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Alt 11.02.2017, 18:42   #4
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Koko!

Du solltest nicht allzu viel Asche auf dein Haupt streuen - hätte ich das ursprüngliche Gedicht nicht für bereits gut befunden, hätte ich es nicht kommentiert.

Viel bleibt mir nicht mehr zu vermelden:

Du hast nun einen sich wiederholenden Hebungsrhythmus von 6-6-5-5, das liest sich überraschend gut.

Die Kadenzen sind nicht angeglichen, was aber auch nicht wesentlich ins Gewicht fällt. Bedenkt man den nötigen Aufwand für eine Angleichung, könnte man auch gleich ein neues Gedicht schreiben!

Die Zusammenhänge, gerade in S3, sind nun klarer und weniger kryptisch. Dennoch rate ich dir, zumindest den Titel dahingehend zu ändern (oder einen entsprechend erklärenden Untertitel beizufügen), dass er dem Leser hilft, die Stimmung der beiden ersten Strophen und die Konsequenz der letzten besser zu deuten, sodass man weiß, dass es um die Last eines Missbrauchs durch elterliche Gewalt geht.

Zudem rate ich dir, die mittlere Strophe ganz nach oben zu stellen, und zwar deshalb: Die jetzige S2 endet damit, dass das Kind sich (noch) in Sicherheit wiegt. S3 beginnt damit, dass das Kind lebenslang glaubt, "dass das so sein müsste". Gemeint ist natürlich die erlittene Gewalt, aber durch den Inhalt der Vorzeile bezieht der Leser es - und auch mir ging es so - auf das In-Sicherheit-Wiegen! Das verwirrt. Wechselst du die Strophen, steht in der Vorzeile nun: "und alle Wesen stiller in sich leiden." - Das passt genau auf das, wovon das Kind glaubte, es müsse wohl immer so sein.
Außerdem wäre die Strophe mit den abweichenden Kadenzen nun in der Gedichtmitte, was nun einen klaren Rhythmus in den Wechsel bringt.

Nähmest du meine Ratschläge an, sähe das Werk nun so aus:


Nebel-Geheimnis
(Das geprügelte Kind)

Der Gnadenhimmel, dessen Sternkleid glanzlos liegt
wirft Feuchtigkeit durch grob verfugte Mauerspalten.
Noch als die Nebel vor dem Tore wallten,
hat sich das Kind in Sicherheit gewiegt.

Es senkt der Nebel sich auf dürre Trauerweiden,
der Regen klopft an unterkühlte Fensterscheiben
in einer Nacht, da dunkle Träume bleiben,
und alle Wesen stiller in sich leiden.

Es dachte lebenslang, das müsste wohl so sein,
denn jene schmalen Schultern, die sich heut noch neigen,
belegten sie mit dem Gebot, zu schweigen.
Das Kind im Manne bleibt verstummt, allein.


Sehr gern - nun sogar ausgesprochen gern - erneut gelesen!

Du solltest die endgültige Version übrigens durchaus nach oben in deinen ersten Post stellen. Wenn du die Ursprungsversion nicht tilgen willst, so stelle die überarbeitete Version darunter, denn bei weitem nicht alle Besucher machen sich die Mühe, alle Beiträge in einem Faden zu lesen.


Als Lehrer stolpere ich immer wieder über Fälle geschlagener Kinder - es sind jene, die sich instinktiv wegducken, wenn man in ihrer Nähe plötzliche Bewegungen macht. Wenn keine eindeutigen Spuren zu erkennen sind, ist es nahezu unmöglich, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen, denn das Kind liebt trotz allem seine Eltern und möchte ihnen nie bewusst schaden - oder es ist dermaßen eingeschüchtert, dass es sein Leid lieber in Kauf nimmt - oder, am schlimmsten, wie du schreibst: Dass es das als gegeben und selbstverständlich nimmt! (Bei mir war das so - aber das waren in den 60ern auch andere Zeiten!)

Als ich aufwuchs, war das noch kein Thema - ich bekam öfter mal schallende Ohrfeigen oder wurde mit dem Teppichklopfer vertrimmt. Ich erinnere mich, dass es weh tat, aber nicht so, dass ich hätte schreien müssen. Viel schlimmer war ohnehin die Demütigung so eines Übergriffs, der mir mein Ausgeliefertsein und meine kindliche Hilflosigkeit vor Augen führte. Natürlich nicht bewusst - aber das Kind spürt instinktiv die sozialen Mechanismen, denen es unterliegt.
Noch jahrezehntelang aber hielt ich meiner Mutter die einzige "Watschen" vor, die ich als Kind tatsächlich als ungerecht empfunden hatte, weil ich schon damals überzeugt gewesen war, sie nicht verdient zu haben! Ich hatte in der 2. Klasse Volksschule meine Lehrerin zu Fuß nach Hause begleitet, weil ich mich angetragen hatte, ihr eine Tasche mit Schulheften zu tragen. Dadurch (die Lehrerin war alt und nicht gut zu Fuß) kam ich erst 2 Stunden später als gewöhnlich nach Hause. Meine Mutter war schon weg, mich überall zu suchen - sie muss sich schreckliche Bilder ausgemalt haben, was mit mir hätte passiert sein können! Als sie heimkam und mich sah - gesund und wohlauf - war ihre erste Reaktion, auf mich zuzustürzen und (ja, ich dachte auch erst an eine Umarmung) mir unvermittelt eine zu scheuern, ehe sie vor Erleichterung weinte und schimpfte zugleich!
DAS habe ich ihr nie verziehen, denn aus meiner Sicht war ich nur nett und höflich zu meiner Lehrerin gewesen, nichts weiter. An die Sorgen meiner Mutter hatte ich nicht gedacht! Ich verstand anhand ihrer Tränen zwar rückwirkend ihre Lage, aber diese Ohrfeige hätte nicht sein müssen, bei aller nervlichen Anspannung! Ich glaube, ich ließ sie damals ausreichend büßen, indem ich sie tagelang schnitt und jegliche Zärtlichkeit und Nähe verweigerte. Ich war echt gekränkt - nur dieses eine Mal. Alles anderen Übergriffe betrachtete ich als Knabe als verdient für etwas, das ich zuvor ausgefressen hatte, sie hinterließen keine seelische Macke.


LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (14.02.2017 um 20:13 Uhr)
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