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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 20.06.2015, 10:42   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Registriert seit: 18.02.2009
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Standard Nachtgestalten

Die Nacht entbietet vielerlei Gestalten,
erprobte Schatten aus verlebten Jahren.
Gefährten meiner Tage, die sie waren,
beschreiben sie die Furcht, die sie verwalten:

Der Leib im Spiegel, er wird auch erkalten
wie alle anderen - die Menschenscharen,
gewesen und ins Nichts hinabgefahren,
ob jung an Jahren oder reich an Falten.

Und selbst die Namen, die wir noch behalten:
Entkernte Hülsen, von der Zeit entsegnet,
Mementi mori ohne Klang und Leben!

Die Nacht entbietet vielerlei Gestalten,
doch wo die letzte deinem Blick begegnet,
vermag sie dich der Sorgen zu entheben.
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (01.03.2017 um 00:00 Uhr)
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Alt 21.06.2015, 19:45   #2
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Standard

Servus Erich,

Nachtgestalten habe ich in meinem Leben sehr viele getroffen, das kann ich dir versichern, denn ich habe Jahre meines Lebens viele Nächte lang beruflich auf den Straßen verbracht und da sind so manche von ihnen aus ihren Löchern gekrochen.
Ich war ja fast schon selbst eine Nachtgestalt, doch habe ich den Kontakt zum Tage nie verloren und bin auch glücklicherweise bisher der letzten Nachtgestalt noch nicht begegnet, zumindest nicht persönlich, sehr wohl aber den Ergebnissen solcher Begegnungen von anderen Menschen.

Man sollte ruhig ab und zu an die eigene Vergänglichkeit denken, sie erinnert dich an die Unbedeutsamkeit der Ereignisse. Auf der anderen Seite sollte man dies nicht zu oft praktizieren, weil es dir das Leben auch ganz schön verleiden kann.

Auch Namen sind nur Schall und Rauch und bleiben letztlich tatsächlich leere Hülsen.
Da ist wirklich der einzige Trost, dass die Begegnung mit der letzten Nachtgestalt, was übrigens eine sehr ansprechende Metapher ist, dich neben dem Leben auch von allen Sorgen enthebt.

Traurig, aber wahr, c'est la vie...

In diesem Sinne hat mir dein wehmütiges Sonett gut gefallen...

Übrigens war mir der Begriff "Mementi mori" nicht geläufig. Ich kenne das nur als "Memento mori". Tippfehler oder Absicht?


Gern gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald


__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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Alt 21.06.2015, 20:17   #3
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Faldi!

Mit den Nachtgestalten sind hier eher Erinnerungen gemeint, Schatten, die Gestalt annehmen sozusagen.
Schatten Vergangener, Verlorener, die an das eigene Ende mahnen.

Ist der Mensch erst gegangen, wird sein Name rasch vergessen. Spätestens mit dem Tode seiner Lieben verbindet niemand mehr Gefühle damit, und in die Namen verschiedener Prominenter legt ein jeder seine eigene Deutung nach eigenem Bedarf und Charakter - sie sind mit wachsendem zeitlichem Abstand nur noch Hülsen, die mit verschiedenster Bedeutung gefüllt werden können. Die echten Menschen dahinter zählen nicht mehr, sind verloren.

Es heißt natürlich "memento mori" - das "i" war meinem Wurstfinger geschuldet sowie dem Umstand, dass "o" und "i" auf der Tastatur direkt nebeneinander liegen!

Vielen Dank für den freundlichen Kommi. Ich selbst zähle dieses Sonett nicht zu meinen lyrischen "Großtaten" - es ist will mir scheinen recht durchschnittlich geraten, wenn ich es nun mit etwas mehr Abstand betrachte.

LG, eKy
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Alt 22.06.2015, 22:27   #4
juli
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Standard Hallo eKy :)

Ich habe ein Teil meines Lebens in und mit der Nacht verbracht, denn ich war eine Zeitlang Nachtschwester. Die Menschen, die NUR Nachts leben, haben schon etwas Besonderes. Ich kenne zwielichte Gestalten, mit denen ich tagsüber nicht spazieren gehen würde, aber auch hilfsbereite, wie die Menschen von der Bahnhofsmission, die stets einen Becher Kaffee reichen und ein warmes Plätzchen zum schlafen anbieten. Im Krankenhaus gibt es auch Ärzte, die Notfälle behandeln, um das Leben wieder lebenswert zu machen....ich schweife gerne ab!

Beim Thema: Nachtgestalten ist mir auch eingefallen, daß es ein Traum sein könnte Aber das meinst du wohl gar nicht.

LIebe Grüße aus dem dunklen Schleswig - Holstein sy
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Alt 22.06.2015, 23:27   #5
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Sy!

In meinem Kommi genau ÜBER dem deinen erkläre ich das Bild.

Ich spreche in S1Z2 ja bereits von "erprobten Schatten", also quasi Schatten oder dunkle, diffuse Konturen, die die Gestalt von Erinnerungen annehmen können. Das ist mit den Gestalten gemeint.

Deren Vergangensein gemahnt das LyrIch an die eigene Endlichkeit. Der letzte Schatten, die letzte Gestalt ist dann irgendwann Gevatter Tod.

LG, eKy
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Alt 08.07.2015, 20:45   #6
Dana
Slawische Seele
 
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Lieber eKy,
mir gefällt "Nachgestallten" sehr. Die gewählte Rubrik könnte passender nicht sein.
Ein echter Denker resümiert in einem gekonnten Sonett über die Hülsen eines jeden Lebens. Nicht "ernüchternd", sondern real.

Die Tiefe liegt in der Erkenntnis.


Selbst da, wo man schon längst verstorbenen erinnernd huldigt (egal ob es Größen, Prominente, Dichter oder gar die Lieben gewesen sind), sind es "Nachtgestalten", die wir mit eigener Deutung (deine Worte im Antwortkommentar) füllen, bis wir selbst zur "Hülse" werden.

Je bewusster man sich dessen wird, desto lebenswerter sollte jeder Tag vor dem erlösenden Nichts gestaltet werden. Aber das könnte schon ein anderes Thema sein oder Gedicht werden.

Liebe Grüße
Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 08.07.2015, 21:48   #7
Erich Kykal
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Hi, Dana!

Vielen Dank für die philosophische Einsicht und die freundliche Bewertung!

LG, eKy
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