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17.03.2017, 22:27 | #1 |
heimkehrerin
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Last des Schweigens
Wir war'n dazu erzogen, nicht zu fragen.
Durch Blicke, Gesten, steingeword'ne Mienen, die - lang erprobt - in Sippen dazu dienen, um wortlos "bitte, quält uns nicht!" zu sagen. Zu mächtig das Tabu, um es zu wagen, zu klopfen, wo uns Tür'n verschlossen schienen. Wir war'n dazu erzogen, nicht zu fragen. Durch Blicke, Gesten, steingeword'ne Mienen. Doch heute muss allein und schwer ich tragen an Zweifeln, die den Boden mir verminen beim Laufen unter Ästen, die nicht grünen. 's gibt keinen mehr, der hilft beim Wurzeln-Schlagen. Wir war'n dazu erzogen, nicht zu fragen. .märz_2017 1.Version S3: Doch heute muss allein und schwer ich tragen an Zweifeln, die den Boden mir verminen unter den Füßen. Und Ästen, die nicht grünen. 's gibt keinen mehr, der hilft beim Wurzeln-Schlagen. Wir war'n dazu erzogen, nicht zu fragen. Geändert von fee_reloaded (18.03.2017 um 13:45 Uhr) |
17.03.2017, 23:18 | #2 |
Slawische Seele
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Beiträge: 5.637
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Liebe fee,
eine Villanelle? Von der Rubrik her würde das Gedicht auch sehr gut und Trauer und Düsteres passen - so mein Empfinden. Die Last des Schweigens betrifft mehr die frühere Generation (also auch meine ) und dennoch glaube ich, dass sie auch heute noch gilt. Etwas, was "nicht passt" glaubt man durch Schweigen verdrängen zu können. Ganz besonders im Umgang mit Kindern, denen man ein "Vergessen" unterstellt. Dieses "sture" Schweigen zieht sich wie ein roter Faden durch alle Gesellschaftsschichten, nur dass es einmal Unfähigkeit, einmal Dummheit und nicht selten Vornehmheit genannt wird. Lüge hat nie gepasst, weil man ja nicht lügen darf. Mir gefällt Dein Gedicht in seiner Aussage sehr. Es berührt und löst Betroffenheit aus. Betroffenheit im doppelten Sinne - erlebt oder selbst gemacht. In der letzten Strophe kam ich aus dem Lesefluss und sie ist für mich die wichtigste. Schau Dir meine Verschlimmbesserung an und entscheide. Dein Gedicht bleibt gern gelesen und kommentiert. Liebe Grüße Dana Doch heute muss allein und schwer ich tragen an Zweifeln, die den Boden mir verminen beim Laufen unter Ästen, die nicht grünen. Ich bleib auf mich gestellt beim Wurzeln-Schlagen. Wir war'n dazu erzogen, nicht zu fragen.
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
18.03.2017, 13:44 | #3 | |
heimkehrerin
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Zitat:
ist super, liebe Dana! Das übernehme ich sehr gerne und mit Handkuss!!! Danke! Es ist übrigens ein Rondel. Ich liebe Villanellen schon sehr, aber das Rondel habe ich gerade für mich entdeckt und versuche mich im Moment an dieser Form. Dass keiner mehr da ist, möchte ich aber als Aussage so behalten, denn es ist wichtig für das, was mich im Moment umtreibt und was dieses Gedicht mit "generiert" hat. Aus meiner Stammfamilie gibt es nur noch mich und meine Schwester. Und seit einiger Zeit spüre ich, dass mir die Wurzeln fehlen, weil kein Wissen über das Erlebte meiner Vorfahren da ist. Ich kannte meinen Urgroßvater noch. Er wurde 92, doch hat er nie über seine Lebenszeit und die Jahre während und um die beiden Kriege gesprochen und ich war damals noch zu klein, um mich für solche Themen zu interessieren. Ich bin mir sicher, meine Großmutter hätte erzählt, doch sie starb zu früh. Und meine Mutter war die Meisterin des Totschweigens - in jeder Hinsicht und in allen Lebensbereichen. So wie auch der Rest der Familie. Und ich weiß, dass dieses Schweigen viel Trauer über einzelne (oder vermutlich so gut wie alle) Familienmitglieder gebracht hat. Und mittlerweile ist ja hinlänglich bekannt, dass solche Tabus in Familien stark wirken und dieses Schweigen sehr mächtig ist und viel mehr bewirkt (oder verhindert) als man an der Oberfläche wahrnimmt. Ich weiß nichts über die Erfahrungen meiner Vorfahren während der Kriegs- und Zwischenkriegsjahre. Nicht, welche Rolle mein Urgroßvater oder meine Großeltern (,die ich bis auf meine Großmutter nicht kannte) und Großtanten darin spielten oder welche Erfahrungen sie machen mussten. Ahnenforschung verläuft im Nirgendwo, weil ich keinerlei Aufzeichnungen über meine Herkunftsfamilie(n) habe. Nur eine Kiste mit alten Fotografien ist übriggeblieben. Doch auch die sind allesamt unbeschriftet. Ich kann also nur raten und aus den Fetzen, die ich als Kind dann doch aufgeschnappt zu haben glaube, versuchen, ein paar Fleckchen des Puzzles zu legen. Familiengeschichte wird auch nonverbal weitergegeben und wirkt in den Generationen so lange ungefiltert weiter, wie sie nicht verstanden und - wo nötig - aufgelöst wird. Das mag für manche jetzt esoterisch klingen. Ist es aber nicht. Dass dann auch noch der Nachfolgegeneration das Vergessen unterstellt wird, macht es nur umso tragischer. Da gebe ich dir völlig Recht! Danke fürs Lesen und Einlassen und für den Verbesserungsvorschlag! Lieber Gruß, fee |
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18.03.2017, 16:33 | #4 |
Gast
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Liebe Fee, ( deine Name verführt zum Wünschen )
Nein, ich möchte hier ernst sein, weil du ein Thema gewählt hast, dass mich anspricht. Es gibt ja das Sprichwort „ Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ . Das trifft nur zu, wenn man freundschaftlich ein Geheimnis bewahren kann. Aber wenn es um Geheimnisse geht, seien es Familiengeheimnisse, Geschichtliche Schreckensngeheimnisse, wie die Verdrängung des Holocaust, dann schwelt in dem Schweigen eine Glut, die zu gegebenen Anlass zum Feuer werden kann. Ich bin selbst schon älter und kenne somit meine Eltern, die die Kriegszeit vor mir verschweigen wollten. Sie waren ganz normale Bürger, doch die Angst, dass Gewalt passieren könnte, die Not nichts zum Essen zu haben, keine Kleidung für meine 5 Brüder steckte tief in ihrem Inneren. Ich wurde in den 50igern geboren. Doch deren Kriegsstrategie blieb. So tief das jeder Teller leer gegessen wird. Auch in den heutigen Zeiten, wo es satt, satter am sattesten gibt. Ich bin rund. Das ist eine milde Form des Auswuchses „ Schweigen ist eine Last“. Du meinst es hier aber familiärer, und ich kenne mich auch selbst, wie ich in der Erziehung meiner Kinder nicht gleich etwas erzählen wollte. Aber es wuchs mir immer über den Kopf, denn Geheimnisse müssen ausgesprochen werden, weil sie sonst nicht bezwingbare Riesen werden. Bei diesem Anfang hat meine Zunge gestolpert: 's gibt keinen mehr, der hilft beim Wurzeln-Schlagen. Das „s“ zu Beginn macht es mir schwer. Vielleicht liegt es daran, dass ich in Schleswig – Holstein wohne. Vielleicht so? gibts keinen mehr, der hilft beim Wurzeln-Schlagen. Die Form gefällt mir sehr!! Sehr gerne drüber nachgedacht und liebe Grüße sy |
20.03.2017, 09:51 | #5 |
Gast
Beiträge: n/a
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Liebe Fee,
die Vilanelle fasziniert, die Form hat etwas Packendes und so gefällt mir auch diese ausgesprochen gut. Zudem ist es ein großes Thema, das sich irgendwie nahtlos an mein letztes "Familiengedicht" anschließt. chweigen ist immer schlecht, wenn die Themen dann noch zu Tabu-Themen werden, also ein Zwang zum Schweigen besteht, wird es schierig für die, die sprechen wollen. "Verstehen" können Menschen sich nur, wenn sie reden, auch dann besteht die Möglichkeit des Missverstehens, aber wenn alle gewillt sind, kann man über alles reden. Solche Situationen schaffen Traumata, die, wie du auch beschreibst, in Entwurzelung münden können. Bei uns zu Hause kam seit Generationen alles auf den Tisch. Wir saßen zusammen und redeten. Manchmal ging es hoch her, aber immer gingen wir zufrieden und mit dem Gefühl, eine Gemeinschaft zu sein, daraus. Ein gutes Werk, das ich sehr gerne gelesen habe. Tipp: vielleicht "ist keiner mehr, der hilft beim Wurzelnschlagen". Der vorherige Satz könnte mit Komma abgetrennt werden, so bezöge er sich sinnigerweise auf beide Zeilen, davor und danach. LG von Koko |
01.04.2017, 20:30 | #6 |
Lyrische Emotion
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Beiträge: 9.913
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Servus Fee,
ja, das kenne ich auch noch, vor allen Dingen die Großeltern waren gar nicht so angetan davon, wenn ständig alle Dinge hinterfragt wurden. Auch mein Vater sah sich mit bestimmten Fragen lieber nicht konfrontiert und speiste mich auch oftmals ab, indem er mir sagte, dazu sei ich noch zu jung um das zu verstehen. Meine Mutter war schon etwas aufgeschlossener, aber auch sie hatte so manche Probleme und druckste hier und da auch schon einmal rum, weil es ihr nicht angenehm war, was ich da so fragte. Dass ich aber richtig lag mit meinen Nachfragen, hat mir die Sesamstraße bestätigt. Auch wenn sie 1973 (für mich) erst recht spät im Fernsehen ausgestrahlt wurde, so habe ich sie trotzdem ab und zu gesehen und der Titelsong ist mir bis heute nicht aus dem Kopf gegangen: "Der, die, das. Wer, wie, was. Wieso weshalb warum? Wer nicht fragt bleibt dumm." Und daran habe ich mich bis heute gehalten und gefragt, was das Zeugs hielt. Vielleicht hat mir das auch erspart, was in der letzten Strophe als Konsequenzen der damaligen Handlungsweisen beschrieben steht. Ich habe mich einfach nicht entwurzeln lassen, aber wahrscheinlich auch das Glück gehabt, gerade so eben noch in eine Zeit hineingeboren zu sein, die im Wandel war und bin somit recht offen für alles im Leben gewesen. Und Glück gehört wohl auch dazu. Ich kann deine Zeilen aber sehr gut nachvollziehen, da ich im damaligen Freundeskreis auch viele Gleichaltrige kannte, deren Eltern erzkonservativ waren. Da haben manche ordentlich drunter gelitten und tun das wahrscheinlich heute noch. In diesem Sinne gern gelesen und kommentiert... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
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