Thema: Unschuld
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Alt 17.04.2016, 12:55   #2
anamolie
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tösen > dösen, aha. Löwen tösen also nicht, wie langweilig.
Ambitioniertes Werk!!!!!

Sehr sehr bravourös, allein der Versuch.


Zitat:
Kannst du die Unschuld begreifen? Sie reist in der Barke.
Vielgestaltiges Tier, gottgleich beherrscht sie den Tod.

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Ist halt kein Distichon. Aber toller Prolog.

~

Klagst du sie an, die Edle, so sei dir gewiss, es ist müßig.
Echnaton schlug sie tot. Siehe, wir schufen sie neu:
Doppelgesichtig, tyrannisch, Verführerin gläubiger Toren;
prächtige Tempel, geweiht schelmischen Monstres Sacrés.

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präzise. Ich finde, französisch, wo ich nicht weiss was es heisst,
und auch nicht, wie man es ausspricht, in einer ägyptischen
Götter-Mystik zu verwenden, deplatziert. Zumal ja Napoleon
der Sphinx die Nase abschlagen liess - oder auch nicht.

~

Lügenbeseelt ersehnt das Sterbliche ewiges Leben.
Liebe ist schwach, nur der Hass zeugt die unsterbliche Macht,
hebt es empor zu den Reuelosen, den fordernden Göttern.
Sagst du: „Ich glaube nicht!“, forderst du jene heraus.
Wähnt sich der Mensch von Gott getrennt, ist er einsam und gierig,
liest er, der Wahrheit entrückt, Allmacht im Schattengespinst.

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nachlässig geschrieben. Das habe ich auch schon oft gesehen bei meinen
eigenen Distichon-Versuchen, dass zwei aufeinanderfolgende Trochäen
in Füssen Zwei und Drei, den Fluss erheblich beeinflussen.

In Z2 lese ich eher einen Amphibrachys, der dann nicht funktioniert,
als einen Hebungsprall, Hass zeugt XX, vielleicht liegts nur an mir,
aber "zeugt" kann ich unbetont jenseits des starken Hasses in eine Senkung
fallend lesen. Dasselbe bei "Ich glaube nicht", das betone ich XXxX, ja,
aber in einem Amphibrachys-durchtränkten Konstrukt gelten nur die stärksten,
und dann xXxx... vielleicht lese ich zu viel Amphibrachys.

Aber Z4 erschiene mir eher wie ein perfekt durchgezogener Amphi, als
ein Hebungsprall durch "nicht" und "forderst". Jeweils, sollte man womöglich
irgendwo eine Silbe streichen, um den Amphi so zu entfremden, dass die
Betonungen verschärft und somit verdeutlicht werden.
Z5 lässt sich mE nur mit Hebungsprall "getrennt" "ist" lesen,
NIEMAND unterdrückt da das "ist" in einen Anapäst, "ist er einsam".

~

Horus, wende die Barke, die Sonne erscheint nun im Westen!
Schäfchengesichtiges Blau schönt uns den Albtraum der Nacht.
Unschuld, du Schöne, konntest dein Feuer in Aton entfachen,
gänseblümchenbekränzt wähltest du ihn zum Gemahl.
Falken kreisen erblindet und Löwen dösen gesättigt,
selbst Apophis schläft tief, lauscht deinem Sonnengesang.

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top. Bis auf die beiden Schmuckwörter Anfangs Z2 und Z4, die sind
ebenfalls deplatziert mE, weil wir Horus, Barke, etc haben, eine düstere,
archaische religiöse Mystik des Todes - was haben da, mE natürlich,
solche roseroten Wölkchen-Gebilde verloren, eher eines euphorischen Liebesgedichts,
entweder aus der Feder einer 14jährigen Jung-Dichterin, oder, aus meiner.
Dass wir uns nicht missverstehen. "gänseblümchenbekränzt" ist ein herrliches Wort,
nur verschleuderst du da zugunsten einer schmückenden Feingeist-Regenbogen-
Wortkaskade, die Düsternis vieler donnernder Schlagworte, die der Szenerie
wohl eher gerecht, als solcherlei Feingeist-Irritationen im Auftakt, mE natürlich.

Ansonsten würde ich diese drei sauberen Distichen nämlich für relativ makellos und traumhaft erachten.

~

Kannst du die Unschuld begreifen? Sie reist in der Barke,
und umarmt dich der Tod, siehst du ihr schönstes Gesicht.

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ich lese "und" nicht als betont, ich lese das als gezielten Anapäst,
was ich als toll empfinde - womöglich wolltest du dein "und" betont haben,
ich als etwas gehobener Dichter würde aber ABSICHTLICH, einen Anapäst
schreiben, und somit hätte ich eigentlich zu wenig Silben für einen Pentameter.
Aber dafür ein perfektes, metrisches Finis, weil es gewagt und gut ist.
Gerade weil ein Anapäst an der Stelle, irritierend, aber dramaturgisch gelungen wirkt mE.

Ist ja ohnehin kein Distichon, weil du, wie im Prolog, so auch im Epilog,
keinen Hexameter hast.

Bis auf einige metrische... für meinen Geschmack, Unpässlichkeiten,
einige für meinen Geschmack, gravierende Deplatziertheiten, und einen Sinn,
der sehr gewagt und hoch sticht, und den selbst ich kaum kapiere,
nämlich den Kampf zwischen Polytheismus einer archaisch-ägyptischen
Glaubensvorstellung, und Monotheismus einer ägyptischen Erneuerung durch
Aton/Echnaton, die allein die Sonne/Lebenskraft/Liebe anzubeten wünschte,
und dafür bestraft, weil Echnaton nach seinem Tod "reichsgeächtet" wurde,
seine "neue Hauptstadt" verlassen und schon sein Sohn, Tut-anc-amon,
wieder die Religion wechselte, von -aton, wieder zu -amon, um das Volk und
die Priesterschaft WIEDER, auf seiner Seite zu haben. Falls ich recht erinnere.
Wie erheiternd, dass ich dafür Google nicht brauche.

Tutanchamun in Deutsch, der mit dem krass goldenen, berühmten Sarkophag,
Sohn des Echnaton und der... hm, vergessen, einem Liebespaar, das als
Ketzerpaar die polytheistische Religion ändern wollte, hin zu einem Eingott-Glauben,
der Sonne ALLEIN (Aton, und sein Hohepriester, der Pharao allein, -die Amun-Priesterschaft
somit ebenfalls beraubend, also etwas durchaus real Machtpolitisches in Ägypten zu jeder Zeit
bis heute im Übrigen, Stichwort Muslimbrüder-, Anc-Aton, Echnaton)...
und diesen Zwiespalt zwischen "archaisch/Hass/Furcht" und der Feder der Unschuld
im Totenreich, des Furcht-Glaubens, und "neuzeitlich/Liebe/Vertrauen" und derselben
Feder der Unschuld, des Liebe-Glaubens, hast du herausgearbeitet.

Tolle Vorstellung!

Ob "Unschuld" vielleicht ein zu unprätentiös gewählter Titel ist?
Ich weiss, Schiller nannte das auch nur "Nänie", aber "Nänie" ist ein gewaltiges Wort,
das viel ausdrückt, ein Totengesang glaube ich, ein alt-griechischer Trauer-Totengesang.

"Unschuld" ist ja kurz und prägnant, und hat auch was, aber das hätte auch
jene 14jährige Neudichterin über irgendeinen Schmacht-Verse Libre klatschen können.

ICH, hätte über SO EINEM GEWAGTEN TEIL, mit Sicherheit mehr angegeben!!!

Ich kann mich natürlich in all meinen Ausführungen irren!!!

Aber über solch ein gewagtes Distichen-Dings, nur so ein aussage-unkräftiges "Unschuld" zu setzen...

empfinde ich als underdressed, sry.

Sowas wie "Die Mumie schlägt zurück", oder "Als Echnaton sich im Grab
wieder zurückdrehte Allah sei dank"... lol.

Echt gewagtes Distichen-Dings, mit einigen Fehlerchen, aber ansonsten
ein Gut hoher deutscher Sangeskunst mE! Ein höchst bravouröser Versuch,
und... mit Abstrichen, höchst zelebrierend gelungen.

Geändert von anamolie (17.04.2016 um 13:12 Uhr)
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