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Alt 01.04.2017, 15:32   #13
Aphrodite
Schaumgeboren
 
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Lieber Thomas et al.,

eine - zur Abwechslung mal - recht interessante Grundsatzdebatte, die hier los getreten wurde, auch wenn, meiner Auffassung nach, der ursprüngliche Vergleich, um "Abgegriffen-Sein" zu veranschaulichen etwas schwammig ist.

Die von Dir, Thomas, kürzlich angesprochene zeitlose Qualität ist für mich z. B. ein Zeichen höchster Handwerkskunst, einem Unikats-Status gleichend, den z. B. der Herz/Schmerz-Reim mitnichten beanspruchen kann.

Er ist abgegriffen, wohl gleich einer antiken Statue, die aber trotz allen "Abgegriffen-Seins" einen künstlerischen Höchstwert beanspruchen kann.

Weiterhin ist es, denke ich, wichtig zu differenzieren, ob man etwas Bleibendes oder etwas Einzigartiges schaffen möchte - oder beides?

In meinem Augen ist es die künstlerische Maxime, beides zu schaffen; das lyrische Schaffen im Rahmen der Dichtung ist für mich höchstes Kunsthandwerk, das für mich mindestens höchsten ästhetischen, sprachlichen und wissenschaftlich/technischen Ansprüchen (im Rahmen der Formgebung) genügen muss; ich schrieb einmal vereinfacht: Für mich besteht die Kunst der Lyrik - das eigentliche Handwerk - darin, ein Versmaß/eine Form zu bedienen, ohne die Schönheit der geschriebenen und gesprochenen Sprache anzutasten.

Damit habe ich, nebst der "offiziellen" Definition, die ich im Übrigen nicht einmal kenne, mein Verständnis von Lyrik geschaffen, für welches ich einstehe und welchem ich nachstrebe. Und ich denke, im Rahmen eines solchen, individuellen Verständnisses, findet auch die von Dir angesprochene Bewertung des Herz/Schmerz-Reimes (z. B.) statt, wie - meines Erachtens nach - überhaupt vieles in der Lyrik auf Individualität fußt, worin sich für mich auch die unfassbare Vielfalt der Lyrik begründet.

Was meine Auffassung von Lyrik betrifft, so stoßen mir in den von Dir angeführten Versen Schillers ganz andere Teile auf als der Herz/Schmerz-Reim, die aber, wie auch Du bereits einräumtest, wohl dem damaligen Duktus entsprechen. Heute sehe ich dagegen im sprachlichen Bereich andere Möglichkeiten, verwehre mich gegen Ellipsen, Apokopen, das Dativ-e und dergleichen, da sie heutzutage - für mich(!) - ein Ausdruck von unzureichender Wortgewandtheit und Finesse sind und meist die Sprache brechen und enthaupten, um eine Form zu bedienen, die eigentlich weit über den Möglichkeiten des Schreibers liegt.

Der andere Dichter mag entgegnen: Das siehst Du falsch - grad meine trickreiche Anwendung verschiedener Kniffe ist doch ein Ausdruck meiner sprachlichen Finesse; und genau da wird - in meinen Augen - die Grundsatzdebatte in Kreisbahnen verlaufen. Und genau das macht - in meinen Augen - auch die fundierte Diskussion über anderer Leute Werke schwierig. Man kann sich selbst in seinem sich aufgezwungenen Rahmen wohl bemängeln, aber kenne ich den Rahmen des anderen?

Was in der Lyrik auch schwierig ist, ist die Tatsache, dass jedes Werk ein Unikat ist. Um die Brücke zu schlagen: Der Herz/Schmerz-Reim kann diesen Status nicht beanspruchen, aber vermutlich jegliches Werk, in dem er enthalten ist. Ergo kann er, in meinen Augen, zu einem lyrischen Kunstwerk gehören, oder eben nicht - nächstes Problem, wie definiert der entsprechende Schreiber ein lyrisches Kunstwerk? Da die ganze Thematik stark von Individualität (und mE weniger von Zeitgeist, in der heutigen Zeit ist ja alles vertreten) geprägt ist - in diesem Sinne kommt ein anderer meiner Grundsätze zum Tragen: Leben und leben lassen. Der eine findet die oft genutzten Reime abgegriffen und verbraucht und somit schlecht und der andere nicht; und ich lasse beide sein.

Das war jetzt bestimmt alles verwurschtelt und nicht wirklich fundiert, aber wenigstens konnte ich mich zu dem Thema auch mal auslassen.

Danke für die Gelegenheit und beste Grüße,

Aphrodite
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