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Alt 21.10.2009, 21:10   #47
a.c.larin
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Dem Mutigen hilft das Glück

Damals hatte ich auch eine ziemlich unruhige Nacht hinter mich zu bringen.
Ich verstand zwar nicht, was die Ankündigung des Tierarztes bedeutete, aber ich mochte sie von Anfang an nicht! Wie sollte ich mich ihm entziehen?
Meine einzige Hoffnung war jene geheimnisvolle Türe mit dem betörenden Ausblick ins Freie. Zwar wusste ich nicht, wie ich sie für mich nutzen konnte, aber ich hatte beschlossen, meine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen...

In der darauffolgenden Nacht verblieb ich geraume Zeit schlaflos in meiner Box, döste aber dann doch ein, bis mich schließlich die sich nähernden Schritte meiner Pflegerin weckten. Ich war sofort in Alarmbereitschaft, sämtliche Nackenhaare sträubten sich mir und ich fauchte leise. "Na, Tiger - haben wir heute schlechte Laune?" fragte mich Frau Kuhn gemütlich. Dann packte sie mich mit geübtem Griff im Nacken und hob mich in ein vergittertes Transportgefängnis. Da saß ich nun, zittrig und mit Schwitzpfoten, und wusste nicht, was als Nächstes mit mir geschehen würde!.
Schließlich stellte sie mich in dem Vorraum ab, den ich schon von mehreren Besuchen gut kannte. Da waren sie also, jene zwei Türen: Die eine führte ins Verderben - und die andere? Vielleicht in die Freiheit. Wenn sie doch bloß offen gewesen wäre oder irgendwie aufginge! Ich überlegte kurz, ob es helfen würde, an ihr hochzuspringen. Dazu hätte ich aber einen gehörigen Anlauf nehmen müssen, und mir blieb sicher auch nur ein einziger Versuch.... Oh ich Ärmster, wie sollte ich mich nur retten ....?

"Der Kater ist jetzt da, Herr Hegenstein!" rief meine Pflegerin ins Arztzimmer hinüber. Inzwischen war diese Türe aufgegangen. Es roch schon so komisch heraus, dass sich mir gleich der Magen umdrehte! Was hatten die bloß mit mir vor ? Frau Kuhn zerrte mich aus meinem Gefängnis heraus, das mir mittlerweile sehr sympathisch geworden war. Am liebsten hätte ich mich mit den Pfoten darin festgeklebt, nur leider, leider: Da war absolut nix zu machen!

Obwohl ich mich in ihren Armen drehte und wand wie ein Regenwurm, gelang es mir nicht, mich zu befreien. Um ein Haar hätte ich deshalb schon aufgeben wollen, als sich plötzlich unvermutet die zweite Türe öffnete und eine große, grauschwarze Hundeschnauze, gefolgt von dem gräßlichsten Köter aller Zeiten, hereinzwängte. Ich erschrak nur kurz, denn zugleich erkannte ich sofort meine Chance: Während noch meine Pflegerin damit beschäftigt war, den an ihr hochspringenden Hund abzuwehren, war ich ihren Armen entschlüpft und rücklings abgetaucht. Der Hundriese, an dessen Leine ein weiterer Pfleger hing, wollte die Verfolgung unbedingt zwischen Frau Kuhns Beinen beginnen(Wodurch er sie beinahe umgerissen hätte!), was wiederum einen Vorteil für mich bedeutete.
Ich nützte die Gelegenheit und suchte Zuflucht unter jener Bank, auf der die Pfleger oft saßen und warteten, wenn sie ein Tier zum Tierarzt brachten. Das Schnauzenmonster wolte mich auch dort aufstöbern, brauchte aber nun beide Pfleger, um festgehalten zu werden. Vom Arztzimmer hörte ich bereits die Schritte des Tierarztes näherkommen! Da riskierte ich den alles entscheidenden Entschluss: Rasch unter der Bank hindurchgeflutscht , mit einem Satz zur immer noch offenen Türe gesprungen und mit einem weiteren bei derselben hinaus....

"Der Kater!" hörte ich noch den Tierarzt rufen, und auch die Pfleger schienen sich irgendetwas zuzuschreien, was aber in einem fürchterlichen Gebelle unterging. Ich mochte ja die Sabbermäuler noch nie, aber in diesem einen Moment, glaubt mir Freunde, in diesem einen Moment, da liebte ich sie!
Ich rannte und rannte, was das Zeug hielt: Wiese, Weg , Zaun, Straße, noch ein Zaun, wieder eine Wiese, ein Feld, eine Straße, ein Holzstoß, noch eine Wiese.....
Schließlich blieb ich mit bebenden Flanken und einem Herzen, das vor Anstrengung schier zu zerspringen drohte, irgendwo liegen. Ich keuchte und röchelte, und in meinem Kopf wirbelten die unterschiedlichsten Eindrücke wie wild durcheinander. Erst nach und nach konnte ich begreifen, was geschehen war: Ich war frei, frei wie ein Vögelein!
Und während ich allmählich wieder zu Atem und zur Ruhe kam, durchflutete mich das heiße Triumphgefühl maßloser
Freude und Begeisterung: Ich war frei! Frei!

Und genau in diesem seltsamen Moment, erschöpft, verwirrt und mit einem bei der Flucht eingerissenen linken Ohr, gab ich mir das wichtigste Versprechen meines Lebens: Frei zu sein - und es auch für den Rest meines Lebens zu bleiben.......


Wird fortgesetzt!
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Cogito dichto sum - ich dichte, also bin ich!

Geändert von a.c.larin (21.10.2009 um 21:44 Uhr)
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