangt wären.

Die Sprache war da nur noch der nächste notwendige Schritt.
Die ersten Worte hatten noch einen symbolischen und bildhaften Charakter, jedoch je differenzierter die Sprache wurde, desto abstrakter wurden auch deren Begriffe, die sich nämlich zum großen Teil gar nicht mehr bildhaft vorstellen lassen.

Das beste Beispiel sind Zahlen. Eine Menge bis zehn oder zwanzig kann man sich durchaus noch vorstellen, danach wird es schon schwierig.
Man lege jemandem mal 37 Kaffeebohnen vor und derjenige soll auf Anhieb sagen, wieviele das sind. Er wird scheitern, denn er muss zuerst zählen, ihm bleibt sonst nur ein Schätzen.
Unser bewusstes Denken läuft also keinesfalls bildhaft ab, sondern höchsten durch Bilder unterstützt.

Der Rest der Ausführungen des o. a. Zitats ist in Ordnung.

Jetzt wollen wir uns noch einmal das Engelchen anschauen:

Zitat:
Jetzt kommt meine Rolle als "Advocatus Angeli", denn die Behauptung vom "Illusionären Ich" hat einen gewaltigen "Haken". Weshalb sollte eine Illusion einen echten Überlebensvorteil bieten und ein tatsächliches Ich nicht? Diese Behauptung erschließt sich mir nicht. Denn das wäre ja, als ob ich mir ein Butterbrot vorstelle (also die "Illusion eines Butterbrotes") und illusorisch hineinbeiße, um mir dann vorzustellen, ich hätte gegessen und wäre satt. Mein Tischnachbar dagegen mampft fröhlich ein Echtes. Wer würde da wohl auf die Dauer verhungern? Das führt den angeblichen "Vorteil" der Illusion gegenüber dem Realen ad absurdum. Eine Illusion soll also besser für das Überleben sein als die wirkliche Existenz - na, Mahlzeit!
Diese Aussage ist nicht logisch.
Wenn ich nur eine Illusion bin, dann verhält es sich mit allen anderen Dingen ebenso. Also würde mein Nachbar auch nur in die Illusion eines Brotes beißen und könnte damit sehr wohl überleben.

Der größte Widerspruch in der These vom "Illusionären Ich" findet sich darin:

Zitat:
Die Fähigkeit, uns "Illusionen zu machen" ermöglicht dem realen Sein, zu überleben, eine "Begabung", die wir Fantasie nennen ...

Und, Faldi, da hast du absolut recht: Die Bedeutung des Begriffs der Illusion bedingt, dass etwas Reales da sein muss, das sich eine illusionäre Vorstellung macht. Damit eine "Ich-Illusion" existieren kann, muss irgendetwas sich diese Illusion vorstellen. Eine Illusion kann sich keine Illusionen machen! Quod erat demonstrandum.
Und darin stimmen wir völlig überein...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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