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Alt 16.04.2010, 02:54   #9
Pedro
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Viele Menschen, Männer, Frauen, Kinder, Alte, Junge. Campanas Hochzeitsfest hat begonnen. Die Schwester seiner Frau arbeitet bei der Gemeindeverwaltung in Tomé, deshalb kann er seine Feier in der Schule in Coliumo machen. Ein kleines, einstöckiges Gebäude im Grünen.
Ein Klassenzimmer ist mit vielen Blumen geschmückt, alle sitzen auf Stühlen vor langen Tischen. Die Standesbeamtin erledigt die Trauung, professionell und unpersönlich. Alle sind gerührt. Campanas Frau musste auf diesen Tag zwanzig Jahre lang warten, hat sie mir erzählt. Sie ist jetzt glücklich.
Nach der Trauung wünschen alle Glück und überreichen teilweise Geschenke. Ich habe Campana ein Schaf zum Grillen geschenkt, seiner Frau ein Armband und Ohrringe, die sie sich selber wohl nie gekauft hätte. Sie freut sich riesig, zeigt ihren Schmuck überall herum. Niemand würde denken, dass sie eine Frau aus dem Viertel hier ist, etwa vierzig Jahre alt, schlank und hübsch, die dunklen Haare hoch gesteckt, unauffällig geschminkt, ein helles modernes Sommerkleid hat sie an. Sie geht überall herum, nimmt Glückwünsche entgegen und strahlt. Campana ist immer an ihrer Seite, scheint sich etwas unbequem in seinem neuen Anzug und dem gestärkten weißen Hemd mit Krawatte zu fühlen.
Laufend wird Sekt angeboten, eine Unmenge Happen, mit Muscheln und Fisch belegt, gibt es.
Ich gehe in den Hof. Campanas Bruder steht sofort neben mir und reicht mir ein Glas Rotwein, das wievielte ist das heute?
Ich setze mich in den Schatten eines Baumes, etwas abseits, hier ist es ruhiger.
Plötzlich kommt jemand von hinten, hält mir die Augen zu und gibt mir einen Kuss auf den Hals.
Ich drehe mich um und sehe Viviana.
Viviana, eine Freundin von mir, als ich vor vielen Jahren allein in Chile war. Sie studierte damals Kunst und kam immer abends zu mir. Eines Tages fragte sie mich dann, wann wir endlich heiraten würden. Ich fiel fast aus den Socken, erklärte ihr, dass ich noch nicht einmal geschieden wäre. Sie sprach dann von Schwierigkeiten, die sie mit ihren Eltern habe, wenn sie immer nachts bei mir wäre, auch die Nachbarn schauten schon komisch.
Als ich dann fragte, was ihre Eltern den Nachbarn erzählen würden, sagte sie: „ Die sagen, dass ich nachts einen alten, kranken Mann hüten würde!“
Ich lachte und sagte ihr, dass das ja stimme.
Es war eine sehr schöne Zeit mit ihr.
„ Ich lebe jetzt in Santiago, bin verheiratet und habe drei Kinder. Mein Mann ist Lehrer und fürchterlich eifersüchtig. Am besten wir tun, als wenn wir uns nicht kennen würden!“, sagt sie leise.
Sie gibt mir schnell einen Kuss, diesmal auf den Mund und läuft davon.

Im Hof werden zwei Schafe gegrillt, Gemüse und Kartoffeln zubereitet.
Ich treffe Don Juan. Seine feinsten Kleider hat er angezogen, einen dunklen Anzug und ein passende Jacke dazu, ist etwa siebzig Jahre alt, hat schon öfter für mich gearbeitet. Er trinkt keinen Alkohol mehr, war Alkoholiker.
„ Allerhand los hier heute“, sagt Don Juan zu mir, „wie geht’s denn so?“
„ Gut, wie soll es einem hier schlecht gehen, bei dem vielen gutes Essen und Trinken. Wie geht es Ihnen?“
„ Ich hatte in letzter Zeit einige Probleme mit meinem Rücken, aber jetzt geht’s wieder besser. Das ist halt das Alter!“
Campana kommt, die Krawatte ist verschwunden. Er fragt mich, ob ich auch alles hätte, was ich brauche, genug zu essen und zu trinken.
„Viel zu viel“, sage ich, Ihnen zu Ehren habe ich einen Anzug angezogen, bekomme die Hose kaum zu.“
Er lacht.
Dann kommt das Essen, Hammel vom Grill, Salate, Kartoffeln, Gemüse und sehr viel Rotwein.
Ich rede mit meinen Tischnachbarn, sie sind fast alle von hier, aus diesem Viertel, kennen mich inzwischen oder wissen mindestens, dass ich der Deutsche bin, der da oben auf dem Hügel ein Haus hat und jedes Jahr für einige Monate kommt.
„ Ja, in so einem kleinen Kaff weiß jeder fast alles von jedem“, sagt jemand am Tisch zu mir. „Hier ändert sich nichts und passiert nichts, das Leben wird nicht besser, aber auch nicht schlechter. Der Fischfang ist allerdings schlechter geworden“, fügt er dann hinzu. Er ist Fischer wie so viele hier.
Ich frage ihn, ob hier viel gestohlen wird.
„Nur kleinere Dinge, auch mal eine Wasserpumpe wird mitgenommen, aber sonst passiert wenig hier. Fast immer sind es irgendwelche Jugendliche, die zu viel getrunken haben.“
Wir gießen uns gegenseitig Wein ein, er hat schon einiges mehr getrunken als ich, sagt, dass er wohl mal besser an die frische Luft gehen sollte. Ich begleite ihn.
„Sagen sie mal, ist es in Deutschland jetzt wirklich so kalt?“ fragt er mich.
„ Im Winter, haben wir schon tiefe Temperaturen im Vergleich zu hier, öfter unter null Grad. Aber alles wird beheizt, die Häuser und die Busse auch.“
Einer, der zu viel getrunken hat, wird gerade von zwei jungen Männern nach Hause gebracht. Das passiert hier ohne jeden Skandal. Die Leute kennen sich alle, auch die ganz alten Menschen sind dabei, der Urgroßvater gehört dazu, wird mitgenommen und wieder nach Hause gebracht.
„ Der Victor hat mal zu wieder zu viel getrunken, ist das nicht gewöhnt, lebt meistens bei seiner Mutter in Santiago“, sagt jemand nehmen mir. Ich schaue den Victor an, er hat eine bayrische Trachtenjacke an, an der ein Knopf fehlt.
„ Victor?“, frage ich.
„Ja, das ist der Victor Perez, der gerade bei seinem Vater zu Besuch ist.“

Alle setzen sich wieder an die Tische, es gibt Eis und Pisco-Schnaps dazu in großen Mengen. Die Stimmung wird immer ausgelassener.
Ich sitze jetzt neben Don Juan.
„ Bei uns in Deutschland gibt es ein Haufen Probleme mit Jugendlichen, die zu viel Alkohol trinken. Wie ist das hier?“ frage ich ihn.
„ Probleme? Nein, eigentlich gibt es kaum Probleme mit den Jungen, mal ein paar Streiche, aber nicht mehr!“
„ Und Claudia Palma?“, frage ich ihn.
Er schluckt, sagt zunächst nichts und beginnt dann etwas zögernd:
„ Das war etwas anderes, so was war bei uns noch nie vorher passiert.“ Er schüttelt den Kopf. „Darüber spricht auch keiner gerne hier. Die Claudia war schon immer ein besonderer Fall. Sah so toll aus, machte alle dadurch an und hatte nie einen Freund hier. Sie glaubte wohl, sie wäre etwas Besonderes und wartete auf einen Prinzen. Die hier waren ihr wohl nicht gut genug. Im vergangenen Februar ist sie dann vergewaltigt worden, wohl von zwei Männern, der eine soll von auswärts gewesen sein. Dass sie sich danach gleich das Leben genommen hat, versteht auch niemand hier!“
Ich stehe auf, es ist Zeit für mich zu gehen. Die Leute haben angefangen zu tanzen, ich dränge mich hindurch, Campana kommt.
„Warum gehen denn Sie so früh?“ fragt er mich, „ hat es Ihnen nicht gefallen?“
„ Doch, doch, alles war prima, vielen Dank noch einmal für die Einladung. Ich muss noch etwas arbeiten. Sie wissen doch, dass ich ein Buch schreibe.“
Er begleitet mich zur Tür, und ich sehe jemanden gerade verschwinden, den ich kenne: El Pato.
Ich frage Campana, wer das sei.
Er sagt: „ Das ist jemand, der hier nicht wohnt und auch nicht hier hingehört, jemand von auswärts, kein guter Mensch! Er hat einen Onkel hier, dem er ab und zu beim Fischfang hilft.“
Ich gehe langsam aus dem Hof und sehe wieder den Mann aus dem Elendsviertel. Ich spüre, wie er mir nachschaut.
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