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Alt 17.01.2012, 13:26   #6
Stimme der Zeit
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Hallo, liebe Chavi,

Ende Juni letzten Jahres habe ich auch einmal ein Gedicht mit dieser Strophenform geschrieben. Allerdings denke ich, dass ich vor gut einem halben Jahr noch ganz anders geschrieben habe, als es heute der Fall wäre.

Und du weißt ja, wie gerne ich experimentiere. Daher habe auch ich damals gegen "Regeln verstoßen", um auszutesten, welche Wirkung das hat. Mich stört es daher keineswegs, dass du Reime verwendet hast, ich tat das in der letzten Strophe (es waren insgesamt vier) ebenfalls - ich wusste damals einfach nicht, was den "Charakter" dieser antiken Strophenform ausmacht. Heute jedoch würde ich gin zustimmen. Die alkäische Ode wird nicht wirklich "gesungen", sondern erfordert eine Art "Sprechgesang", damit hat er recht.
Der Charakter der alkäischen Ode entfaltet sich beim Vortragen, und da üben gerade die fehlenden Endreime eine besondere Wirkung aus und "unterstreichen" den Pathos, der zu dieser Form gewissermaßen "dazugehört" (zu beachten sind in dieser Hinsicht bei den unten angeführten Beispielen auch die Enjambements). Wenn man dann noch z. B. im stark betonten Vortrag bei Zäsuren bzw. Satzzeichen "dramatische Pausen" macht, erhöht sich die "Wirkung" auf die Zuhörer.

Ich meine das nicht als Kritik, nein. Es ist nur so, dass ich seither schon dazugelernt habe. Und bin heute der Ansicht, dass bei dieser Odenform nicht auf Interpunktion verzichtet werden sollte - auch sie ist ein "dramaturgisches Element". Wobei ich aber auch sage, dass die Zäsuren nicht unbedingt als "eherne Gesetze" angesehen werden müssen, denn Hölderlin schrieb fantastische Oden, bei denen er sich, die Zäsuren betreffend, durchaus seine Freiheiten nahm:

DIE GÖTTER

Du stiller Aether! immer bewahrst du schön
..Die Seele mir im Schmerz, und es adelt sich
....Zur Tapferkeit vor deinen Strahlen,
......Helios! oft die empörte Brust mir.

Ihr guten Götter! arm ist, wer euch nicht kennt,
..Im rohen Busen ruhet der Zwist ihm nie,
....Und Nacht ist ihm die Welt und keine
......Freude gedeihet und kein Gesang ihm.

Nur ihr, mit eurer ewigen Jugend, nährt
..In Herzen die euch lieben, den Kindersinn,
....Und laßt in Sorgen und in Irren
......Nimmer den Genius sich vertrauern.


An die Parzen

Nur Einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!
..Und einen Herbst zu reifem Gesange mir,
....Daß williger mein Herz, vom süßen
......Spiele gesättiget, dann mir sterbe.

Die Seele, der im Leben ihr göttlich Recht
..Nicht ward, sie ruht auch drunten im Orkus nicht;
....Doch ist mir einst das Heil'ge, das am
......Herzen mir liegt, das Gedicht, gelungen,

Willkommen dann, o Stille der Schattenwelt!
..Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspiel
....Mich nicht hinab geleitet; Einmal
......Lebt ich, wie Götter, und mehr bedarfs nicht.

(Allerdings ist etwas, im Unterschied zu ginTons Beispiel, deutlich erkennbar: Hölderlin setzt innerhalb eines Verses keinen Punkt, die Ausrufezeichen sind da etwas anderes. Auch in seiner Ode "Abschied" macht er nur eine einzige - gewollte - Ausnahme.)

"Abschied", besitzt 9 Strophen. Es handelt sich hier lediglich um eine Strophenform, und es steht dem Dichter frei, selbst über die "Länge" der Ode zu entscheiden.

(Von daher halte ich meinen damaligen Versuch für überhaupt nicht gelungen, es fehlte der "richtige" Pathos und auch die letzte Strophe hätte ich nicht reimen dürfen. Aber jedes Experiment ist eine gute Übung, sie schult das "Sprachgefühl" und erweitert den "Gedichte-Horizont". Und das ist ja immer eine positive Sache! )

Ich spreche dir aber die Empfehlung aus: Versuche es mal, denn das "Sprachmoment" für eine richtige Ode, das hast du. Dort liegt nämlich gerade mein Schwachpunkt, bei dir dagegen eine deiner Stärken. (Von der ich mir gelegentlich gerne eine Scheibe abschneiden würde, das gebe ich offen zu! )

Gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
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