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Alt 24.12.2015, 18:23   #2
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Charis!

Schöne Bilder, aber der Sinn erschließt sich mir nicht so recht. Wofür steht der fliegende Berg? Ist dieser mit dem "König" identisch? Warum? Welche Majestät soll das sein? Warum fliegt er - und wie?

Der Berg, er fliegt, kehrt immer wieder,
begleitet von den Nebelahnen.
Wo nur noch Lüfte Wege bahnen,
lässt sich der König strahlend nieder.


Die erste Strophe legt das Metrum fest: Unbetonter Auftakt, 4 Heber pro Zeile, weibliche Kadenzen.

In diesen Weiten, Blauverspielten,

Das geht so leider nicht. Du kannst sagen: "In diesen blauverspielten Weiten" oder aber: "In diesen Weiten, diesen (oder: den) blauverspielten,", was dann aber metrisch nicht mehr passt. Als Hauptwort gibt dieses Wort hier keinen Sinn, nur in direktem Bezug auf "Weiten" ergibt sich ein Sinnzusammenhang. "Blauverspielte" als Nomen - was soll das bedeuten? Ein anderes Wort für Weiten? Wolken? Winde? Ohne erklärenden Sinnzusammenhang ergibt sich kein Bild.
Altern: "In Weiten, diesen blauverspielten,".

die immer seine Anker hielten,
da schmiedet er bizarre Schilde,
wenn Nord- und Südwind ringen,


Diese Zeile hat nur drei Heber. Altern.: "wenn Nord- und Südwind eisig ringen,".

in Gletscherspalten schaurig singen.

Die Sonne blendet mich in Eiskristallen,


Diese Zeile hat wiederum 5 Heber - einen zuviel. Altern.: "Die Sonne spielt in Eiskristallen,".

ritzt meinen Namen in den Schnee.
Auf meine Netzhaut brennt sie Bilder:
Smaragdgrün leuchtend träumt die See.


"Smaragden" wäre hier satzmelodisch vorteilhafter.

Ich spüre trügerisch die Hitze wallen.

Wieder 5 Heber! Altern.: "So trügerisch mein Hitzewallen.".

In seiner Macht hat er mich auserkoren,

Wieder 5 Heber. Altern.: "Sein Wille hat mich auserkoren,".

mit ihm zu fliegen in Perseidenreichen.

Wieder 5 Heber + Hebungsprall "in Per...". Altern.: "mit ihm in Perseidenreichen".

Mit Feuerpinseln malt er letzte Zeichen -

5 Heber. Altern.. "zu fliegen unter Feuerzeichen -".

in Finsternis werd ich, sein Prinz, geboren.

5 Heber. Altern.: "als dunkler Prinz darein (oder: erneut) geboren.".


Wenn du schon mitten im Gedicht das Metrum wechselst, wie also in disem Falle von vierhebigen auf fünfhebige Zeilen, dann sollte es konsequent geschehen, mit einer erkennbaren Zäsur wie zB einer zusätzlichen Leerzeile oder einer Linie.

Hier aber geschieht der Wechsel auf Raten: 4444 - 44444 - 54445 - 5555

Das bricht den Leserhythmus und lässt den Leser zwangsläufig rhythmisch stolpern. Zudem halte ich so gar nichts von derlei Wechsel mitten im Gedicht, es sei denn, der Inhalt würde es (fast) zwingend erfordern - was hier nicht der Fall ist.

Und warum haben die erste und letzte Strophe eine Zeile weniger als die anderen? Eine zusätzliche Mittelzeile wäre leicht gefunden, da hierfür nach dem gewählten Schema (AACBB(S2) oder ABCBA(alle anderen)) nicht einmal ein Reim erforderlich ist, und das Bild wäre harmonisch und ausgewogen.

Die durchgehend vierhebige Version mit angeglichener Strophenstruktur:

Der Berg, er fliegt, kehrt immer wieder,
begleitet von den Nebelahnen.
In unerreichten Hochgefilden,
wo nur noch Lüfte Wege bahnen,
lässt sich der König strahlend nieder.

In diesen Weiten, Blauverspielten,
die immer seine Anker hielten,
da schmiedet er bizarre Schilde,
wenn Nord- und Südwind ringen,
in Gletscherspalten schaurig singen.

Die Sonne spielt in Eiskristallen,
ritzt meinen Namen in den Schnee.
Auf meine Netzhaut brennt sie Bilder:
Smaragden leuchtend träumt die See.
So trügerisch mein Hitzewallen.

Sein Wille hat mich auserkoren,
mit ihm in Perseidenreichen,
ein Auserwählter unter Sternen,
zu fliegen unter Feuerzeichen -
als dunkler Prinz darein geboren.


Gern gelesen, ersuche aber um eine Deutung!

LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (24.12.2015 um 18:35 Uhr)
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