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Alt 12.12.2011, 06:50   #8
Stimme der Zeit
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Guten Morgen, liebe Dana,

das echte Meer hat tatsächlich auch etwas Bedrohliches, trotz seiner Schönheit. In gewisser Weise trifft das auch auf das "innere Meer" zu. Nehmen wir die Ängste, die uns Menschen in weit höherem Maße "regieren", als wir das gerne wahrhaben möchten. Beispielsweise Agoraphobie und Klaustrophobie.

Ersteres ist die "Platzangst", die Angst vor weiten Räumen und offenen Flächen; Zweiteres ist die Angst vor kleinen, engen Räumen. Angst ist nicht irrational, das ist ein Irrtum. Sie ist sogar lebensnotwendig, und daher (vom Grundprinzip her) sehr sinnvoll. Daher haben wir auch alle unsere "Ängste". (Weiter unten gehe ich darauf noch etwas mehr ein.)

Ich beispielsweise habe eine Akrophobie (Höhenangst), die sich allerdings nicht bei geschlossenen Räumen zeigt (also komme ich zwar nicht auf eine hohe Leiter, aber ich habe keine Probleme mit Flugzeugen oder Ähnlichem). Ich bin da auch am "Üben", und mittlerweile schaffe ich eine kleine Klapptrittleiter. Das werde ich also schon noch "los" - mit Zeit und Übung.

Zitat:
das Meer macht mir manchmal Angst, besonders die Nordsee. Ich bin dort noch nicht wirklich in Not geraten, aber die Vorstellung, weit draußen zu sein, die kommende Flut zu übersehen ..., hat etwas Ungeheures.
Es liegt vielleicht nicht an der Weite allein, sondern eher an dem Eindruck von etwas "Mächtigem, Ursprünglichem". Das Meer ist groß und weit, und der Mensch dagegen sehr, sehr klein - und fühlt sich deshalb ziemlich hilflos ...

Zitat:
Auch das Mehr an Wogen im Inneren ist mir vertraut und mit Gedanken an diese habe ich mich von deinem Werk mitreißen und mitnehmen lassen - mit der Burg aus und auf Sand angefangen.
Mir wäre es auch dann nicht zu lang erschienen, wenn im Anschluss an die nächste Burg wieder eine zerstörende Flut käme.
Unser Inneres ist dafür wie geschaffen - unendlich zu sein und immer wieder neue Gefahren zu sehen und zu fürchten.
Ist es nicht seltsam? Beim Glück sind wir bemüht "fest zu halten", beim Abtauchen in Tiefen, in Abgründe und beim "Sehen" haben wir immer das Gefühl von unendlich im negativen Sinne.
Es freut mich, wenn dich die Länge nicht stört. Ach, na ja, ich weiß, ich bin ein "Anachronismus", jedenfalls, was einen Teil meiner Gedichte betrifft.

Weißt du, in gewisser Weise sind wir Menschen "Gefangene in uns selbst". Angst ist ein wichtiger Bestandteil in unserem "Überlebensmechanismus", ein "Urinstinkt". Wer, damals in der "Vorzeit", keine Angst hatte, der konnte nicht lange überleben. Problematisch ist zum einen, dass diese Angst auch außer Kontrolle geraten kann und wir uns vor Dingen fürchten, die gar nicht zum Fürchten sind, und zum anderen sind wir auch die "Opfer" unserer modernen Zeit. Angst löst einen Fluchtreflex aus - dem wir meist nicht folgen können, aus den unterschiedlichsten Gründen. Irgendwie scheint das zu mentalen "Fehlschaltungen" zu führen - denn die Angst muss ja "irgendwo hin". Meiner Meinung nach wird sie daher "projiziiert" bzw. "verschoben". Dahin, wohin sie eigentlich gar nicht gehört.

Was der Mensch schon immer fürchtete und heute noch fürchtet, das ist das "Unbekannte", das "Fremde". Auch das war früher einmal sehr nützlich, bewirkt heute leider oft das Gegenteil. Stellen wir uns einen Urmenschen vor, der einem unbekannten, großen Tier begegnet. Nun, da hieß es: Besser "abhauen", denn das kenne ich nicht, das kann ein Raubtier und gefährlich sein. Heute können wir mit Hilfe moderner Technologie physisch ungefährdet ein solches Tier beobachten (und auch untersuchen), und so feststellen, ob es ein Raubtier ist oder nicht. Nur unterliegen eben unsere Instinkte nicht dem Verstand. Und der Vernunft schon gar nicht. Fazit: "Fremdenhaß" (nur zur Verdeutlichung) ist negative Projektion - es ist in Wahrheit Angst. Unsere heutige Zeit gibt uns nicht die Möglichkeit "auszuweichen", d. h. "wegzulaufen". Sie zwingt uns, angesichts der (vermeintlichen) Gefahr "stehenzubleiben" - und das löst einen "Kampfreflex" aus. Wir werden "aggressiv". Auch das ist ein "Urinstinkt". Wenn ich nicht fliehen kann, dann muss ich um mein Leben kämpfen. Das Problem ist unsere heutige Gesellschaft - denn unsere früher sinnvollen "Überlebensmechanismen" haben hier keinen "Platz" mehr, sondern funktionieren nicht mehr "richtig", es kommt also ständig zu "Fehlschaltungen". Und es gilt - je mehr Aggressivität, desto größer in Wahrheit die Angst.

Das Glücksempfinden ist eine kurze Sache, bei der, ebenso wie bei Angstempfinden, bestimmte Neurotransmitter produziert werden. Wie sehr das aber auch zusammenhängt, machen "Hobbys" wie Bungeejumping klar. Angst als "Hochgefühl". Diese "Überlappung" und auch manche "Fehlschaltung" wird dadurch verursacht, dass für beide Empfindungen der gleiche Gehirnbereich zuständig ist - die Amygdala. Also kann es passieren, dass Glück Angst macht - und Angst glücklich. (Auch das "Hochgefühl" nach einem "Kampf", bedingt durch den "Sieg" steht im gleichen Kapitel geschrieben - und kann, so wie jedes andere "Glücksgefühl" auch, zu einer "Sucht" werden ...)

Es ist aber tatsächlich so, dass auch Angst kein "Dauergefühl" ist, das gar nicht sein kann. Wenn zu viel und zu oft Angst empfunden wird, erkrankt der Körper. Da kann man sich die Frage stellen - ist das bei Glück dann anders? Nein, eigentlich nicht, da liegt auch ein "Knackpunkt", weshalb Glücksempfinden nicht "festzuhalten" ist. Das würde uns sogar ernsthaft schaden, wenn es so wäre. Wir brauchen also das "Unglück" oder zumindest das "Nicht-Glücklichsein" für unsere geistige und körperliche Gesundheit. Das sollte man wissen, denn das macht vieles leichter. Das, was du als das "Unendliche" bezeichnest, ist etwas "Unbekanntes", denn wir können das nicht "einordnen", daher macht es uns Angst - wir bewerten es erst mal negativ. Der "ganze Mensch" besteht aus Vernunft, Verstand, Gefühlen und Instinkten. Über die ersten drei können wir, in individuell verschiedenem Maße, "Kontrolle" ausüben. Aber Instinkte (ich würde sie, zur Verdeutlichung, hier als eine Art "geistige Reflexe" bezeichnen) entstammen den "alten" Gehirnregionen, und sind daher nur schwer (und oft auch gar nicht) zu kontrollieren bzw. zu "steuern".

Zitat:
Wie fein "gesponnen" von der Sicherheit nicht zu ertrinken, wenn man nur erkennt bzw. diese Weisheit heilend begreift.
In unseren "inneren Weiten" können wir ertrinken - wenn wir nicht "schwimmen" können. Wir müssen auch hier erst das Schwimmen erlernen. Das hat mit "Kontrolle" nur bedingt zu tun. Eher damit, zu lernen - und dadurch zu verstehen. Es ist nicht nur möglich, den Körper, sondern auch den "Geist" zu trainieren. Natürlich funktioniert das nicht im "ad hoc"-Verfahren, das erfordert Zeit - und "geistige Arbeit". Wenn jemand ein einziges Mal ins Fitnessstudio geht, hat er ja auch nicht schon sofort danach Muskeln wie "Mister Universum". Was vor allem wichtig ist, ist der Wechsel der Perspektive. Das erfordert eben regelmäßige Übung, so, wie das körperliche Training auch. (Was bei mir dazu geführt hat, dass ich mich nicht alleine auf die Logik beschränke, sondern ganz gezielt "Denkmuster austeste". Das macht mich geistig "beweglich" und eröffnet mir neue "Horizonte". Ob nun in Sachen Rhetorik oder anderem. Beispielsweise ist auch mein schnelles Lesen etwas, das ich mir im Laufe der Jahre "antrainiert" habe - durch ständige Übung.) Wir können uns wirklich "trainieren", denn beim Gedächtnis oder beim Lernen funktioniert es ja auch - weshalb sollte sich das also nur auf ein, zwei Möglichkeiten beschränken? Dafür gibt es keinen wirklichen Grund.

Zitat:
Kann man diesen Geist haben oder weitet er sich erst durch Erfahrung aus?
Ist nur ein fragender Gedanke, den ich jetzt für mich spinne.
Hier kann ich nur für mich sprechen und meine ganz persönliche Ansicht darlegen. Ich denke, das "Potential" dafür "haben" wir. Aber wir müssen lernen und üben, es zu nutzen. Es wäre ja unsinnig, sich in Meer (also ins "tiefe Wasser") zu "stürzen" - wenn man nicht schwimmen kann, weil man es nicht gelernt hat ...

Zitat:
Allem, was hier gesagt wurde, schließe ich mich lobend an, von der "Machart" und vom Inhalt.
Und sollten mich wieder Wogen packen, dann lese ich es noch einmal und immer wieder.
Vielen, herzlichen Dank. Wellen können wir nicht standhalten, liebe Dana. Aber wir können uns von ihnen "tragen" lassen und "mitschwimmen". Sich "dagegen zu stemmen" ist die falsche Methode. Nicht nur unser "Geist", auch das Leben ist wie ein Meer - die "Wellen" wogen eben immer "auf und ab". Und Geist und Körper sind eine "Einheit". Das ist nicht voneinander zu separieren, denn der "Sitz" unseres Geistes, das Gehirn, ist ein physisches Organ.

Liebe Grüße

Stimme
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