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Alt 14.02.2009, 20:20   #2
Klatschmohn
MohnArt
 
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Veilchendienstag

Der nächste Morgen begann wieder kühl und feucht. Der Nebel hing zwischen den Baumwipfeln. Tau lag auf den vertrockneten nackten Resten der Brennnesselbüsche auf der gegenüberliegenden Wiese, als Hilde hinausblickte.
Heute ist der Faschingszug in Hillscheid, dachte sie. Wenn der Nebel sich senkt, kommt sicherlich die Sonne durch. Sie werden hoffentlich Glück mit dem Wetter haben.
Sie band Mocke das Halsband um und deckte den Frühstückstisch, während ihr Mann den Kaffee aufsetzte. Nach dem Frühstück trödelte sie ein bisschen herum und blätterte eine Weile in der Zeitung. Schließlich ergriff sie einen bereit liegenden Bleistift, wühlte im Federmäppchen nach dem Radiergummi und machte sich über das tägliche Sudoku Rätsel der Rheinzeitung her und war nicht mehr anzusprechen.
Eine Viertelstunde später legte sie mit einem Ausdruck des Triumphes den Bleistift beiseite, goss sich noch eine Tasse Kaffee ein und wendetet sich Mocke zu, der schwanzwedelnd sein Frühstück verlangte. Da Mocke zu wenig trank, gab sie ihm morgens ein Wasser-Milch Gemisch mit darin eingeweichtem Brot. Er stürzte sich über sein Frühstück her und schlabberte es mit konzentriertem Eifer auf.
Sein Frauchen hatte sich schon in Stiefel und Jacke gezwängt, nahm die Leine vom Haken, dann öffnete sie die Haustüre. Mocke stürzte hinaus, bleib aber, wie es von ihm erwartet wurde, am Straßenrand stehen.
Gemeinsam gingen sie über die Straße, als gerade Marie Gebhardt mit Hayo aus der Haustüre trat. Die beiden Frauen und die Hunde begrüßten sich und machten sich gemeinsam auf den morgendlichen Spazierweg. Natürlich war das Thema Nelly wieder präsent. Hilde Braun berichtete ihrer Nachbarin von den Vorkommnissen am letzten Abend, dem flegelhaften Benehmen des Bärtigen und dem Hundhalsband im Lexus.
Sie überquerten eine kleine Brücke, die über die alte Bahntrasse führte. Dort unten sollte ursprünglich die Umgehungsstraße verlaufen. Deshalb hatten Brauns auch nicht darauf verzichtet ihr Haus hier zu bauen. Die Umgehungsstraße hätte dort wohl kaum gestört. Jetzt aber sollte der Straßenverlauf oberhalb der Bahntrasse liegen. Hilde Braun dachte mit Wehmut daran, dass die herrliche Ruhe des bis dato ruhigen Ortsteiles bald der Vergangenheit angehören sollte.
Die beiden Frauen und ihre Hunde gingen am Fußballplatz vorbei, überquerten die Straße, die kurz darauf im Wald endetet und betraten einen kleinen Waldweg, von dem scharf links ein schmaler Pfad abging. Von dort aus ging es hinunter zu einem kleinen Waldsee, der "Schwarzes Meer" genannt wurde. Der Name entstand durch die ausgeprägte Vorliebe der Einheimischen, allem und jedem einen originellen, meist treffenden Namen zu geben. Das "Schwarze Meer" hieß schwarz, weil diese ehemalige Schwimmanlage vor fast fünfzig Jahren von katholischen Jugendlichen gebaut worden war.
Es war einigen engagierten Bürgern zu verdanken, dass dieses herrliche Fleckchen Erde so gepflegt aussah. Gut ausgebaute Stufen führten hinunter zum See, der wieder ordentlich befestigt war und mit den aufgestellten Bänken zum Verweilen einlud.
Sie gingen aber am See vorbei, überquerten den kleinen Bach, der den See speiste, nahmen eine Anhöhe und wendeten sich nach rechts in Richtung der Weggabelung. Dort stand eine offene Hütte, die dem Wanderer bei schlechtem Wetter Schutz bot.
Kurz vor einer scharfen Biegung des Weges lichtete sich der Wald. Im gleichen Augenblick kam die Sonne heraus und schickte ihre Strahlen auf die kleine Gruppe. "Die Sonne, ich habe es doch gewusst", jubelte Hilde Braun. Gleich wurde es deutlich wärmer und die beiden Frauen knöpften ihre Jacken auf. Sie gingen auf die Holzbank zu, die vor ihnen stand und setzten sich, um ihre Gesichter von der Sonne bescheinen zu lassen. "Schön die Gegend hier", seufzte Marie Gebhardt.


Beide saßen eine Weile schweigend da, als sie plötzlich Stimmen vernahmen und zwei kleine warm verpackte Hunde wild um die Ecke rannten. Sie sprangen um die beiden anderen Hunde herum, die brav neben ihren Frauchen gesessen hatten und nun natürlich aufgesprungen waren.
Ein Paar trat um die Ecke, die Frau war Anfang 60, der Mann wohl Ende 60. Die Hunde beschnüffelten sich und schlossen Bekanntschaft. Mocke sprang wie üblich hoch in die Luft und forderte damit zu Spielen auf. Die Vierbeiner tobten bald umeinander, so dass die vier Menschen ihre Freude daran hatten.
"Die Hunde sehen aus, wie der Hund, den ich neulich im Wald gefunden habe. Es könnten Geschwister sein. Vermissen Sie etwa einen?" fragte Marie Gebhardt das Paar. Die beiden blickten sich an. "Nicht direkt", begann die Frau zögerlich. "Normalerweise wären wir hier mit drei Hunden und einer Freundin. Wir treffen uns ab und zu." Wir haben uns kennen gelernt, weil wir Hunde aus dem gleichen Wurf haben, von einer Tierschutzorganisation. Die Mutter kam mit den Kleinen aus Spanien. Es waren vier Welpen, einer ist gestorben. Da haben wir unsere Freundin kennen gelernt, die arbeitet da ab und zu bei dem Tierschutzverein mit. Wir haben uns gedacht, es wäre nett, wenn sich die drei Geschwister manchmal wieder sehen. Außerdem waren wir uns sehr sympathisch. Ein paar Male haben wir uns schon getroffen. Zwei Mal in der Eifel, ein Mal im Hunsrück und im Rheintal. Jetzt im Westerwald und wir fühlen uns hier wohl, die Leute sind sehr freundlich, da werden wir sicher noch öfter kommen. Höhr-Grenzhausen liegt ja außerdem sehr günstig von der Autobahnanbindung her und ziemlich in der Mitte, sodass keiner sehr weit fahren muss. Wir kommen aus Kaiserslautern, unsere Freundin aus Düsseldorf. Außerdem sind wir gerne in einer schönen Landschaft, hier kann man wunderbar spazieren gehen und sich im Wellnesshotel auch wunderbar verwöhnen lassen. Ab einem gewissen Alter kann man das brauchen.
"Wissen Sie was ihre Freundin für ein Auto hat?" mischte sich Hilde Braun ein. "Etwa einen Lexus Sportwagen?" "Ich weiß nicht, Frau von Limpisch hatte wohl vor, sich irgendwann ein neues Auto zu kaufen. Sie ist für ihr Alter ganz schön autoverrückt. Aber ich weiß nicht, ob sie das gemacht hat. Vielleicht wollte sie uns überraschen. Sie hat schon einen besonderen Geschmack. Ein Lexus wäre ihr schon zuzutrauen. Aber sie ist ja nicht gekommen, wir haben auch schon bei ihr angerufen und sie hat sich nicht gemeldet. Ob ihr was zugestoßen ist?" "Hoffentlich nicht, aber vielleicht wäre es gut, wenn Sie sich die kleine Nelly einmal anschauen, dann können sie ja sehen, ob es der Hund von der Frau–" "Frau von Limpisch" half die Frau weiter. "Ja, können wir machen, heute Nachmittag. Da holen Sie beide uns doch ab? Wir wohnen im Hotel oben am Waldrand. So gegen vier, das wäre in Ordnung. Wir haben vorher noch eine Anwendung."
Das Paar verabschiedetet sich von den beiden Frauen, die nun das bedrückende Gefühl hatten, einem Geheimnis näher gekommen zu sein. Einem Geheimnis, das nichts Gutes zu verheißen schien. "Wir sollten zur Polizei gehen", meint Marie Gebhardt nach einer Weile des Schweigens. "Da machen wir uns am Ende nur lächerlich", widersprach Hilde Braun," warten wir ab, ob die den Hund wiedererkennen. Dann können wir ja immer noch gehen." Beide Frauen schwiegen, jede hing ihren eigenen Gedanken nach.

Mocke blickte sein Frauchen fragend an. Er war es nicht gewohnt, nicht beachtet zu werden. Frauchen war mit ihren Gedanken offensichtlich ganz woanders. Er machte sich ein wenig in die Büsche und schien ihre Unaufmerksamkeit ausnützen zu wollen, als ein scharfes Kommando ihn wieder zu Ordnung rief.

Pünktlich um vier standen die beiden Frauen vor dem Eingang des Kurhotels und warteten auf das Paar, das fünf Minuten später mit den beiden Maltesern aus der Hoteltüre trat.
Eine spürbare Spannung lag in der Luft und man machte sich gemeinsam auf den Weg zu Frau Reichel. Es war nicht weit. Wenige Minuten später klingelte Hilde Braun an der Türe der Tierschützerin. Als diese öffnete schoss der kleine Hund auf das Hundpärchen zu und stimmte ein wahres Freudengeheule an. "Ja das ist Trixi, der Hund von Frau von Limpisch." Beide nickten. "Wir sind uns ganz sicher und die Hunde auch. – Aber wo ist Frau von Limpisch?" Alle drei Frauen dachten an den Vorfall gestern am verlassenen Haus. "Wir gehen zur Polizei", versicherten die beiden Frauen dem vollkommen aufgelösten Paar, ohne sie, wie durch eine Abmachung, weiter in Sorgen zu stürzen und von den merkwürdigen Vorkommnissen am Haus zu berichten.
Der Mann hatte seine Arme schützend um seine Frau gelegt, die ein wenig zu wanken schien und kreidebleich war. "Ich bringe Dich nach Hause, Liebes. Leg Dich ein bisschen hin. Es wird sich sicher alles aufklären." Die Frau nickte und ließ sich, auf ihren Mann gestützt, zum Hotel bringen.
Die Frauen sahen sich wortlos an.
"Wir machen noch einen Versuch!" Wer den Vorschlag gemacht hatte, wusste später keine von den Dreien mehr. Frau Reichel nahm Nelly an die Leine und sie machten sich auf den Weg zu dem leerstehenden Haus. Wieder fing Nelly an zu jammern und zu winseln. Aber nicht mehr so deutlich wie beim ersten Mal, da Frau Reichel sie auf den Arm genommen hatte und beruhigend auf sie einredete. Die Sachlage schien eindeutig, Nellys Frauchen war da irgendwo auf dem Grundstück, wahrscheinlich im Haus. Vielleicht wurde sie dort festgehalten. Von wem und warum? Sie war vermögend, das war Grund genug. Aber wer hielt sie da fest und wer hatte die Möglichkeit davon zu profitieren? Bei einer Erpressung wäre die Polizei doch schon sicher auf den Plan getreten. Ob sie tot war? Wer würde dann erben? Und so einfach war das mit dem Erben ja auch nicht, dazu musste jemand auch offiziell tot sein. Aber Frau von Limpisch war nur verschwunden. Einfach nur verschwunden. Das Auto auf dem Parkplatz, der Hund im Wald ohne Halsband, das Halsband mit Leine im Auto. Möglich, dass Nelly mit dem Köpfchen aus dem Halsband entwischt war als, - ja, als -! Was war passiert?


Keine halbe Stunde später waren beide Frauen auf dem Polizeirevier. Das Herz klopfte ihnen bis zum Hals.
"Sie wünschen", schnarrte eine Stimme aus der Sprechanlage. "Wir wollen etwas melden." Hildes Stimme versagte beinahe den Dienst, "Ein Verbrechen, vermutlich!" Der Türsummer brummte, Marie drückte die Türe auf und sie standen im dunklen Flur des Reviers. Eine dicke Glasscheibe sicherte die Polizisten hinter dem Schreibtisch ab.
"Was gibt´s" klang Wachmeister Klausens Stimme durch die Sprechanlage.
"Wir glauben, dass jemand entführt wurde!" "Wer?" "Eine Dame aus Düsseldorf. Sie heißt Frau von Limpisch, ihr Hund wurde kürzlich von mir im Wald gefunden, der kleine Malteser." "Woher wissen Sie, dass er der Dame gehört?" "Zufall, wir haben Leute getroffen, die die gleichen Hunde haben und mit ihr verabredet waren. Das Auto der Dame steht wahrscheinlich auf dem Firmenparkplatz neben dem Hotel. Die beiden Polizisten hinter der Glasscheibe blickten sich an.
"Kommen Sie beide mal mit!" Ein weiterer Summer ertönte und beide Frauen traten durch die teilweise verglaste weiße Holztüre, an der die Farbe an der Türe schon ganz abgegriffen war. Wachmeister Klausen führte die beiden in ein Zimmer mit zwei unbequemen Holzstühlen und deutete ihnen sich zu setzen. Er ging hinter den grünen Schreibtisch und fragte: "Namen?" Die beiden sagten ihre Namen sowie die Adressen und fingen an über die seltsamen Vorkommnisse zu berichten. Herr Klausen nahm sich Zeit und nahm alles sorgfältig zu Protokoll. "Wir werden uns darum kümmern", sagte er und verabschiedete die beiden Frauen, die sich jetzt noch elender als vorher fühlten. "Wir haben doch alles richtig gemacht?" sprachen sie sich Mut zu, als sie im Auto saßen und viel zu aufgeregt waren, um den Zündschlüssel herum zu drehen und zu starten. "Ja, haben wir, es musste sein, wer weiß was passiert ist."

Der kleine Raum war nur unzureichend beleuchtet. Der Heizstrahler, der an der Propangasflasche hing, wärmte den kleinen Raum aber so, dass sie nicht frieren musste. Frau von Limpisch hatte sich trotzdem in ihren großen schwarzen Kaschmirschal gehüllt und betrachtete eingehend das eingewebte Blumenmuster. Sie hatte gestern gehofft, dass sie bald aus ihrer misslichen Lage befreit würde, als sie Trixi bellen hörte.
Dem Hund war offensichtlich nichts passiert. Sie hatte auch die Stimmen gehört. Ob diese Leute da draußen begriffen was hier vor sich ging? Aber eigentlich hatte sie wenig Hoffnung. Die meisten Leute hatten nicht genug Einfühlungsvermögen für Tiere.
So hatte sie wieder eine Nacht auf der am Boden liegenden Matratze verbracht und versucht ihren Optimismus beizubehalten. Irgendwann war sie dann auch eingeschlafen.
Die Leute, die sie am Samstagabend, als sie angereiste, aus dem Auto und dann durch das Loch im Zaun in die Gartenhütte gezerrt hatten, schienen ihr nicht nach dem Leben zu trachten. Das beruhigte sie ein wenig.
Die etwa vierzigjährige Frau mit den weißblonden halblangen, zu einer Bobfrisur geschnittenen Haaren, von denen sie stark vermutete, dass es einen Perücke war, saß wie immer an der Türe und schien sie zu beobachten. Die durchtrainierte Gestalt ihrer Bewacherin ließ nicht zu, dass sie sich gegen sie gewehrt hätte. Sie war ja nun an die 70Jahre und hätte weder genügend Beweglichkeit noch Kräfte, um ihr zu entkommen.
So ergab sie sich erst einmal in ihr Schicksal und versuchte mit der Frau, die meist mit ihr alleine war, ins Gespräch zu kommen. Irgend etwas schien mit ihr nicht in Ordnung zu sein, aber geisteskrank war sie wohl auch nicht.

Fortsetzung folgt

Geändert von Klatschmohn (18.02.2009 um 13:52 Uhr)
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