Gedichte-Eiland  

Zurück   Gedichte-Eiland > Gedichte > Stammtisch

Stammtisch Gesellschaft, Politik und Alltag

Antwort
 
Themen-Optionen Ansicht
Alt 27.08.2011, 20:14   #1
Walther
Gelegenheitsdichter
 
Registriert seit: 09.11.2009
Ort: Im Wilden Süden
Beiträge: 3.210
Standard der wirbelsturm zieht ruhig weiter

die ethische verwortung gebiert
wirbelwinde schrecklich schöne monster
für satellitenfotos gemacht

diktatorengeschwurbel findet
adäquate pipelines geldgeschmiert
gefördert und gesalbt mit dem bart

eines propheten der seine wüste
ruft öd und leer gewaltig krach macht
leichen säumen kamelpfade und straßen

die eine freiheit atmen wollen die
keinem allein gehört und vielen
taschenfüllend gestohlen bleibt

unter strom stehen die ärzte die
einschußlöcher zählen und weniger
spritzen als kugeln finden

die nachrichten bleiben ein geschäft
das mord und totschlag verzinst
der wirbelsturm zieht ruhig weiter
__________________
Dichtung zu vielen Gelegenheiten -
mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt
Alle Beiträge (c) Walther
Abdruck von Werken ist erwünscht, bedarf jedoch der vorherigen Zustimmung und der Nennung von Autor und Urheberrechtsvorbehalt

Geändert von Walther (28.08.2011 um 15:55 Uhr)
Walther ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.09.2011, 18:51   #2
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Benutzerbild von Stimme der Zeit
 
Registriert seit: 15.03.2011
Ort: Stuttgart
Beiträge: 1.836
Standard

Hallo, Walther,

sagte ich bereits, dass ich Wortspiele mag? "Die ethische Verwortung" - das gefällt mir. Normalerweise wäre der Sinn "Ethik" und "Verantwortung". Worte sind nur Worte, sie schürzen wohl in vielen Fällen beides vor, ohne jedoch auch nur einem davon gerecht zu werden. Eher ist das Gegenteil der Fall. Allerdings eignen sich die Bilder immer noch für Satellitenfotos, die anschließend wohlaufbereitet der Öffentlichkeit serviert werden.
Ein feines Oxymoron, die "schönen Monster", denn meines Erachtens nach stehen Monster für "häßlich" bzw. "monströs".

Das ist wieder eines deiner "Spezialgedichte". Ich versuche mal, die Bedeutungen ein wenig "aufzuschlüsseln":

diktatorengeschwurbel
diktatorengeschwurbel findet
diktatorengeschwurbel findet adäquate pipelines
adäquate pipelines geldgeschmiert
adäquate pipelines geldgeschmiert gefördert und gesalbt
gefördert und gesalbt
gefördert und gesalbt mit dem bart
gefördert und gesalbt mit dem bart eines propheten
eines propheten der seine wüste ruft
seine wüste ruft
seine wüste ruft öd und leer (gewaltig)
öd und leer gewaltig krach macht
krach macht gewaltig
gewaltig krach macht leichen
leichen säumen kamelpfade und straßen
kamelpfade und straßen die eine freiheit atmen wollen
kamelpfade und straßen die eine freiheit atmen wollen die keinem allein gehört
kamelpfade und straßen die eine freiheit atmen wollen die keinem allein gehört und vielen taschenfüllend gestohlen bleibt
gestohlen bleibt unter strom
bleibt unter strom stehen
unter strom stehen die ärzte
unter strom stehen die ärzte die einschusslöcher zählen
die einschusslöcher zählen
zählen und weniger spritzen
spritzen als kugeln finden
kugeln finden die nachrichten
nachrichten bleiben ein geschäft
nachrichten bleiben ein geschäft das mord und totschlag verzinst
mord und totschlag verzinst
der wirbelsturm
der wirbelsturm zieht
der wirbelsturm zieht ruhig
der wirbelsturm zieht ruhig weiter
zieht
zieht ruhig
zieht ruhig weiter
ruhig weiter
ruhig
weiter ...

Selbstverständlich kann man hier auch jede Strophe für sich lesen und das ganze Gedicht im kompletten Zusammenhang. (Den Titel, der sich hier als letzter Vers wiederholt, habe ich nur einmal "ausgelesen".)

Diese Art Gedicht sagt mir zu, denn es erzählt beinahe eine ganze Geschichte. Statt "verdichtet", ist es fast "komprimiert".

Eine Stelle finde ich allerdings nicht ganz so gelungen:

Zitat:
ruft öd und leer gewaltig krach macht
Wenn ich hier "gewaltig krach macht leichen" lese, dann denke ich eigentlich an "gewaltiger krach" . Es passt zwar zum Text davor, aber in der Weiterführung "hakt" es ein bisschen.

Außer "viel" fällt mir keine passende Alternative ein, und dieses Wort ist schlicht zu blass im Vergleich zu "gewaltig". Vielleicht verhelfe ich dir ja mit meiner Anmerkung zu einer Idee.

Ja, es ist immer wieder das Gleiche. Seit es Menschen gibt, sterben Diktaturen nicht aus, da die Diktatoren es auch nicht tun ...

Die Presse, das ist ein Kapitel für sich. Je mehr Leichenteile, je mehr Blut und Tod, je mehr Farbe in Film und Fotografien, desto besser. Schließlich gibt es Konkurrenz, man muss im Geschäft bleiben. Irgendwie erinnern mich Reporter in Kriegsgebieten an eine Schar Aasgeier, ich kann mir nicht helfen.

Und die Schuldigen? Sie kommen davon, um im Exil ihr Luxusleben genussvoll weiter zu führen.

Großartig, wirklich ...

Dein Werk habe ich gerne gelesen und kommentiert, was ich vom Inhalt nun gar nicht sagen kann ...

Liebe Grüße

Stimme
__________________
.

Im Forum findet sich in unserer "Eiland-Bibliothek" jetzt ein "Virtueller Schiller-Salon" mit einer Einladung zur "Offenen Tafel".

Dieser Salon entstammt einer Idee von unserem Forenmitglied Thomas, der sich über jeden Beitrag sehr freuen würde.


Stimme der Zeit ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.09.2011, 20:29   #3
Falderwald
Lyrische Emotion
 
Benutzerbild von Falderwald
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 9.913
Standard

Hallo Walther,

im Fernsehen werden uns die Bilder von Wirbelstürmen vorgeführt. Nicht nur ihre schrecklich destruktive Kraft hier auf Erden, nein auch die Satellitenfotos, auf denen sie wirklich hübsch anzusehen sind.

Währenddessen fallen Diktaturen, das Buhlen ums Öl schreitet voran und irgendein Prophet in der Wüste verkündet die wahre Gotteswelt. Ja, der Bart des Propheten ist lang, wie immer. Und wenn der erst anfängt zu salben...

Inzwischen geht der Kampf weiter, hier diese, die gegen die Ungläubigen einen heiligen Krieg führen, dort jene, die ums heilige Öl besorgt sind oder besser gesagt darum, nicht mehr genug davon abzubekommen.

Völker rebellieren gegen ihre alten Strukturen und viele Krieger fallen auf allen beteiligten Seiten.

Die Versorgung der Verwundeten geht nur schleppend voran, weil den Helfern die Mittel fehlen. Was bleibt den Ärzten also anderes übrig, was ich übrigens sehr gelungen ausgedrückt finde, als "die Eischusslöcher zu zählen" weil sie im Umkehrschluss mehr "Kugeln als Spritzen finden"?

Da spielen sich ganze Dramen ab und wir bekommen das wunderbar frei Haus geliefert, denn auch hier tobt ein Krieg, nämlich der um die Einschaltquoten.
Wie schön, daß wir diese statistisch ermitteln können.

Und während wir noch gespannt verfolgen, wie sich eine Weltmetropole auf die bevorstehende Katastrophe durch die herannahende Irene vorbereitet, zieht dieses Miststück einfach weiter, ohne nennenswerte Schäden angerichtet zu haben.
Schade auch, sonst hätte es ja wieder einen neuen Grund für wellenweise Mitleidsbekundungen gegeben.
Denn ein wenig Ablenkung der Zuschauer von den Praktiken des normalen Tagesgeschäfts kommt ja eigentlich immer gelegen, zumal die Turbulenzen an den Börsen keine Zuversicht erwecken können, so daß in den Guckleuten eine Art von Pseudohoffnung erweckt wird, wenn sie sehen, daß es andere gibt, die es noch schlimmer erwischt hat.
Und nach dem "tsunamischen" Super-GAU war das doch jetzt ein wenig mager.

Aber immerhin waren ein paar unterhaltende Momente vorhanden, so wie bei einem lange und mit Spannung erwarteten Fußballspiel, das torlos unentschieden ausgeht.

Und die arme Irene?

Für die interessiert sich niemand mehr. Keiner weiß, was aus ihr geworden ist.
Erst wird sie schnell zum Medienstar hochgejubelt, dann reißt sie im wahrsten Sinne des Wortes niemanden vom Hocker und schon ist sie auch genauso schnell wieder vergessen.
Was soll sie also tun?

"der wirbelsturm zieht ruhig weiter"

Na eben.

Doch Walther hat dich und deine Art, liebe Irene, noch einmal mit seinen Zeilen ins Gedächtnis gebracht und ganz objektiv dargelegt, daß es euch Verwirbelten eigentlich einen Dreck interessiert, was die Menschen hier treiben.
Ihr macht euer Ding, sie das ihrige.

Genau so ist es...

Mach's gut, Irene, es muss zwar nicht sein, aber vielleicht trifft man sich ja eines Tages irgendwo...

Danke, Walther.

Die Aufmachung und Darstellung des Textes ist ungewöhnlich, aber dem Inhalt angemessen und hat mir gefallen.


In diesem Sinne gerne gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



Falderwald ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.09.2011, 21:59   #4
Walther
Gelegenheitsdichter
 
Registriert seit: 09.11.2009
Ort: Im Wilden Süden
Beiträge: 3.210
Standard

Lb. Stimme der Zeit,

diese Art von Vers libre sind - auf den ersten Blick - wild zusammengewürfelte Textschnipsel, die in eine - partiell unstrukturiert anmutende - Gedankencollage verspult werden. Am Ende wird dann, nicht immer, Du hast den Vers aufgespießt, ein Sinn draus, wenn man sich auf den Text einläßt.

Der Dichter ist ein politischer Mensch, wer wollte das bestreiten. Ist es nicht elend, was gerade auf einmal über diesen Erdball tobt?

Manchmal muß man sich Luft verschaffen (dürfen), finde ich. Und da darf es das eine oder andere Fehlerchen geben. Lieben Dank für Deine ausführliche Besprechung! Ich werde die Schwäche bearbeiten, versprochen.

LG W.

Lb. Falderwald,

der Wirbelsturm ist ein Sinnbild für unsere Zeit, nicht wahr? Wir in Deutschland sind gerade im Auge des Orkans, der uns aber immer wieder streift. Im Moment kommt der Rand des Lochs wieder näher ...

Natürlich lenkt Irene, weil wir sensationslüstern sind, von den anderen "Wirbelstürmen" ab, die ich mit hineincollagiert habe. Und natürlich fliegen nicht Dachziegel und Fensterscheiben, nein, es fliegen Granaten, und die Moral, die fliegt mit. Natürlich ist der präsentierte Gedanken- und Sprachwirbel methodisch und geplant, auch wenn er nicht so aussieht.

Es gibt Inhalte, die vertragen keine andere Form außer einer selbstgewirbelten. Daher mag dieser Text, wenn auch auch ein Vers libre, damit durchkommen.

Danke und lieber Gruß W.
__________________
Dichtung zu vielen Gelegenheiten -
mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt
Alle Beiträge (c) Walther
Abdruck von Werken ist erwünscht, bedarf jedoch der vorherigen Zustimmung und der Nennung von Autor und Urheberrechtsvorbehalt
Walther ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen


Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1)
 
Themen-Optionen
Ansicht

Forumregeln
Es ist Ihnen nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.

Gehe zu

Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Das Eise zieht, den tiefen Schlaf zu finden... Smoertin Ausflug in die Natur 7 10.01.2010 14:28
Wenn Ludwig ins Manöver zieht Panzerknacker Der Tag beginnt mit Spaß 2 31.03.2009 12:21


Alle Zeitangaben in WEZ +2. Es ist jetzt 18:28 Uhr.


Powered by vBulletin® (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, Jelsoft Enterprises Ltd.

http://www.gedichte-eiland.de

Dana und Falderwald

Impressum: Ralf Dewald, Möllner Str. 14, 23909 Ratzeburg