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Alt 03.11.2014, 17:41   #2
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Chavi!

Erst die Anmerkungen:

Wir haben damals so viel gute Zeit versäumt
in Kindertagen und noch mehr,
du hast von Eisenbahn und Schlittenfahrt geträumt,
von Teddybär und Feuerwehr.

S1 folgt dem Hebungsrhythmus 6-4-6-4. Ungewöhnlich, aber okay. Warum dann aber der schroffe Wechsel bei S2, obendrein mit einem betonten Auftakt vorneweg in einem Gedicht mit ansonsten unbetonten? Da MUSS man stolpern!

Später die Kumpels der neuen Schule: Betonter Auftakt! Das ließe sich durch eine schlichte Umstellung vermeiden: "Die Kumpels später der neuen Schule:"
Sie mobbten dich, du schwiegst dich aus.
Sie schimpften dich täglich König von Thule,
weil du mit Büchern bliebst zu Haus.

Hier haben wir plötzlich Hebungsrhythmus 4-4-4-4.

Und niemand wusste, was du heimlich dachtest,
wie weh dir tat, dass man dich nicht verstand;
und keiner sah, dass du die Nächte wachtest
und niemand reichte dir die Hand.

Hebungsrhythmus 5-5-5-4.

Und heute sind zwei ferne Leben einsam, Leerstelle zuviel nach "ferne".
sie sehnen sich nach Jugendzeit zurück.
Es ist zu spät für das verlorene Gemeinsam!
Es ist zu spät für ein Familienglück.

Hebungsrhythmus 5-5-6-5. Keine Strophe folgt der anderen. Das ergibt ein sehr indifferentes und zerstückeltes Gefüge, auf das sich ein Leser sehr konzentrieren und sehr wahrscheinlich ein paarmal stolpern und neu ansetzen muss.

Sprachlich/inhaltlich hast du das Beschriebene gut eingefangen und verdichtet. Warum ist dir so oft nur scheinbar das Gleichmaß rhythmischer Sprache zuwider?

Ich wage hier mal - zum Vergleich - eine durchgehend 5-hebige Version, die sich durch ein paar simple Umstellungen und Beifügungen leicht bewerkstelligen lässt. Urteile selbst, was dir besser gefällt:


Wir haben so viel gute Zeit versäumt,
in Kindertagen damals und noch mehr,
von Eisenbahn und Schlittenfahrt geträumt
hast du, von Teddybär und Feuerwehr.

Die Kumpels später an der neuen Schule:
Sie mobbten dich, du aber schwiegst dich aus.
Sie schimpften täglich König dich von Thule,
weil du mit deinen Büchern bliebst zu Haus.

Und niemand wusste, was du heimlich dachtest,
wie weh dir tat, dass man dich nicht verstand;
und keiner sah, dass du die Nächte wachtest
und niemand reichte jemals dir die Hand.

Und heute sind zwei ferne Leben einsam,
sie sehnen sich nach Jugendzeit zurück.
Zu spät für das verlorene Gemeinsam!
Und auch zu spät für ein Familienglück.



Verzeih, sollte ich mit dieser Spielerei zu weit gegangen sein. Ich bin eben ein sehr "rhythmischer" Charakter, was Gedichte angeht...

Sehr gern gelesen! (Abgesehen von der tragischen Lovestory habe ich meine ganze "schulische" Jugend in deinen Zeilen wiedergefunden! War kein so dolles Bild... zum Glück bin ich da lange drüber weg!

LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (03.11.2014 um 17:44 Uhr)
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