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Alt 13.06.2016, 21:43   #1
charis
/ Bil-ly /
 
Registriert seit: 02.10.2015
Beiträge: 435
Standard Sonnenwende

Von Linden strömt ein süßer Duft herab,
und traumverloren schließen wir die Augen,
die Schatten wiegen nichts, sie schwirren wie
vergnügte Elfen, ohne Weg und Ziel;
nur flüchtig kühlt der Morgentau die Wiesen -
bald locken aufgekratzte Lüfte wieder.

Dein lichtes Wallen ziert die Handvoll Erde,
so zart erscheint es unter Laubengängen,
doch oben tobt es wild und gnadenlos.
Du schwingst dich auf, so kühn, zu höchstem Stande,
und jagst dem dunklen König Stunden ab,
um bald am Wendekreis zurück zu weichen.

Gewaltig spannst du, Heldin, dort den Bogen;
du kennst sie nicht, ach, Lebensspenderin,
die Leiden des Verzichts, die der Fülle folgen,
weißt nicht, wie tief die Feuerpfeile dringen,
im Fleisch der ängstlichen Gemüter brennen,
wenn Tage gleißend in die Nächte wachsen,

hortensienblaue Abendhimmel
mit ihren Giften uns berauschen,
der Mond aus Porzellan zerspringt
und milde noch aus Rissen lächelt.

Du Heldin atmest Ewigkeit,
empfängst im Untergang die höchsten Weihen.
Mag sein, wir ahnen es ...

Geändert von charis (14.06.2016 um 22:36 Uhr)
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Alt 14.06.2016, 13:32   #2
juli
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Beiträge: n/a
Standard

Liebe charis,

Das hier ist sehr poetisch, und es berührt. Am 21. Juni 2016 in Nordhalbkugel ist die Sommersonnenwende. Und die Tage werden kürzer, die Nacht raubt dem Tag wieder die Helligkeit. Ich gehe gar nicht erst auf ein Reimmuster ein, ich erkenne Keines. Aber so wie ich dich kenne, hast du dir sehr viel Mühe gemacht. Denn dein Gedicht liest sich, wenn man es langsam sich auf der Zunge gehen läßt, sehr gut. Es ist ein tragender Takt. Du hast nicht gereimt, vielleicht kam es dir nur auf das Erzählen an.
Die erste S. ist sehr phantasievoll, wegen der Elfen, die Stimmung ist zart und froh. "aufgekratzte Lüfte" geben dem Ganzen noch einen gewissen Pepp!

Die zweite S. Zeigt den Sonnenstand, wie hoch er ist. Und unter den Blättern licht, aber dennoch hell. Auch das gnadenlose, weil sie so kraftvoll scheint und so hoch steht finde ich gut. Das Schönste aber ist:

Du schwingst dich auf, so kühn, zu höchstem Stande,
und jagst dem dunklen König Stunden ab,
um bald am Wendekreis zurück zu weichen.


wunderbar!

die dritte S. ist etwas (zu)pathetisch, wegen dem Wort: Heldin. (allternativ vielleicht: Schöne) Und die Stimmung wird auch eine andere, sie kippt... welche Leiden? Vielleicht wenn die Nacht wieder an Fahrt gewinnt, die Dunkelheit und somit auch die Düsternis im Gemüt wächst?! Auch diese S. finde ich gelungen.

die 4.S ist kürzer, aber das ungleichmäßige finde ich gut, es macht aufmerksam. "hortensienblaue Abendhimmel" auch ein wunderschönes Bild. Es wechselt aber plötzlich in Zusammenhang mit Gift, in etwas Gefährliches, Unbekanntes.


hortensienblaue Abendhimmel
mit ihren Giften uns berauschen, Vielleicht "Düften" oder du willst das Düstere?
der Mond aus Porzellan zerspringt
und milde noch aus Rissen lächelt.

Die ganze S. ist sehr poetisch.

Dein letzter Satz:

Du Heldin atmest Ewigkeit,
empfängst im Untergang die höchsten Weihen.
Mag sein, wir ahnen es ...

bedeutet, wie großartig die Umkehr ist, die Sonnenwende. Es ist der höchste Stand der Sonne, und die Einzigartigkeit wolltest du beschreiben.

Ich habe dein Gedicht sehr gerne gelesen und mich mit deinen Worten beschäftigt.

Liebe Grüße sy


Geändert von juli (14.06.2016 um 16:10 Uhr)
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Alt 14.06.2016, 23:26   #3
charis
/ Bil-ly /
 
Registriert seit: 02.10.2015
Beiträge: 435
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Liebe Syranie,

Herzlichen Dank für deine viele Mühe, die du dir mit diesem ausführlichen Eintrag gemacht hast und und natürlich für dein Lob! **freu**

Deiner treffenden Interpretation habe ich eigentlich nicht viel hinzuzufügen.

Zitat:
Ich gehe gar nicht erst auf ein Reimmuster ein, ich erkenne Keines.
Ja, es gibt keine Endreime, es sind (sollen sein ) in den ersten Strophen Blankverse, also 5-hebige Jamben, die ein bisschen Freiheit haben, zb. dürfen vereinzelt auch Doppelsenkungen sein und man kann auch manchmal die Betonung umkehren; also statt xXxX, auch XxxX schreiben.

Dann soll sich das Tempo steigern (nach dem Kippen also) in der 4-hebigen Strophen und die letzte Strophe ist völlig frei; wobei das alles eigentlich keine wirklichen Strophen sind, sondern eher Abschnitte.

Zitat:
die dritte S. ist etwas (zu)pathetisch, wegen dem Wort: Heldin. (allternativ vielleicht: Schöne)
Na ja, ich weiß nicht, ob "Schöne" weniger pathetisch wäre . Ich sehe die Sonne hier nicht unbedingt als "Schöne" sondern als Kämpferin (gegen die Dunkelheit). Heldin auch deshalb (siehe die letzte Strophe): Was wären Helden ohne Heldentod? Wobei ich die Sonnenwende aber als Symbol für die Überwindung des Todes begreifen möchte (wenn ich könnte )

Mir war also einfach nach Pathos beim Schreiben dieses Textes; eigentlich macht mir das auch am meisten Spaß beim Gedichteschreiben, weil es für einen schönen Kontrast zum "wahren Leben" ergibt. Sprich: Ich erzähle mir selbst gerne Märchen

Zitat:
Und die Stimmung wird auch eine andere, sie kippt... welche Leiden? Vielleicht wenn die Nacht wieder an Fahrt gewinnt, die Dunkelheit und somit auch die Düsternis im Gemüt wächst?!
Ja genau, ich habe es nun präzisiert und "Leiden des Verzichts" geschrieben, vielleicht ist das so verständlicher?

Hab ich etwas vergessen?

Ahja, Hortensien haben, wenn man sie raucht eine ähnliche Wirkung wie Marihuana, es kann aber tödlich ausgehen, weil sie Blausäure enthalten; sie sind also giftig.

Lieben Gruß
charis

Geändert von charis (15.06.2016 um 00:46 Uhr)
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Alt 15.06.2016, 20:33   #4
Dana
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Liebe charis,

das ist so EINES - reimfrei aber fließend. Selbst der Wechsel in der Betonung ergibt eine eigene Melodie. Kompliment für eine gelungene "Freiheit".

Die erste Strophe ist wunderbar. Natur pur und nur "irdisch".
Dann hebst Du ab zur Sonne und man gelangt in die Natur der Sphären.
Die Sonne folgt ihrem Lauf, ohne "Rücksicht" darauf, wann, wo und wie es uns Menschen gefällt. Ich musste hier lächeln, denn genau so spielen sich alle Naturereignisse und Naturläufe ab. Sie, die Sonne, "schert" sich um nichts. Es ist ihr egal, ob wir uns in ihrer Wärme wohlfühlen, ob wir hingebungsvoll ihren Untergang bewundern oder ob sie hier und da für uns einfach nicht da ist.
(Sie macht einfach ihr Ding.)
Wir sind ihr aber verpflichtet, weil unser gesamtes Sein von ihr abhängt.
Darum ist ein wenig (oder gar mehr) Pathos erlaubt - in der Dichtung immer.

Der letzte Vers zwang mich zum Nachdenken: Was ahnen wir evtl.?
Es könnte sein, dass wir "um ihre Gleichgültigkeit" wissen.
Ich dachte aber auch daran, dass sie nicht weiß, wie lange sie noch so "agieren" kann. Ewig ist sie nicht - aber auch das gehört zur o.g. Gleichgültigkeit.

Ein sehr schönes Gedicht, das für mich auch einen ganz eigenen Humor (eher Fröhlichkeit) transportiert: So ist es eben.

Gern gelesen und besenft.

Liebe Grüße
Dana
__________________
Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 16.06.2016, 18:55   #5
charis
/ Bil-ly /
 
Registriert seit: 02.10.2015
Beiträge: 435
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Vielen Dank, liebe Dana!

Ich freu mich sehr, wenn Leser es wert finden, sich mit einem meiner Texte so intensiv zu beschäftigen - wirklich!, das ist jetzt keine Koketterie.

Du hast so feinfühlig herausgefiltert, was mir bei diesem Text wichtig war: "So ist es eben!", und dass du auch eine gewisse Leichtigkeit (=Fröhlichkeit/Humor) erkannt hast.

Der Sonne "schert es nicht", was passiert, sie folgt einfach ihrem Lauf, nur wir interpretieren etwas hinein - was auch immer - weil wir denken (müssen) und als Folge davon Fühlen. Wir können aber nicht "weiter denken" als bis zu unserem Tod (unserem "Untergang"); aber wir sind einfach auch nur ein Teil dieses ewigen Kreislaufs. Ich war richtig entzückt, über deine Anmerkung, dass die Sonne eben auch nicht ewig besteht. Gerade deshalb habe ich "atmet Ewigkeit" (also sozusagen "in der" oder wie Luft) geschrieben: Das trifft im Prinzip auch auf uns zu, nur unser "Wandlungsprozess" ist wesentlich kürzer als der, der Sonne - scheint es uns - aber was ist eigentlich "Ewigkeit" und was ist Zeit?

Ja, das klingt jetzt ein bisschen eigen, aber ich denke duverstehst ungefähr, was ich "ahne", ohne es begreifen zu können ... dafür ist Lyrik ja da

Lieben Gruß
charis

Geändert von charis (17.06.2016 um 08:45 Uhr)
charis ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.06.2016, 11:34   #6
juli
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard Liebe charis

ich komme nochmal wieder


Zitat:
Zitat von charis Beitrag anzeigen

Na ja, ich weiß nicht, ob "Schöne" weniger pathetisch wäre . Ich sehe die Sonne hier nicht unbedingt als "Schöne" sondern als Kämpferin (gegen die Dunkelheit). Heldin auch deshalb (siehe die letzte Strophe): Was wären Helden ohne Heldentod? Wobei ich die Sonnenwende aber als Symbol für die Überwindung des Todes begreifen möchte (wenn ich könnte )

Mir war also einfach nach Pathos beim Schreiben dieses Textes; eigentlich macht mir das auch am meisten Spaß beim Gedichteschreiben, weil es für einen schönen Kontrast zum "wahren Leben" ergibt. Sprich: Ich erzähle mir selbst gerne Märchen

Ja das verstehe ich nur zu gut. Besonders das du dir selber Märchen erzählen möchtest. Das mache ich hier manchmal auch, und es macht die Freude beim Schreiben aus. Manchmal vermische ich meine Lebenserfahrung in die Zeilen mithinein. Und wenn du denkst, das die Sonnenwende als Symbol den Tod überwinden kann, dann ist das ein schönes hoffnungsvolles Bild.

Sehr gerne nochmals zurückgekehrt.

Liebe Grüße sy

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