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Alt 03.03.2009, 11:34   #17
Klatschmohn
MohnArt
 
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So schnell sie konnte verließ sie die Intensivstation, verließ das Krankenhaus, überquerte eine Straße, fand ihren Wagen, setzte sich hinein und sank in sich zusammen. "Ja", flüsterte sie. "Ich bin ihre Mutter."
Bilder kamen in ihr hoch, sie war eine junge Frau und siebenundzwanzig Jahre alt, als sie schwanger wurde. Franz war ein Kollege von ihr. Nichts Ernstes, dachte sie sich, als sie sich mit ihm einließ. Als sie dann schwanger wurde war sie hoffnungslos überfordert. Franz und sie hatten ein gemeinsames Engagement gehabt. Sie war längst mit einer anderen Truppe auf Tournee, als sie es nicht mehr vor sich selbst verbergen konnte, dass sie schwanger war.
Lissi hatte ihr auch da finanziell geholfen. Nach der Geburt hatte sie das Mädchen gleich zur Adoption freigegeben. Bodo wusste von dem Kind. Er hatte versuchte, die Adoption rückgängig zu machen. Aber das war absolut unmöglich. Sie hatte keinerlei Rechte mehr an dem Kind. Und wenn sie sich täuschte? Wieso glaubte sie, dass diese Claudia Schneider, die da blass und still in dem Krankenhausbett lag, ihre Tochter war? War es das schlechte Gewissen, das sich nach so vielen Jahren bemerkbar machte? Was war los mit ihr? Sie war einige Tage mit der Frau zusammen gewesen. Nichts war passiert, keine Gefühle, bis auf den Tag an dem sie frei gekommen war. Da war irgend etwas geschehen, eine Verbindung war entstanden. Warum aber hatte sie sich nicht gemeldet: Hier bin ich, Deine Tochter. Warum musste sie entführt werden, war es Rache?
Als sie in das Hotel zurückkam, nahm sie einen kleinen Imbiss zu sich und versuchte ein wenig zu ruhen.

Einige Ortschaften entfernt, saß ein Mann alleine in dem Zimmer einer kleinen Pension. Was hatte er bloß angerichtet? Claudia wollte sich der Frau offenbaren, von der sie überzeugt war, sie sei ihre Mutter. Das konnte er doch nicht zulassen. Die Alte hätte sie doch sofort angezeigt. Dann säßen sie jetzt schon im Knast, alle Beide. Er hatte sie doch nicht verletzen wollen. Es tat ihm leid. Alles hatte begonnen, als Claudia damals krank geworden war. Das war, nachdem sie eine Fehlgeburt hatte. Das Kind war nicht von ihm. Der Vater war ein Trainer im Center. Die Beziehung war aber in die Brüche gegangen. Danach war sie in einer Psychoklinik gewesen. Seitdem war sie verändert, hatte gemeint, sie müsse ihre leibliche Mutter kennen lernen. Sie hatte sich wohl schon früher beim Jugendamt in Darmstadt die Unterlagen geben lassen. Das stand ja in den Akten, dass das Jugendamt in Darmstadt die Adoption vollzogen hatte. Jetzt wollte sie den Kontakt zu ihrer Mutter. So ein Blödsinn! Und er hatte sich darauf eingelassen, hatte Erkundigungen eingezogen über die Frau. Eine feine Dame. Ha, dass er nicht darüber lachen würde. Hätte sie damals nicht so einen Mist gemacht, würde er heute nicht so in der Tinte sitzen. Er war richtig wütend.
Wütend war schließlich auch auf Claudia geworden. Sie wollte ja unbedingt wissen, was für eine Frau die Mutter war. Er hatte versucht sie zu überzeugen, dass sie offen mit der Frau reden sollte. Aber Claudia konnte es nicht über sich bringen. Sie war eine sehr stolze Frau. Schließlich verfiel sie auf den Gedanken, die Frau in ihre Gewalt zu bringen. Sie wollte der Wut, dass sie ein weggegebenes Kind war, Ausdruck verleihen.
Bislang schien es ihr egal gewesen zu sein, aber dann mit ihrer Krankheit war die Neugier, und schließlich auch die Wut entstanden.
Wahrscheinlich hatte sie Angst davor gehabt wie eine Bittstellerin zu kommen. Die Alte schien ja so unermesslich reich zu sein. Und der Trottel von Neffe, hat ja sogar die vage Andeutung auf das Geld sofort angenommen und gesagt, seine Tante habe eine Menge Geld. Er wolle es besorgen. Wie konnten sie nur so blöde sein. Mit solchen Leuten zog man immer den Kürzeren. Die hatten das Glück gebucht. Und jetzt, was war mit Claudia?
Er war weggelaufen als sie blutüberströmt auf dem Waldboden gelegen hatte. Panik hatte er gekriegt. Er heulte, heulte vor allem, weil er sich vollkommen machtlos fühlte, hilflos. Was würde geschehen. Alle Fäden waren ihm aus der Hand genommen. Am besten abhauen, die Polizei hatte sicher schon längst sein Telefon abgehört. Deshalb hatten sie zuletzt nur Claudias Telefon benutzt. Mein Gott, das Telefon! Claudia hatte das Telefon bei sich gehabt. Das hatten sie bestimmt schon überprüft.
Er musste weg. Hastig schnappte er ein paar Sachen, stopfte sie in die billige Reisetasche, die sie gekauft hatten, steckte das Geld, das verdammte Geld ein, ging die Treppe hinunter und lief geradewegs der Polizei in die Arme.

Luise von Limpisch lag auf ihrem Hotelbett und grübelte. Vielleicht hatte sie sich ja getäuscht. "Das Stockholm Syndrom." Sie hatte darüber in der Zeitung gelesen. Man verbindet sich irgendwie mit seinem Entführer. Das war wohl so eine Überlebensstrategie des Geistes. Sie dachte über sich nach. Nein, das war nicht der Fall. Und dass man glaubt, man sei mit dem Entführer verwandt, gehörte wohl auch nicht zu den Symptomen. Sie wollte ihrem Gefühl vertrauen, sie wollte ihre Tochter.
Es begann zu dämmern, sie stand am Fenster und starrte hinaus. Der Regen prasselte gegen die Scheiben, ihr fröstelte. Sie legte sich ihren schwarzen Kaschmirschal mit dem Blumenmuster um und ging hinunter. Es gab viel zu regeln.



Fortsetzung folgt
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Geändert von Klatschmohn (03.03.2009 um 11:38 Uhr)
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