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Alt 06.12.2011, 14:41   #4
Justin
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Liebe Stimme,

Deine Ausführungen waren sehr interessant und ich muß Dir in allen Dingen recht geben. Die inhaltliche Ausrichtung des Gedichtes war aber anders angedacht. Nämlich so, wie es Chavali erfaßt hat. Unter dieser Halbkugel oder Käseglocke, wie Du es nennst, befinden sich Menschen in Notsituationen - sei es durch Krankheit oder Behinderung gleich welcher Art. Je schwerer das Ausmaß, um so weniger wahrscheinlich ist es, diesem Teufelskreis zu entfliehen. Der Mißbrauch der Psychologie besteht darin, sich in gefälligen Phrasen immer aufs Neue zu wiederholen. So als hätte man von sich aus nie etwas unternommen und müsse nur anders herangehen: durch Überwinden, Aufklären usw. Das alles ist heiße Luft, weil sich Menschen dem Aufklären am liebsten entziehen. Ich käme nicht zum Ende, wenn ich alles aufzählen wollte. Hilfe ist dann möglich, wenn dadurch die Wurzel des Übels behoben werden kann. Ist das aber nicht der Fall, liegt also eine Art Unheilbarkeit vor, dreht sich alles nur im Kreis. Und trotzdem geht das Lavieren weiter. Das mißfällt vielen Betroffenen und sie haben keine Lust mehr, sich einem solchen Apparat auszusetzen...

Die virtuelle Welt war also nicht gemeint. Sie ist trotzdem aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken und hat auch ihre guten Seiten. An anderer Stelle habe ich schon von einem offenen Fenster gesprochen, das Kommunikation zuläßt, die es vorher nicht gab. Für einen Personenkreis wenigstens ein kleiner Ausgleich für viele Entbehrungen. Natürlich muß man auch an Auswüchse denken, die in Zukunft entstehen und weniger schön sind. Die Vernetzung von Mensch-Maschine wird auch auf die medizinische Seite übergreifen und viele ethische Probleme heraufbeschwören. Aus eigener Erfahrung habe ich so etwas schon erlebt und weiß, was sich da entwickelt. Die PID-Diskussion ist ein gutes Beispiel dafür. Jede Frau möchte Behinderung ausschließen und ein gesundes Kind zur Welt bringen. Das ist verständlich. Doch zweifle ich manchmal am Rüstzeug dieser Personen, wenn sie wirklich damit konfrontiert würden. Denn sie übersehen, daß die meisten Behinderungen erst im späteren Leben eintreten. Es gibt somit durch die PID keine Garantie auf lebenslängliche Gesundheit. Ich gehe noch weiter und behaupte, daß eines Tages Versicherungen Leistungen verweigern könnten mit dem Verweis, man hätte sich ja operieren lassen können. Sogar ein möglicher Zwang zur Operation ist denkbar. Wir erleben eine angestrebte Perfektion des Menschen, die nicht nur wohl tut und immer eine Utopie bleiben wird. Leider wird das noch zu wenig erkannt. Die Gegenseite muß es so empfinden, als ob bestehende Behinderung, die nicht behoben werden kann, gar nicht mehr gewollt ist. Trotz aller Beteuerungen, daß es so nicht sei, drängt sich dieser Eindruck geradezu auf.

So wie Du, liebe Stimme, bin auch ich nicht mehr so jung, und darin kann auch ein Vorteil liegen. Es bleibt einem erspart, was noch so alles kommen könnte. Weil sich die Lebensspanne verkürzt, trifft einen hoffentlich nicht das Schlimmste.


Liebe Chavali,

wie Du schon lesen konntest, lagst Du richtig in Deiner Annahme. Die Ausgrenzung, von der Du sprichst ist durch Gegebenheiten vorprogrammiert. Man kann sie nur schwer von sich weisen, weil es die Umstände einfach nicht zulassen. Die Wand unter der Glocke ist zu dick, um sie durchbrechen. Darin stimmen wir überein.

Dich und Stimme muß ich aber in einer Sache korrigieren. Und das betrifft den vermeintlichen Pferdefuß mit der Äußerung von der "Modeerscheinung". Im Gespräch mit meiner Ärztin war der Begriff auf eine andere Situation zugeschnitten. Die Ernsthaftigkeit von Burnout und Depressionen sollte nicht infrage gestellt werden. Stattdessen ging es beim Wasserkopf um das Übermaß an psychologischen Ergüssen, einem Eiertanz, der zu nichts führt und unerträglich sein kann (Geschwätz vom Therapeuten etc). So wie ich es an einer neurologischen Klinik erlebt hatte, als es um streßbedingte Schlaflosigkeit ging. Dieser Aufenthalt hat so gut wie nichts gebracht und ich werde mich nie wieder dort hinbegeben.

Ab und an wird bei Depressionen und Burnout trotzdem von Modeerscheinung gesprochen. Nicht immer ist es ganz von der Hand zu weisen. So ähnlich wie bei Alzheimer. Was früher unter Vergeßlichkeit des Alters fiel, wird heute manchmal vorschnell als Alzheimer bezeichnet. Das kann scih dann als falsch herausstellen. Meine Ärztin ist aber zu erfahren, um das eine und andere nicht unterscheiden zu können. Ein einseitiges Klischee bedient sie aber wirklich nicht.

Chavali, wenn mit dem Begriff "Modeerscheinung" ein Mißverständnis aufgetreten ist, müßte ich unter Umständen nach einer neuen Formulierung suchen - zumal es ja Stimme auch anders aufgefaßt hat als es gemeint war.

Ich danke Euch beiden für Eure Einträge, über die ich mich sehr gefreut habe.

Liebe Grüße

Justin
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