Lieber Thomas,
Zitat:
Was Goethe da macht ist meiner Meinung nach völlig in Ordnung, man soll das Metrum ja gerade nicht lesen (da man sonst leiert), weshalb ich gerne von Rhythmus spreche, welcher das Metrum zur Grundlage braucht, aber nur zur Grundlage.
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Dem stimme ich zu, ich sprach ja nicht von einer Kritik an Goethe, und erinnere mich daran, worauf zum Thema
Metrischer Rhythmus schon Wolfgang Kayser in seiner Versschule hingewiesen hat. Er fragt, was geschieht, wenn der Rhythmus eines Gedichtes möglichst nah beim Metrum bleibt, jede Hebung erfüllt wird und die Einschnitte beim Sprechen immer nur den Schnitten des Schemas entsprechen. Kayser geht diesen Fragen am Beispiel eines Gedichts von August Graf von Platen nach:
Süß ist der Schlaf am Morgen
Nach durchgeweinter Nacht,
Und alle meine Sorgen
Hab ich zur Ruh gebracht.
Mit feuchtem Augenlide
Begrüß ich Hain und Flur:
Im Herzen wohnt der Friede,
Der tiefste Friede nur.
Schon lacht der Lenz den Blicken,
Er mildert jedes Leid,
Und seine Veilchen sticken
Der Erde junges Kleid.
Schon hebt sich hoch die Lerche,
Die Staude steht im Flor,
Es ziehn aus ihrem Pferche
Die Herden sanft hervor.
Das Netz des Fischers hanget
Im hellsten Sonnenschein,
Und sein Gemüt verlanget
Der Winde Spiel zu sein.
So geht es noch sechs Strophen weiter, stellt Kayser fest. Der Gesamteindruck sei der einer hölzernen Starre. Man könne beim Lesen das berühmte »Leiern« kaum vermeiden, das in der Gleichmäßigkeit der kräftigen Hebungsschweren und der völligen Gleichheit der Hebungsabstände bestehe. Dem Gedicht fehle die innere Spannung, die Bewegtheit, der Rhythmus sei vom genau erfüllten Metrum aufgezehrt worden.
Also genau, was du sagst, Thomas.
LG Fridolin