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Alt 01.07.2017, 11:35   #4
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Koko!

Das ist aber ein langer Kommentar geworden! Na, das Thema verdient es auch!

Erst mal: Ich stimme deinen Ausführungen rückhaltlos zu. Peinlich eher, dass die Mehrheit im Bundestag selbst heutzutage noch so dünn war!

Das mit den Schwulen sollte schon längst selbstverständlich sein, und Demokratie spielt sich in den Köpfen naiver Idealisten ab, die in der Schule etwas auswendig gelernt haben, um nie wieder darüber nachdenken zu müssen. (Allerdings: Diese korrupte Fassade ist mir zehnmal am Arsch lieber als eine einzige neue Diktatur der Recht(s)schaffenen von vorn!)

Was ich noch beitragen könnte: Was du erzählt hast davon, dass es in der Gesellschaft seit den Neunzigern "en vogue" wäre, schwul zu akzeptieren usw. - das gilt m-E. bestenfalls für eine eher dünne Schicht von Inelligenz- und Bildungsbürgertum, vielleicht noch die Schicki-Micki-Szene, die immer auf der Suche ist nach einem Ausweg aus ihrer dünkelhaften Langeweile, und einem marginalen Bevolkerungsanteil, der einfach Verständnis und Herzenswärme vor Verachtung, Klischee und Vorurteil stellt.

Ansonsten ... - Ich war 15 Jahre lang Rocker, wie du weißt. Ich habe die ganze Palette der Bevölkerung sozusagen hemmungslos und nautnah erlebt, bis runter zu den ganz und gar Gehirnlosen! Und dort, wo Bildungsferne, pure Blödheit und Machismo regieren, dort sind die Homophobie, bzw. die bodenlose Verachtung für anders Liebende nach wie vor zutiefst verankert, werden sogar hochgehalten wie eine Trophäe, mit Schimpfwörtern garniert, um sich gegenseitig immer wieder dessen zu verichern und sich darin zu bestärken, wie "mannhaft" und "straight" man selber doch sei. Dafür muss man dort gar nicht Nazi sein - es sind die "ganz normalen" Familienväter und Hackler (österr. für: manuell Arbeitende), die beim Bier über alles herziehen, was nicht ihren von den eigenen Eltern unbewusst übernommenen sog. "gesunden" Werten und Normen entspricht.
Dazu bedarf es auch gar nicht mal der Religion! (Obwohl ich bezügleich deiner Argumente und Ausfahrungen dazu natürlich ganz mit dir konform gehe!)

Es ist diese stupide, alltägliche Kleingeitigkeit und gedankenlose Wesenskälte, die mir immer noch das Blut gefrieren lässt: wie die Täter in den Gaskammern, die "wussten, dass sie das Richtige taten" und nach dem "Dienst" an Sache und Vaterland als liebevolle Väter und Ehegatten heim zur eigenen geliebten Familie gingen!
Das Fremde, das Andere war das Böse, war entmenschlicht und wurde zurecht bekämpft und ausgerottet! - Die eigenen Kinder waren natürlich ganz selbstverständlich viel zu "normal", um je schwul oder lesbisch werden zu können! Undenkbar! Wunderbar einfach und wohlgeordnet, so eine kleine schwarz-weiße Welt!

Der denkende Mensch macht sich zuweilen kein objektives Bild davon, wie tief diese Stumpfheit selbst heute noch verbreitet ist und gepflegt wird! Wie die alten Nazis nach dem Kriege wissen diese Schichten, dass es im Augenblick nicht "angesagt" ist, diesen instinktiven Hass offen oder öffentlich an- oder auszusprechen, sie beugen sich der ungeliebten "modernen" Fassade eines aufgeklärten und toleranten Staates und schwimmen mit, um nicht anzuecken, machen nur heimlich böse Gesichter dazu, wenn gebildete und offene Menschen im Fernsehen über ihre Neigung sprechen, als wäre sie selbstverständlich, oder wenn sie in der Werbung neuerdings schwule Pärchen sehen müssen - nur bei Bier oder Schnaps im Wirtshaus oder eben auf Bikerfesten kommt es raus: Dann sind "Schwuchtel", "Arschficker" oder "Schwanzlutscher" die absoluten Schimpfwörter der Wahl, wenn jemand beleidigt oder gedemütigt werden soll. Immer noch. Weiterhin. Nach wie vor.

Traurig.

LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (01.07.2017 um 11:41 Uhr)
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