Thema: Hybris
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Alt 25.03.2012, 11:17   #7
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asphaltwaldwesen
 
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ich bin mir sicher, lieber erich,

deine doppelt enthaltene hybris im gedicht finden bestimmte schreiber als leser nicht einmal im text. wie auch? wenn man sich damit selbst in diese gruppe einreihen müsste, ist es doch angenehmer sie nur bei der gegenseite sehen zu wollen. ist weniger "schmierig" und man kann sich weiterhin herrlich makellos vorkommen.

mich hat dein "geständnis" grade deshalb besonders berührt und für dich eingenommen - obwohl ich da so einiges in deinem gedicht natürlich aus meiner ganz persönlichen warte nicht so toll finde von der aussage her. aber so ein wenig hybris, behaupte ich mal, braucht man als jemand, der seine werke veröffentlicht. egal, wo. und die hat daher auch jeder und sie gehört dazu. es kommt eher drauf an, wie man mit ihr umgeht.

wenn ich persönlich etwas so gar nicht ausstehen kann, dann sind es jene schreiberlinge, die auf die anderen mit einer selbstverständlichkeit herabsehen und sich zugleich hinter credos verstecken wie z.bsp. "ich weiß, ich bin noch weit entfernt von perfekt, doch ich arbeite nun schon seit jahren daran, da hinzukommen und stelle meine bescheidenen versuche dennoch ins forum" (die bescheidenen versuche sind natürlich immer höchst komplizierte formen, die ein sehr komplexes metrum beinhalten - und sie sind so gut wie immer nahezu fehlerfrei von solchen usern umgesetzt - und ich behaupte, die wissen das auch). zwei kommentarklicks weiter schreibt ein solcher user dann eine vernichtende und herablassende rezension zu einem text, den er schlicht und einfach nicht verstehen und wahrnehmen wollte. weil er all die kritierien, deretwegen er sich selbst so plagt und bemüht, nicht beinhaltet oder einfach ignoriert. manchmal hab ich den eindruck, solche leute empfinden andersartige lyrik als eine verhöhnung ihrer eigenen wertmaßstäbe und als eine bedrohung all dessen, woran sie sich anscheinend verzweifelt klammern (anstatt überzeugt zu sein von dem, was sie können). (ich meine damit niemanden hier!!!! aber es gibt diese sorte user - und erstaunlicherweise kommen sie damit ziemlich weit und hoch in einer forenhierarchie. trotz oder grade wegen ihrer arroganz und ignoranz)
Zitat:
Zitat von Galapapa Beitrag anzeigen
... was mich zur Zeit gewaltig beutelt: Ich stelle meine eigenen Texte in Frage.
...

Deshalb ist mir der moderne Umgang mit dem Begriff Kunst zu elitär und zu diktatorisch.
...

diese Blindheit, von der Dein Gedicht spricht, würde Scheuklappen gleichkommen...
dass ein überall beobachtbarer "erfolg" solcher schreiber auch mal dazu führt, die eigene schreiberei in frage zu stellen, halte ich für sehr verständlich und normal. allerdings ist das eine "gute sorte" von infrage-stellen, sag ich mal. die anderen nämlich stellen sich anscheinend immer in frage - sonst müssten sie nicht mit so viel mühe und anstrengung und kampfeswillen jeden cm ihres geheiligten landes zu wahren versuchen. wer also fühlt sich da seiner sache wohl unsicherer?

das elitäre übrigens findet von allen seiten her statt. die, die auf die alten werte pochen, betreiben nichts anderes als die, die der moderne versuchen, ihren stellenwert zu begründen. wer - wie ich - kunstgeschichte studiert hat, weiß, dass aus genau diesem bestreben überhaupt erst die kunst sich weiterentwickelt. das sich-abheben vom bereits dagewesenen ist es, das kunst erst in ihrem wesen begründet. das wird leider oft gleichgesetzt mit beliebigem (!) vernachlässigen jeglichen handwerkszeuges. passiert so allerdings eben nur jenen, die wirklich keine ahnung haben. und ebenso passiert es den kritikern, die alles, was nur irgendwie nach sowas aussieht, dass sie etwas verteufeln, das eigentlich ein sehr fundiertes konzept im hintergrund hat. das oft sogar die alten traditionen hochhält, indem sie mit ihnen bewusst bricht. aber auch das erkennt man nur, wenn man einigermaßen ahnung im sinne von überblick hat. wer hat das schon in foren im internet? ich behaupte mal, es sind die wenigsten.

und dann gibt es da in der grauzone die, die talent haben. noch vor der beherrschung korrekter rechtschreibung oder vor dem wissen über metrik und deren wirkung oder anderes handwerkliches. sie haben eine gabe, botschaften mit tiefe in die welt zu schreiben. in ihrer eigenen sprache - als zeugnis ihrer weltwahrnehmung. was ihnen fehlt, ist im technischen bereich zu suchen.
dann gibt es die, die talent haben, aber nicht den mut, ohne krücken (=grammatik, metrik der festen formen o.ä.) zu gehen. denen fehlt dann das gespür, was ihre botschaften eigentlich ausmachen sollte, um unverwechselbar zu werden.

und irgendwie gibt es zwischen diesen beiden sorten unzählige mischformen. die alle geistern in foren herum. dazwischen vielleicht auch eine handvoll, die einfach nur spaß haben will und der es nicht um ausdruck innerer bewegtheiten geht. die halte ich aber wirklich für ausnahmen - sprich: an einer hand abzuzählen. dennoch wird ein großteil von schreibern genau so behandelt und wahrgenommen - als wären die bloß schreibend aktiv, um auf alles zu sch...., um die lyrik zu verhöhnen.

ich frag mich da: warum sollte das jemand wollen? und wenn ja - warum dann sich selbst zur zielscheibe von kritik machen? sozusagen als persiflage des dichters auftreten - ohne sich darin als absicht zu erkennen zu geben?

ich behaupte: alle wollen wirklich aus ehrlichen motiven heraus schreiben und meinen es ernst (egal, wie oberflächlich naiv sie an die sache herangehen) . der welt etwas von sich zeigen - und gesehen werden. verdienen dann nicht auch alle erstmal, das man ihnen aufgrund dieses motivs hinter ihrem handeln, mit respekt entgegentritt? anstatt sie - aufgrund der eigenen hybris - als gefährdung oder verunreinigung wahrzunehmen und kleinmachen zu wollen?

die blindheit, die scheuklappen - wovor sollen die tatsächlich schützen? davor, mal aus dem eigenen terrain heraus und auf noch unbekanntes (und unsicheres) gelände zu geraten? eins, wo eben nichts messbar ist, sondern man sich auf anderes stützen muss als konkrete maße?

die "köstlichen gedichte" - der hybris-erfüllte wird sie nie finden. er jagt einem ziel nach, das unerreichbar ist - und das soll es auch bleiben. sonst müsste er nämlich auch eingestehen, dass er selbst dort niemals ankommen wird, würde er seinen maßstäben entsprechen wollen. narzissmus ist eine ganz erstaunliche sache - sie verhindert vor allem ein vorankommen. denn wo sollte man denn hinwollen, weiß man unbewusst doch genau, dass man dort nie ankommen wird, wo man sich gerne sähe? also verharrt man. bleibt lieber blind - und unglücklich und (auch mit sich) unzufrieden und in der vermeintlichen und unangetasteten gewissheit, dass man irgendwann doch mal perfekt sein wird, großartig und bewundernswert. mit lauter unentdeckten, köstlichen gedichten rundherum. sie sehen bloß anders aus als man sie sehen möchte.

ihm fehlt der gleichmut, den galapapa erwähnte. und der entsteht nun mal aus dem mut heraus. dem mut, dass man selbst nichts zu fürchten hat, nur, weil andere etwas ganz anders handhaben als man selbst. und ja - die haben in gewisser weise mehr mut - vielleicht werden sie ja auch so bekämpft, weil man sie unbewusst beneidet? was müssen die für einen mut haben, um solche ("unfertigen", "unausgereiften") texte der welt zu zeigen!!! auch ich frage mich viel zu all den beobachtungen, die ich in den letzten jahren in lyrikforen gemacht habe. und u.a. frage ich mich dann auch manchmal, wenn mir der gleich(e)mut abhanden kommt, ob ich es nicht einfach bleiben lassen sollte. wohlwissend, dass das dumm ist.


du siehst - dein gedicht (und galapapas kluge antwort-fragen) haben mich sehr angesprochen. sorry für die länge des kommentars.

liebe grüße


fee


PS: weil grade erst gelesen (gleichzeitig gepostet): HURZE gibt es auf allen niveaustufen, erich. da darf man seinem bauchgefühl dann auch durchaus trauen. auf jeden fall mehr als einer mehr oder weniger breiten masse, die einfach nur über etwas jubeln möchte, das kein schwein versteht (außer ihnen). elite eben. so läuft der kunstmarkt eben auch. sich darüber aufzuregen allerdings bringt nichts außer noch mehr bestreben, elitär zu sein bzw. zu bleiben. möglichst unverstanden bzw. von einer handvoll erlesener. ist taktisch ja nix neues. gleich auf gleichem gebiet zu sein wie viele, ist öde und man fällt nun mal nicht auf. ich finde gedichte, bei denen man den autor nicht erkennt, genauso falsch motiviert wie die, die hurze schreiben, weil sie nicht verstanden haben, dass auch kryptisches noch verständlich und vor allem sinnvoll sein muss. dummheit aber - wie schon gesagt - gibt es auf jeder niveaustufe. in jedem lebensbereich. da find ich persönlich die gebildeten dummen noch bedrohlicher als die naiv-dummen mit guten absichten aber wenig wirkungsbereich.
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"Gedichte sind Geschenke an die Aufmerksamen" Paul Celan

Geändert von fee (25.03.2012 um 11:46 Uhr)
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