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25.10.2014, 21:18 | #1 |
TENEBRAE
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Die wichtigeren Dinge
Von allem losgelöst schien sein Entgleiten
ihm in den Stunden seiner letzten Tage und ferne schon der ungeklärten Frage, daran die Augen Hoffender sich weiten: Ob da ein Leben sei nach jenem Ende, ein wie auch immer noch bewusstes Sein? Doch schien ihm der Gedanke seltsam klein und wie zu Brüchiges für starke Hände. Das Hinterher verließ ihn in Gedanken, es mochte kommen oder eben nicht - er wollte nun, da seine Sinne sanken, noch ganz in jedem Augenblick verweilen, den letzten Atem und das letzte Licht mit seinen Lieben und dem Leben teilen.
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
28.10.2014, 20:18 | #2 |
Lyrische Emotion
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Servus Erich,
das Sonett gefällt mir sehr gut und wohl dem, der noch Lebende am Schluss um sich hat. Der Gedanke an ein bewusstes Sein oder ein Leben danach, erscheint tatsächlich klein, aber ich räume ein, es wäre zumindest theoretisch möglich. Jedes Ding das existiert, hat eine bestimmte Zusammensetzung, es ist also für alles Seiende eine Formel vorhanden. Natürlich verändert sich diese Formel ständig, und mit dem Ende der Existenz löst sich auch diese praktisch auf. Nehmen wir einmal an, diese Formel hat vorher nicht existiert und existiert hinterher nicht mehr, dann heißt dies ja lediglich, sie besaß vorher keine Gültigkeit und hat sie hinterher wieder verloren. Das heißt aber nicht, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen nicht wieder gültig werden könnte, denn ihre theoretische Existenz ist in der Natur und damit in Zeit und Raum ja immer noch vorhanden. Also vielleicht irgendwann...? Aber das sind natürlich nur reine Spekulationen, wir können nicht davon ausgehen und so findet dein Protagonist ja auch noch einmal seine letzte Erfüllung im Kreise seiner Lieben. Das Sonett stellt diesen Verlauf sehr schön dar, hat einen metaphysischen Ansatz aber spekuliert nicht, so wie ich es weiter oben getan habe. Und damit bleibt es ganz wertungsfrei und lässt trotzdem alle Möglichkeiten offen, so gering sie auch sein mögen. Das schafft nicht jeder Text, hier ist das sehr gelungen. Gern gelesen und kommentiert... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
28.10.2014, 21:16 | #3 |
TENEBRAE
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Hi, Faldi!
Die Lebensphilosophie des Agnostikers - da wir ohnehin nichts über den Tod hinaus wissen können, macht es auch keinen Sinn, zu Lebzeiten herumzuspekulieren und sich Gedanken zu machen, oder womöglich alles mögliche - bis zur kompletten Absurdutät faktisch längst überholter religöser Welterklärungsmodelle auf dem Wissensstand von präantiken Wüstennomaden - zu "glauben"! Vielen Dank für deine ausführlichen Gedanken und das satte Lob! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
29.10.2014, 01:19 | #4 |
Wortgespielin
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Hallo eKy,
du beschreibst einen Lebens/ Liebes Zustand im Hier und im Jetzt bis zum letzten Atemzug und dann Augen zu. Wohl dem, der in Frieden so genießend einschläft, und im Angesicht des Todes erkennt und begreift, dass die Glaubensfrage völlig irrelevant und unwesentlich ist. Ein stärkeres Argument kann es in dieser unlösbaren Frage wirklich nicht mehr geben. Die idealisierte Todvorstellung eines Atheisten, oder die eines präantiken Wüstennomadens? Eine Freundin bei ihrer Hospiz- Arbeit berichtete mir von ,einem nach vorne gerichteten Blick' des Sterbenden. Diese ziehen sich zunächst zurück. Endogene Opiate lassen sie in der Regel schmerzfrei sterben, Hunger und Durst bleiben aus. Unmittelbar vor dem Sterben geht von dem Sterbenden eine unruhige Phase aus,( fahrige Bewegungen, Schieben der Füße etc.) und mündet in Absencen mit aussetzendem Atem und flachen Herztönen, Schnappatmung, todesrasselnden Atemgeräuschen etc.. Das ist alles rein äußerlich, und ähnlich. Meine Freundin lässt die Sterbenden aber nicht wie ein Klümpchen Fleisch in sich zusammensacken, sondern sie ,,begleitet" die Sterbenden ein Stück auf dem Weg ins...? Wohin auch immer. Das ist ihre Arbeit. bzw. ihr Verständnis von ihrer Arbeit. Sie muss nicht wie die Angehörigen Abschied nehmen. ,Da ist eine Richtung erfahrbar', sagt sie. Das Sterbemuster scheint sich im übrigen zu wiederholen. Ob im Augenblick des Todes noch Glaubens- bzw. Nicht- Glaubens- Aspekte eine Rolle spielen, oder ob die gesamte Lebenseinstellung überhaupt noch maßgeblich ist, können wir beide natürlich nur erraten, und im Rahmen unseres Horizontes beantworten. Ebenso schwer lässt sich ermessen, ob es wirklich noch eine Abwägung der ,,wichtigen Dinge" im Anblick des Todes gibt. Ich wage das zu bezweiflen. Inwieweit die ,,Liebende Beziehung zu dem gewohnten Lebensumfeld" eine Rolle spielt, und der Sterbende im Bedürfnis stirbt, die Seinen um sich zu wissen, oder ob irgendeine menschliche Begleitung hierfür ausreicht, mag dahingestellt sein. All das bleibt jedenfalls unserer Spekulation und Interpretation vorbehalten. Die Forschung geht zur Zeit davon aus, dass die körperliche Begleitung von den Sterbenden erlebt wird, obwohl sie darauf nicht mehr reagieren können. Das Bemerkenswerte an unterschiedlichen Berichten über Nahtoderfahrungen ist die Ähnlichkeit in den Beschreibungen. Auch diese lassen einen Weg, bzw. eine Richtung erkennen. Hier wird nie ein Ruhen und ein In- sich- zusammensacken beschrieben . Wie dem auch sei, ob es unsere bloßen Vorstellungen oder leisen Ahnungen sind, die wir leben und erleben, oder reine Phantastereien, darüber könnten wir uns vielleicht abschließend im Jenseits unterhalten, was hältst du davon? Dann würde jedenfalls alles ein wenig konkreter werden, und wir wissen mehr. Gedichte - Eiland post mortem. Bis dahin ist Geduld gefragt. Ansonsten wird sich dein Sonett in vollem Umfange selbst gerecht, und verdient seinen Namen. Gerne gelesen, AZ Geändert von AAAAAZ (29.10.2014 um 01:47 Uhr) |
29.10.2014, 15:47 | #5 |
TENEBRAE
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Hi, A-Z!
Ich habe natürlich nicht den Erfahrungshintergrund deiner Freundin - wirklich zugegen war ich nur beim Tod (bisher) dreier meiner Katzen, und da ging es mittels Erlösungsspritze recht schnell. Die Sterbemomente meiner Eltern und sonstigen Verwandten habe ich aus diversen Gründen versäumt, und selbst in mehreren Jahren als Einsatzfahrer und Hilfssani beim Roten Kreuz habe ich nie diesen Moment erlebt - die Leute waren entweder besinnungslos oder eben schon gestorben, wenn ich dazukam. Hier ging es mir aber auch nicht um den Moment des Todes, sondern um die Einstellung dazu - und die hat man vorher. Ein Mensch, dem das Zusammensein mit den Liebsten bis zuletzt wichtiger ist als irgendwelche tiefgründigen Gedanken zu einem potentiellen Jenseits mit beliebigem Unwahrscheinlichkeitsgrad (je nach Lebensphilosophie), ist m.E. von beneidenswerter Größe und innerer Reife. Darauf wollte ich hier hinaus... LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
29.10.2014, 18:46 | #6 |
Wortgespielin
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Hi Key,
es mag zunächst naheliegend sein, dass Größe sich an eigenen Wertvorstellungen, am eigenen Horizont und am eigenen Maßstab ausrichtet. Da man sich dort selbst gerne wiederfinden will und jedem gezeigt werden kann, wo man steht. Größe kann aber auch bedeuten, den Wertekanon und Horizont des anderen anzunehmen, wo es eben wichtigeres gibt. U.U. könnte das für einen Atheisten konkret bedeuten, mit dem Sterbenden zu beten, weil es dessen Welt ist, und für ihn das Seelenheil in dem entscheidenden Moment bedeutet. Hier beginnt meine Definition von beneidenswerter Größe und innerer Reife, weil das ungleich Schwierigere ist. L.G. AZ Geändert von AAAAAZ (30.10.2014 um 03:25 Uhr) |
30.10.2014, 13:57 | #7 |
TENEBRAE
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Hi, A-Z!
Da drängt sich mir die Frage auf: Was kann es dem Sterbenden bedeuten, dass ich mit ihm bete, wenn er wohl weiß, dass ich nicht daran glaube, dass da jemand ist, der es hört. Mich noch auf dem Totenbett missionieren zu wollen, kann es ja wohl nicht sein! Es wäre ein bedeutungsloser Akt der Schöntuerei. Ich an Stelle des Sterbenden würde mich nie dazu versteigen, jemanden zu etwas zu bemühen, woran er nicht glauben kann, nur um mir, dem Entgleitenden, eine letzte Art Vertrautheit und Trost zu schenken! Das wäre unfair, aufdringlich und respektlos dem Begleitenden gegenüber, zudem höchst manipulativ, da er mir, dem Sterbenden, ja schlecht etwas abschlagen könnte!! - Nein, das wäre einfach nur schlechter Stil. Wenn ich der Sterbende wäre und wüsste, dass jene, die an meinem Bett wachen, zutiefst gläubig sind, ich würde ja auch niemals von ihnen verlangen, für mich in meinen letzten Stunden ihren Glauben zu widerrufen! Sorry, aber was für dich wie eine respektvolle Geste aussieht, wirkt auf mich eher befremdlich und verlogen. Dieser Art Einstellung aber eine menschlich/moralische Unreife zu unterstellen, empfinde ich ebenfalls als zu kurz gefasst bis unkorrekt. LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. Geändert von Erich Kykal (30.10.2014 um 14:00 Uhr) |
30.10.2014, 20:16 | #8 |
Slawische Seele
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Lieber eKy,
ein feinst durchdachtes Gedicht - ein echter Kykal eben. Seine Weisheit und Größe werden über die Duskussion darüber verstärkt. Dass wir sterben müssen, wissen wir. Das Wie bleibt immer offen.(Wobei ich hier die unerwarteten Unglücke und Situationen meine.) Ich wünschte jedem Menschen die Chance, so den Augenblick oder die letzten Stunden sterbend zu leben, wie du den Protagonisten verdichtet hast. Dass jeder sein Leben bis zur letzten Stunde mit seinen Lieben teilen kann, fern vom "Erledigen" irgendwelcher Versäumnisse in letzter Minute. Die letzten Gedanken ergaben sich bei mir erst aufgrund der Diskussion. Ich weiß von Sterbefällen, wo z.B. Angehörige flehten, der Betroffene möge doch noch schnell offiziell der Kirche beitreten. (Er ist mind. 10 Jahre zuvor aus Überzeugung ausgetreten.) Aber auch andere, wo in letzter Minute ein Verzeihen abverlangt wurde .... Es entstand eine "Aufruhr" und "Hatz" und der Betroffene hatte nicht mehr die Kraft zu argumentieren. Über diese Gedanken bekommt dein Gedicht für mich noch mehr Tiefe und eine ganz eigene Größe. Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
30.10.2014, 20:22 | #9 |
TENEBRAE
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Hi, Dana!
Heb mich auf kein Podest, das ich nicht mehr stemmen kann! Was du erzählst, trifft den Nagel - in diesem Falle wohl den Sargnagel... - auf den Kopf: Gut gemeint, aber peinlich daneben! LG, eKy
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30.10.2014, 20:30 | #10 |
Slawische Seele
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eKy, ich schwimme. Was ist peinlich? Erklär es mir. LG Dana
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