Thema: Frevel
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Alt 14.05.2014, 23:37   #3
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Thomas!

Wortgewaltig, rasch, ja fast fiebernd führt dein Gedicht den Leser in größte Höhen wie Tiefen!

Vorweg ein paar Ratschläge und Peanuts:

Zitat:
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Frevel

Sie haben gesungen, gespielt und gelacht,
in fröhlich-besinnlicher Runde,
am Feuer gespeist und bis spät in die Nacht
gelauscht der erstaunlichen Kunde
des Fremdlings von Ländern und Meeren so fern.
Er wusste genau zu berichten,
verführte auf einen entlegenen Stern
die Zuhörer seiner Geschichten.

Er wiegte sie singend hinein in den Traum,
das Trübe, es wurde das Klare, 2mal "das" ist nicht gut. Flüssiger: "das Trübe erhob sich ins Klare,"
sie lösten sich schließlich von Zeit und Raum
und schauten das Gute und Wahre
wie ernste Schamanen im Weltenbaum. Hier ist ein Punkt satztechnisch angebrachter.
Sie spürten sein ruhendes Reifen,
sie konnten den niemals erreichbaren Saum 2mal "sie" am Zeilenanfang hintereinander ist unschön. Hier besser: "und konnten...". Das Komma am Ende der Vorzeile wäre dann zu streichen.
der ewigen Schöpfung begreifen.

Am anderen Morgen, als gleißende Glut
erschreckend kaum wagte zu tagen, Die Glut ist einerseits erschreckend, wagt andererseits kaum zu tagen? Das passt nicht zusammen. Besser: "erschreckend sich hob, um zu tagen,
da fand man den Fremdling im eigenen Blut,
am Feuerplatz liegend, erschlagen. –
Sie saßen am Feuer und aßen bei Nacht
in furchtsam-gedrungener Runde. "gedrungen" bedeutet "von breiter, bauchiger Form". Wie wäre "furchtsam-verschworener" oder "hingeduckt-furchtsamer"?
Es ward kaum gesprochen und niemals gelacht. Klanglich vielleicht flüssiger: "...und auch nicht gelacht."
Sie gingen vor Zeiten zu Grunde.

Da fragt man sich natürlich automatisch nach dem Mordmotiv, wo sie doch erst so begeistert waren von der größeren Welt, die der Fremde beschrieb!
Der Titel sagt es in gewiefter Doppeldeutigkeit: Die Tat selbst mag auch ein Frevel sein, aber für diese Menschen aus einer kleinen Welt mit festen Ansichten und schlichten Wahrheiten war diese größere Welt, die ihre eigene, kleine ad absurdum zu führen drohte, der eigentliche Frevel:
Neues zu lernen bedeutet auch immer, innerlich mitzuwachsen. Wer dazu nicht bereit ist, weil er die vermeintliche Sicherheit von Glauben und Tradition höher schätzt, wird letztlich auch bereit sein, jene zu erschlagen, deren Vision diese althergebrachten Werte ins Wanken zu bringen wagt. Große Wahrheiten erfordern große Geister mit großen Herzen!

Ausgesprochen gern gelesen und innerlich applaudiert! Sollte Zwangslektüre für alle islamischen Hassprediger, alle christlichen Evolutionsleugner und alle ähnlich innerlich zu klein geratenen Fundamentalisten dieser Erde werden!!!

LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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