Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 04.09.2011, 16:10   #8
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Benutzerbild von Stimme der Zeit
 
Registriert seit: 15.03.2011
Ort: Stuttgart
Beiträge: 1.836
Standard

Hallo, Faldi,

danke für deinen ausführlichen und kompetenten Kommentar.

Zitat:
Rückblickende Gegenwärtigkeit?

Die Menschen sind schon seltsam, ja manchmal könnte man sogar meinen, sie seien alle Autisten, denn wie sollten sie auch ihre Vorstellungen von dieser Welt dem Nächsten anschaulich nahe bringen.
Sie flüchten sich dabei in ihre eigene Welt und denjenigen, welchen dies nicht so einfach möglich ist, steht dafür ein legaler Verstärker zur Verfügung, der in diesem Fall der Wein, stellvertretend für den Alkohol, ist.
Und so sagte schon Plinius der Ältere: "In vino veritas".
Im Rückblick hat sein überliefertes Zitat an Aktualität nichts eingebüßt, weil es ja auf mehreren Ebenen interpretierbar ist.
Zum einen besitzt der Alkohol eine enthemmende Wirkung. Unter seiner Wirkung sind schon viele Dinge gesagt worden, die zwar Wahrheitsgehalt besaßen, aber vielleicht besser unausgesprochen geblieben wären.
Zum anderen suchen eben wirklich viele Erleichterung im Alkohol, weil sie glauben, damit ihre Leiden zu verringern und machen dies zu ihrer Wahrheit.
Letztendlich wird das zu einer ständigen Einrichtung, weil es eben ziemlich schnell geht, seinen Intellekt mit Alkohol so zu betäuben, so daß die objektive Welt an Schwere verliert.
Die Problematik sehr treffend geschildert, Faldi. Ich war ohnehin schon immer der Ansicht, dass die psychische Abhängigkeit von dieser "legalen Droge" weit stärker ist als die körperliche - was, wie ich finde, ohnehin bei jeder Droge der Fall ist, sei sie nun legal oder nicht.

"In vino veritas" wählte ich aus genau dem von dir angeführten Grund. Noch vor ein, zwei Jahrhunderten wurde Alkoholismus als eine Art "Kavaliersdelikt", eine kleine "Charakterschwäche" angesehen. Wenigstens diese Denkart hat sich mittlerweile geändert.

Es gibt noch einen weiteren Aspekt, Faldi. Alkohol ist nicht nur legal und leicht verfügbar, im Vergleich zu anderen Rauschmitteln ist er auch billig - das "erleichtert" den Konsum beträchtlich ...

Zitat:
Im zweiten Quartett ist Zynismus pur zu erkennen. Gefällt mir und ich möchte es deshalb so stehen lassen und nicht zerreden.
Ich sagte zwar, dass ich es nicht als "Charakterschwäche" ansehe, aber ich möchte von einer "Denkschwäche" sprechen, denn einem vernünftig überlegenden Menschen müssten die Konsequenzen klar sein. Ich wusste schon als Kind, dass Alkohol eine sehr üble Sache sein kann. In Strophe 2 bin ich zynisch, ja, aber mit Grund. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der allergrößte Teil der Menschheit die Betrunkenheit schlicht und einfach genießt, man denke an "Ballermann & Co". Oder an den Dokumentarfilm, in dem Tiere sich an gärenden Früchten berauschen, jedes Jahr aufs Neue. Sie "lernen" auch nichts aus dem darauf folgenden "Katzenjammer" ...

Zitat:
Es ist oft zu sehen, daß viele Menschen mit ihrem Leben einfach nicht (mehr) zurecht kommen. Sie können es und auch sich selbst nicht mehr ertragen und flüchten deshalb in die Scheinwelt des Alkohols.
Die schlimmen Fälle beginnen bereits am frühen Morgen und müssen im Laufe des Tages ihren Pegel immer auf einem bestimmten Level halten.
Das beherrscht ihr Leben, sie verändern sich und sie laufen weg, so wie es im Text beschrieben steht.
Sie laufen von der Welt weg und von sich selbst, obwohl sie etwas suchen, was sie nie finden werden, weil sie gar nicht wissen, was sie da suchen.
Ja, wenn das Stadium des "Pegeltrinkens" erreicht ist, dann sind sie zu "Sklaven der Flasche" geworden. Diese Menschen benötigen nur zur Aufrechterhaltung des äußeren Anscheins Mengen, die nicht-alkoholabhängige Menschen bereits restlos betrunken machen würden.

Sie suchen und laufen weg, da sie überhaupt nicht wissen, was sie suchen, noch, wohin sie laufen. Tatsache ist und bleibt: Sie suchen am "falschen Ort" und sie laufen in die "falsche Richtung". Aber das erkennen sie nicht.

Zitat:
Die Welt und ihre Objektivität bleiben dahinter zurück, so daß all jene, die in ihrem direkten Umfeld leben, die Leidtragenden sind.
Das ist ein Teufelskeis, der niemals endet, denn von demjenigen, der in Abhängigkeit vom Alkohol lebt, sind oftmals wieder andere Schicksale abhängig.
Das kann nicht gut gehen und so sind oft Kinder und Partner die Leidtragenden.
Nun, was diesen Teil deines Kommentars anbetrifft, möchte ich nicht zu sehr darauf eingehen, aber ich stimme dir zu.

Zitat:
Die von dir beobachteten Dinge kann ich nur bestätigen.
Ich habe eine Weile eine Lottoannahmestelle betrieben und der Absatz von Spirituosen in kleinen Flaschen war tatsächlich in den Morgenstunden am Größten.
Dann war ich lange Jahre Taxiunternehmer. Was ich da, sowohl auf den Tag- als auch auf den Nachtschichten erlebte, spottet jeder Beschreibung.
In meinem Text "Taximenschenspiel" steht dazu einiges. Und selbstverständlich war dort Kollege Alkohol einer der Hauptprotagonisten, obwohl er nicht namentlich erwähnt wird, weil das Thema eigentlich ein anderes war.
Meine Güte, bin ich langweilig. Ich spiele auch kein Lotto ...

Dein "Taxigedicht" habe ich gelesen. Dank einer aktiven Fantasie konnte ich mir dein zweifellos sehr abenteuerliches Leben lebhaft vorstellen. Im Ernst - ich hätte als Frau zu viel Angst, nicht nur nachts. Andererseits ist dir wohl nichts Menschliches mehr fremd, schätze ich.

Zitat:
Gegen den gemäßigten Verzehr von Alkohol ist sicherlich nichts einzuwenden.
Er kann anregend und entspannend sein und auch zu einer guten Stimmung verhelfen. Außerdem schmeckt z. B. Wein auch sehr gut.
Ich selbst habe aber schon vor 20 Jahren dem Alkohol abgeschworen.
Zum einen weil ich befürchtete, damit nicht umgehen zu können, zum anderen weil ich Angst um das Wertvollste hatte, was mir die Natur mitgab: Mein Gehirn.
Heute verwende ich Alkohol nur noch zum Kochen oder aber ich nasche schon mal gefüllte Pralinen oder gieße ein wenig Eierlikör über das Schokoladeneis.
Aber niemals verwende ich ihn, um mich zu berauschen.
Und in solchen Dingen bin ich ziemlich konsequent.
Zitat:
Er kann anregend und entspannend sein und auch zu einer guten Stimmung verhelfen.
Genau da liegt das Problem, das viele Menschen mit ihrer "Konsequenz" haben. Die positive Wirkung - oder besser gesagt, das, was als positiv betrachtet wird. Eine Frage der Wahrnehmung, ich z. B. empfinde jede Störung meiner Denkprozesse als negativ. Das gilt sogar für Achterbahnfahrten - Angst "kitzelt" mich nicht, ich habe lieber keine.

Dem Alkohol musste ich also nie abschwören. Mein Alkoholkonsum beschränkt sich auf 2-3 Gläser im Jahr, zu ganz besonderen Gelegenheiten, z. B. Silvester.

Zitat:
Fazit:

Den Einstand in den Sonett(en)kranz, den ich schon vorher lesen durfte, mit diesem Text halte ich für gelungen.

Er hat mir gefallen, weil er ein immer aktuelles Thema beinhaltet.
Sozusagen eine Retrospektive Aktualität...
Ich danke dir herzlich, dass du dich so tief in die Thematik "eingelesen" hast und natürlich für dein Lob!

Liebe Grüße

Stimme
__________________
.

Im Forum findet sich in unserer "Eiland-Bibliothek" jetzt ein "Virtueller Schiller-Salon" mit einer Einladung zur "Offenen Tafel".

Dieser Salon entstammt einer Idee von unserem Forenmitglied Thomas, der sich über jeden Beitrag sehr freuen würde.



Geändert von Stimme der Zeit (05.09.2011 um 05:40 Uhr) Grund: "Mensfcheit" *schmunzel* - nachträglich einen Tippfehler entdeckt.
Stimme der Zeit ist offline   Mit Zitat antworten