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Alt 17.09.2015, 20:42   #1
Walther
Gelegenheitsdichter
 
Registriert seit: 09.11.2009
Ort: Im Wilden Süden
Beiträge: 3.210
Standard Die Wespe

Die Wespe


Es ist, als würden sich die Zeiger nicht mehr drehen.
Und doch, das ist gewiss: Die Zeit steht still. Sie wartet.
Am Himmel kräuselt sich ein Wölkchen wie entartet
Zu einem Segelschiff – wo hatte er‘s gesehen?

War es nicht Oslo? Oder Bergen? Multebeeren –
So glänzt das Gelborange der Sonne später Tage.
Das Jahr liegt schon ermattet auf der Krankentrage
Und will sich seines Endes nicht mehr recht erwehren.

Er schaut auf seine Uhr, die - eine Stunde schlagend -
Sich schwer um seinen linken Arm gelegt hat. Fragend
Schlägt er die Augen nieder, schaut auf alte Schuhe.

Er steht ganz still, ganz stumm. Die Zeit wird sich bewegen,
Auch wenn ein Zeiger scheinbar streikt. Nicht ungelegen
Beendet eine Wespe rasch die falsche Ruhe.
__________________
Dichtung zu vielen Gelegenheiten -
mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt
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Geändert von Walther (22.09.2015 um 16:00 Uhr)
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Alt 21.09.2015, 18:03   #2
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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Hi, Walther!

Das gefällt mir sehr gut!

Beschreibende Sprache und lange Zeilen verdichten hier eine intensive Momentaufnahme, wie ein Bild von van Gogh. "Mit Worten malen" - das ist hier gelungen!

Kleinigkeiten:

Den Ort "Multebeeren" kenne ich nicht, und ich glaube, abgesehen von einer Handvoll Insidern auch sonst keiner. Liegt er auch in Norwegen?
Jedenfalls stutzt man da erst mal.

S4Z2 ist zu lang (7 Heber). Streiche das "nicht", dann passt es, auch wenn sich die Bedeutung des letzten Satzes dadurch verschiebt - aber es könnte eben ja auch sein, dass ihm die Störung dieses Moments des Innehaltens durch die Wespe - dieses erhabenen Augenblicks, da alles in der Schwebe scheint und in Harmonie - ungelegen kommt.
Ansonsten würde ich es umfassender umformulieren.

Sehr gern gelesen und genossen!

LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
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Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
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Alt 21.09.2015, 18:41   #3
Dana
Slawische Seele
 
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Beiträge: 5.637
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Lieber Walther,

sehr schön, sehr gekonnt - ich kann eKy nur beipflichten.

Der Titel versetzt in Spannung. Sie kommt erst im letzten Vers zum Vorschein und selbst da macht sie schon den Abflug, aber auch als Leser hält man inne. Man spürt sie seit Anbeginn. Toll gemacht.

(Habe eine Weile versucht die Silben auf 13 zu kriegen, es wollte nicht klappen. Mach Du mal.)

Liebe Grüße
Dana
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ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 22.09.2015, 13:42   #4
Marzipania
Gast
 
Beiträge: n/a
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Liebwerter Walther,
insgesamt sticht deine Wespe mitten ins Herz.
Nur frage ich mich, ob Armbanduhren tatsächlich Stunden schlagen - meine gibt beispielsweise bloß ein entnervendes Piepen von sich. Und das auch nur, wenn ich es zuvor gewünscht (eingestellt) hatte.
Schlagen nicht eher die alten (vielgeliebte) Standuhren die Stunden an?

Mmmh.

Fragende Grüße
Marcy
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Alt 23.09.2015, 10:39   #5
Walther
Gelegenheitsdichter
 
Registriert seit: 09.11.2009
Ort: Im Wilden Süden
Beiträge: 3.210
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lb eKy,

danke für deinen eintrag und deinen messerscharfen metrenblick. ist bereits ausgebaut.

die "Multe- oder Moltebeere" ist letztlich eine verwandte der brombeere. sie wächst in moorigen umgebungen, also auch im östlichen Mitteleuropa, nicht nur in Skandinavien, wo sie wegen ihrer herben süße sehr geschätzt wird.

lg w.


lb. Dana,

auch dir lieben dank für deinen eintrag zu meiner wortmalerei über den herbst im allgemeinen und besonderen.

lg w.


lb. Marcy,

im text sind viele anklänge an sprichwörter und metaphern, die wir aus dem täglichen umgang kennen. das bild "wem die (letzte?) stunde schlägt" ist hier die auflösung des rätels.

lieben dank und gruß w.
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