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Alt 06.01.2013, 09:45   #8
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asphaltwaldwesen
 
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Gern sag ich etwas dazu, Thomas!


Ich komme ja eigentlich von der bildnerisch gestalterischen Seite her - da wird auch Schrift- und Plakatgestaltung, Lay-Out und optische Wahrnehmungspsychologie gelehrt im Studium. Und dann hat man da zwar natürlich auch gelernt, dass die Groß- und Kleinschreibung der schnelleren, semantischen Erfassbarkeit dient (wie auch optimale Zeilenanzahl, Schriftgröße, Zeilenabstände etc. für z.Bsp. bestmögliche Gestaltung von Werbetexten oder Merkblättern)...aber man hat eben abgesehen davon auch einen rein optisch künstlerischen Zugang zu allem, was in der Welt und Umwelt "sichtbar" ist - und da gibt es grade in dem Bereich gar nicht wenige, die - wie ich - die Optik einer durchgängigen Kleinschreibung und fehlenden Interpunktion sehr zu schätzen gelernt haben. Einfach, weil es schön aussieht.

Für mich ist Lyrik bzw. ein lyrisches Textgebilde eben mehr als nur der Inhalt, der in Sprache transportiert wird. Ein Gedicht ist für mich immer auch Bildnis. Und wenn ich vers libre schreibe oder - wie hier - sehr kurze aber durchkonstruierte, gereimte Lyrik, dann ist da auch eine "Fläche", die der Text einnimmt, die sehr überschaubar ist. Sozusagen Linien auf Papier, mit kleineren Strukturen, die wieder "Linien" (Zeilen) bilden. Wäre man Perfektionist und gäbe es per PC die Möglichkeit, würde ich viele Texte in Blockform haben wollen - doch Lyrik sollte sich dann doch an Umbrüchen orientieren, die dem Versmaß und den Silben geschuldet sind...sonst wird es - das sehe auch ich - zu unerschließbar. Aber wenn ich ehrlich bin, stören mich die rechts unterschiedlich auslaufenden Zeilen linksbündiger Setzungen oft - gerade bei kurzen und bei vers libre Stücken.

Du hast völlig Recht: das Fragezeichen wäre konsequenterweise verzichtbar. Eigentlich ist alles an Interpunktion bei durchgängig kleingeschriebenen lyrischen Texten ein schlechter Kompromiss... ich glaube auch, würde ich einen Gedichtband herausgeben, wäre ich radikaler als wenn ich meine Texte in Foren veröffentliche. Die Diskussionen jedoch bzw. die generelle Ablehnung und dazugehörige Argumentation, die man oft unter derart radikal gesetzter Lyrik lesen kann, sind einfach ermüdend und in 90 Prozent der Fälle auch nicht als Diskussionsansatz gemeint - sondern als geäußerte Empörung - verursacht durch welche Ängste auch immer von Leserseite. Die Bequemlichkeit eines grammatisch korrekt gesetzten Textes kann m.E. nicht der eigentliche Grund sein - ist doch oft die Metrik oder eine gewählte Gedichtform viel anstrengender zu lesen als ein durchgängig kleingeschriebener Text. Aber da wird nicht gemeckert - das gehört ja schließlich so - festgeschrieben durch die Lyriker der letzten Jahrhunderte

So. Ist etwas ausführlich geworden. Ist aber auch ein schwieriges Thema, das sich eben nicht mit der flotten Argumentation einer Mehrfachauslegbarkeit allein abhaken lässt. Obwohl ich auch schätze, dass durchgängig Kleingeschriebenes klanglich weniger einschränkt und m.E. mehr zum aufmerksamen, langsamen (!) Lesen zwingt als ein grammatisch üblicher Text.

LG,

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"Gedichte sind Geschenke an die Aufmerksamen" Paul Celan
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