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Alt 25.05.2016, 15:55   #1
Friedhelm Götz
Schüttelgreis
 
Registriert seit: 02.11.2011
Beiträge: 954
Standard Sonettisten ins Stammbuch – Sonett, geschüttelt und gespiegelt

Was in Sonetten Dichter schlau erdachten,
das führt der tristen Wörterlatte wegen,
selbst wenn sie die verschämt in Watte legen,
oft in Tenzonen nur zu Dauerschlachten.

Mir ist schon klar, die Kerls ersinnen Späße!
Wie zäh sie doch beim Worteleimen raufen,
dass Verse nicht so drög in Reimen laufen.
Ach, wenn der Witz nur, den sie spinnen, säße!

Einst wird auch mich der ewge Schlummer decken,
drum will ich mich hier nun als Schlemmer ducken,
ein gutes Fläschchen noch zum Dämmer schlucken
und mich an Schüttelreimen dummer schlecken.

Ich will die letzten Jährchen schlau genießen
und vor Sonetten meine Augen schließen.

Der Sonettist entgegnet:

Was wäre denn, wenn du die Augen schlössest,
die Freiheit von Sonetten schlau genössest?

Wenn Vierzehnzeiler deinen Schlummer hemmen.
Dann mal doch, Schüttler, Berge, Almen. Pinsel
ein Bild von einer schönen Palmeninsel,
wie zwei bei feinem Wein und Hummer schlemmen.

Du darfst ja Schüttellust gar viel verspüren,
doch muss ich fürs Sonett die Form verneinen.
Wie wolltest du die strenge Norm verfeinen
und mich zu deinem Schüttelspiel verführen?

Wohl wahr, geschüttelt sind leicht vierzehn Zeilen,
doch sind es noch zum edlen Fachwerk Meilen.
Du musst noch tüchtig an dem Machwerk feilen.
Ich reiche dir zur Schüttelzier zehn Feilen.

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Das Eingangssonett entstand als (unveröffentlichter) Beitrag zu einem Dichterstreit in Form von Streitsonetten zwischen dem Dichter Lothar Klünner und dem Sonettisten Klaus M. Rarisch. Ausgangspunkt war die Ankündigung einer Reihe von Abendveranstaltungen durch den Berliner Dichter Herbert Laschet, bei denen Sonette gelesen werden sollten. Lothar Klünner hielt, Sonette zu lesen, für anachronistisch und teilte dies Laschet mit, ironischerweise in einem Sonett. Der schickte das Werk an Klaus M. Rarisch, einem ausgewiesenen Experten dieser poetischen Gattung. Der revanchierte sich postwendend mit einem Sonett, auf das dann wieder Klünner resonettierte. So kam eine Tenzone, ein Wettstreit in Streitsonetten, zustande, dem sich dann auch noch andere Dichter pro und kontra anschlossen. Soweit die Vorgeschichte.

Das Eingangssonett greift die Klünnersche Position auf, der das Kapitel Sonett längst für abgeschlossen ansieht und die Penetranz der Sonettisten geißelt, die nichts anderes tun, als in vierzehn Zeilen ihre Weltanschauung in die Welt zu schießen. So kommt denn auch in meinem Sonett der Kritikus zu dem Schluss:

Ich will die letzten Jährchen schlau genießen
und vor Sonetten meine Augen schließen.

Dieser Position kann der Sonettist natürlich nur widersprechen. Und er tut es, indem er den Wortwitz des Antisonettisten aufgreift und schüttelreimend die Gegenposition aufbaut, wozu auch die Feststellung gehört, dass der Schüttelreim für die Gedichtform Sonett als unpassend abzulehnen ist, eine Sehweise, die für mich abwegig ist. Ob es gelungen ist, mit beiden Schüttel-Sonetten dem Vorurteil überzeugend zu begegnen, sei dem Urteil der Leser überlassen.
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Reime zu schütteln, gilt vielen als Nonsens von Spaßern, nichts Rechtes!
Aber die Spaßer mit Ernst suchen im Unsinn den Sinn!
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