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Alt 13.05.2009, 22:39   #1
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Standard Mein Freund Justin

Mein Freund Justin


Justin war ein ganz lieber Mensch. Wenn wir gemeinsam durch die Fußgängerzone gingen, konnte er an keinem aufgestellten Sammelgefäß vorbeigehen, ohne eine Münze dort hinein zu werfen. Er kaufte auch jede Zeitung der Obdachlosen, manchmal sogar doppelt, um sie zu unterstützen.
Seit vier Jahren hatte ich in ihm einen treuen Freund und Weggefährten gefunden, der sein letztes Hemd für einen in Not geratenen Menschen gegeben hätte. Auf ihn war immer Verlaß gewesen, nicht einmal hatte er mich versetzt, wenn wir verabredet waren. Als ich im Krankenhaus lag, kam er jeden Tag nach Feierabend auf einen kurzen Besuch bei mir vorbei.
Nachdem Monique mich verlassen hatte, wollte ich nicht mehr leben. Justin baute mein angeschlagenes Ego wieder auf und war mir während dieser Zeit eine echte Stütze.
Monique schien die Liebe meines Lebens. Schlank, groß und blond, mit endlos langen Beinen und Rundungen an den richtigen Stellen, war sie meine absolute Traumfrau. Nichts hatte ich mir sehnlicher gewünscht, als mit ihr eine Familie zu gründen und zusammen alt zu werden.
Anfangs verlief alles wunderbar, wir hatten eine schöne Zeit, konnten gemeinsam lachen und kamen manchmal ein ganzes Wochenende nicht mehr aus dem Schlafzimmer heraus. Wir gingen jedoch auch oft aus, um zu feiern bis zum Abwinken, wie sie es nannte.
Um ihre Figur in Form zu halten, besuchte Monique regelmäßig ein Fitnesstudio. Ab und zu ging ich Samstags mit ihr hin.
An einem dieser Tage lernten wir Justin dort kennen. Er saß ganz allein an der Bar und beschäftigte sich mit einem Vitamin-Cocktail. Wir nahmen neben ihm Platz und es ergab sich, daß wir miteinander ins Gespräch kamen.
In der folgenden Zeit sahen wir uns häufiger und fingen an, uns auch privat zu treffen.
Er hatte einige nette Bekannte und es bildete sich eine kleine Clique, die regelmäßig zusammen kam. An seinem 30. Geburtstag gab er eine Riesenparty und Nora, seine Schwester, brachte jemanden mit. Er hieß Torsten, sah blendend aus und war bald der Mittelpunkt der Fete.

An diesem Abend hatten Justin und ich nichts bemerkt, aber zu einem späteren Zeitpunkt erfuhren wir, daß der Mistkerl ein Dealer war. Ganz harmlos verwickelte er jeden in ein Gespräch und überprüfte geschickt die persönliche Einstellung zu Drogen.
Auch Monique unterhielt sich längere Zeit angeregt mit ihm.
In der folgenden Zeit wußte ich anfangs gar nicht was passierte, ich wunderte mich nur, daß ihre Persönlichkeit sich veränderte. Einmal war sie mies gelaunt und zickig, dann wieder aufbrausend und voller Energie. Das Liebe- und Verständnisvolle, sowie ihre Einfühlsamkeit gingen mehr und mehr verloren.
Alles was ich so sehr an ihr liebte entschwand, wandelte sich zu purem Egoismus.
Eines Tages beobachtete ich zufällig, wie sie mit einem zusammengerollten Geldschein ein weißes Pulver durch die Nase inhalierte.
Sie gestand mir, daß es sich um Kokain und Amphetamine handelte und versprach damit aufzuhören.
Doch statt dessen wurde es immer schlimmer.
Bald darauf hatten wir ständig Auseinandersetzungen, und ich merkte, wie sie mir gegenüber immer gleichgültiger wurde. Offen erklärte sie mir, ihren Ansprüchen nicht mehr zu genügen, weder als Mann, noch finanziell.
An einem Dienstag kam ich früher als gewöhnlich nach Hause.
Dort erwartete mich eine Überraschung. Obwohl ich es schon längst geahnt hatte, traf mich die Erkenntnis schmerzhaft.
Monique und Torsten lagen in unserem Bett und vergnügten sich. Sie waren so ineinander vertieft, daß sie meine Anwesenheit gar nicht bemerkten.
Gedemütigt und verletzt verließ ich die Wohnung und betrank mich in der nächsten Kneipe.
Als ich später wieder heim kam, waren die beiden verschwunden.
Am nächsten Tag tauchte Monique völlig abgerissen wieder auf. Ich stellte sie zur Rede, woraufhin sie mich verhöhnte und verspottete.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte ich die Beziehung zu ihr beenden sollen, doch ich konnte von dieser Frau nicht lassen, immer noch hoffend, daß sich alles zum Positiven ändern würde.
Mehrere Monate hielten diese Höllenqualen an und ich wurde ganz krank vor Haß, Liebe und Gram.
Justin riet mir während dieser Zeit immer wieder mich von ihr zu trennen, sie einfach rauszuschmeißen, doch das brachte ich einfach nicht übers Herz.
Dann tauchte Torsten bei uns auf und holte Monique einfach ab.
Damit hatte mein Martyrium endlich ein Ende.

Eine Weile später erschütterte eine Mordserie unsere Stadt und die nähere Umgebung. Die Opfer waren ausnahmslos junge Frauen, blond, schlank und langbeinig. Der Täter lauerte ihnen an einer einsamen Stelle auf, überfiel und vergewaltigte sie, um sie anschließend zu erdrosseln.
Die Polizei tappte anfangs völlig im Dunkeln, weil der Mörder keine Hinweise auf seine Identität zurückließ. Er tauchte plötzlich auf, schlug blitzschnell zu, benutzte ein Kondom und verschwand spurlos wieder in der Finsternis.
Nach einigen Monaten nahm die Polizei Justin fest. Zeugen hatten ihn zur Tatzeit in unmittelbarer Nähe des Geschehens gesehen und identifiziert.
Während eines Besuchs in der Untersuchungshaft beschwor er mich ihm ein Alibi zu geben, und er beteuerte sein Unschuld. Leider musste ich ihm das verweigern, da ich mir absolut sicher war, daß wir zu den Tatzeiten nicht zusammengewesen sein konnten.
Aufgrund diverser belastender Indizien und der Tatsache, daß man an den letzten Opfern Haare gefunden hatte, die eindeutig von ihm stammten, wurde er für schuldig befunden und zum Tode verurteilt.
Im folgenden Berufungsverfahren bestätigte das Gericht das Urteil.
Justin kam in die Todeszelle, ein Gnadengesuch wurde abgelehnt und das Urteil vollstreckt.
Als alles vorbei war, packte ich meine Siebensachen und zog in eine Großstadt ganz hoch im Norden unseres Landes.

In meiner Nachbarschaft lebt eine junge blonde Frau mit langen Beinen. Immer wenn ich sie vorbeigehen sehe, kehren die Erinnerungen an Monique und Justin zurück. Oft halte ich mich nachts im Park auf und beobachte sie heimlich.
Ganz nahe geht sie an mir vorbei, nicht ahnend, daß ich dort stehe und jeden ihrer Schritte überwache.

Ich sehe dich vor mir, sehe deine vor Schreck aufgerissenen Augen, wenn ich dich packe. Dein Gesicht befindet sich direkt vor meinem. Starr vor Entsetzen und Angst bist du mir hilflos ausgeliefert. Alles kann ich mit dir tun, ohne daß du in der Lage bist, dich dagegen zu wehren. Nie wieder wirst du einen Mann erniedrigen, ihn demütigen und verletzen. Deine Furcht, deine Panik sind Balsam für meine gequälte, verletzte Seele, ich weide mich an deiner Verzweiflung und meine Hände legen sich dir um den Hals, drücken zu, immer weiter, immer fester, endgültig, bis das Licht in deinen Augen erlischt.

Meine zitternden Hände greifen in die Hosentasche. Vergebens suche ich nach dem kleinen Kunststoffbeutel mit den Haaren.

Für heute hast du Glück gehabt, einen Aufschub erreicht, ich lasse dich gehen. Aber dein Tag wird kommen, bald schon, weil du es nicht besser verdient hast. Doch zuerst muß ich mir einen neuen Freund suchen...
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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