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12.01.2012, 19:53 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Mama
Das Mama-Spiel
Diesem Forenspiel wendet sich hauptsächlich an Personen, die Erfahrung mit Kleinkindern haben, also vor allem an Mütter. Im liegt eine meiner Meinung nach für die Poesie recht interessante Frage zugrunde: A) Werden Sinn und Gefühle durch die Worte an sich vermittelt, oder B) werde sie durch die Art und Weise, wie die Worte ausgesprochen werden vermittelt? Ich persönlich denke, dass der Fall B entscheidend ist, woraus folgt, dass es sich bei Poesie nicht reiner Text ist, sondern immer der Klang des gesprochenen Wortes beim Lesen im Geiste mitklingt. Zu Bestätigung soll das Forenspiel-Experiment dienen. Wenn ein Mensch nur ein Wort kennt (das ist fast immer das Wort Mama), dann muss er versuchen alles mit diesem einen Wort auszudrücken. Er ist also darauf angewiesen Sinn und Gefühle durch die Art und Weise der Aussprache zu tun. Die wesentlichen Möglichkeiten der Aussprache sind Kürze und Länge der Silben, auf die Silbe einen Akzent zu setzen oder nicht, d.h. betont oder unbetont zu sprechen, und schließlich die Silbe hoch oder tief zu sprechen. Die Aufgabe des Forenspiels besteht nun darin, sich die verschiedenen Arten der Aussprache vorzustellen, und zu überlegen, welche Bedeutung (Sinn, Absicht, etc.) und welche Gefühle damit ausgedrückt wurden. Kombinatorisch gibt es 64 Möglichkeiten, die ich im Folgenden durchnummeriert habe, um die Kommunikation zu erleichtern. Schön wäre es, wenn sich für möglichst viele Positionen von 1 bis 64, am besten sogar für alle, mindestens eine Bedeutung finden ließe. Mama Bedeutungen (Silbenlänge, Akzent, Tonhöhe) Nr 1.Sil.1.Silbe 1.Silbe 2.Sil. 2.Silbe 2.Silbe Bedeutung, Gefühl 01 kurz unbetont hoch kurz unbetont hoch 02 kurz unbetont hoch lang unbetont tief 03 kurz unbetont hoch kurz betont--- hoch 04 kurz unbetont hoch lang betont--- tief 05 kurz unbetont hoch kurz unbetont hoch 06 kurz unbetont hoch lang unbetont tief 07 kurz unbetont hoch kurz betont--- hoch 08 kurz unbetont hoch lang betont--- tief 09 lang unbetont hoch kurz unbetont hoch 10 lang unbetont hoch lang unbetont tief 11 lang unbetont hoch kurz betont--- hoch 12 lang unbetont hoch lang betont--- tief 13 lang unbetont hoch kurz unbetont hoch 14 lang unbetont hoch lang unbetont tief 15 lang unbetont hoch kurz betont--- hoch 16 lang unbetont hoch lang betont--- tief 17 kurz betont--- hoch kurz unbetont hoch 18 kurz betont--- hoch lang unbetont tief 19 kurz betont--- hoch kurz betont--- hoch 20 kurz betont--- hoch lang betont--- tief 21 kurz betont--- hoch kurz unbetont hoch 22 kurz betont--- hoch lang unbetont tief 23 kurz betont--- hoch kurz betont--- hoch 24 kurz betont--- hoch lang betont--- tief 25 lang betont--- hoch kurz unbetont hoch 26 lang betont--- hoch lang unbetont tief 27 lang betont--- hoch kurz betont--- hoch 28 lang betont--- hoch lang betont--- tief 29 lang betont--- hoch kurz unbetont hoch 30 lang betont--- hoch lang unbetont tief 31 lang betont--- hoch kurz betont--- hoch 32 lang betont--- hoch lang betont--- tief 33 kurz unbetont tief kurz unbetont hoch 34 kurz unbetont tief lang unbetont tief 35 kurz unbetont tief kurz betont--- hoch 36 kurz unbetont tief lang betont--- tief 37 kurz unbetont tief kurz unbetont hoch 38 kurz unbetont tief lang unbetont tief 39 kurz unbetont tief kurz betont--- hoch 40 kurz unbetont tief lang betont--- tief 41 lang unbetont tief kurz unbetont hoch 42 lang unbetont tief lang unbetont tief 43 lang unbetont tief kurz betont--- hoch 44 lang unbetont tief lang betont--- tief 45 lang unbetont tief kurz unbetont hoch 46 lang unbetont tief lang unbetont tief 47 lang unbetont tief kurz betont--- hoch 48 lang unbetont tief lang betont--- tief 49 kurz betont--- tief kurz unbetont hoch 50 kurz betont--- tief lang unbetont tief 51 kurz betont--- tief kurz betont--- hoch 52 kurz betont--- tief lang betont--- tief 53 kurz betont--- tief kurz unbetont hoch 54 kurz betont--- tief lang unbetont tief 55 kurz betont--- tief kurz betont--- hoch 56 kurz betont--- tief lang betont--- tief 57 lang betont--- tief kurz unbetont hoch 58 lang betont--- tief lang unbetont tief 59 lang betont--- tief kurz betont--- hoch 60 lang betont--- tief lang betont--- tief 61 lang betont--- tief kurz unbetont hoch 62 lang betont--- tief lang unbetont tief 63 lang betont--- tief kurz betont--- hoch 64 lang betont--- tief lang betont--- tief |
12.01.2012, 19:57 | #2 | ||
ADäquat
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Ort: Mitteldeutschland
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Hallo Thomas,
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12.01.2012, 20:25 | #3 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 3.375
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Hallo Cavali,
schön das du das interessant findest. Deine Beispiele sind im Prinzip richtig gewählt, obwohl ich bei fragend glaube, dass die zweite Silbe nicht nur lang, sondern auch betont ist xX. Wahrscheinlich gibt es auch verschiedene Bedeutungen. Mama wird wohl meistens als Trochäus Xx gesprochen, aber auch Jambus xX ist möglich, sowie Spondeus XX. Liebe Grüße Thomas Geändert von Thomas (13.01.2012 um 23:23 Uhr) |
15.01.2012, 10:40 | #4 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 3.375
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Liebe Gedichte-Eiländer,
ich habe das Thema wahrscheinlich etwas zu formal beschrieben. Die Liste für die 64 Optionen schreckt vielleicht ab, sie sollte aber eigentlich nur ein Hilfsmittel zu einfacheren Kommunikation sein. Ich versuche es nochmals ganz un-formal, indem ich an ein Gedicht von Conrad Ferdinat Meyer erinnere. Mit zwei Worten Am Gestade Palästinas, auf und nieder, Tag um Tag, 'London?' frug die Sarazenin, wo ein Schiff vor Anker lag. 'London!' bat sie lang vergebens, nimmer müde, nimmer zag, Bis zuletzt an Bord sie brachte eines Bootes Ruderschlag. Sie betrat das Deck des Seglers und ihr wurde nicht gewehrt. Meer und Himmel. 'London?' frug sie, von der Heimat abgekehrt, Suchte, blickte, durch des Schiffers ausgestreckte Hand belehrt, Nach den Küsten, wo die Sonne sich in Abendglut verzehrt... 'Gilbert?' fragt die Sarazenin im Gedräng der großen Stadt, Und die Menge lacht und spottet, bis sie dann Erbarmen hat. 'Tausend Gilbert gibt's in London!' Doch sie sucht und wird nicht matt. 'Labe dich mit Trank und Speise!' Doch sie wird von Tränen satt. 'Gilbert!' 'Nichts als Gilbert? Weißt du keine andern Worte? Nein?' 'Gilbert!'... 'Hört, das wird der weiland Pilger Gilbert Becket sein- Den gebräunt in Sklavenketten glüher Wüste Sonnenschein - Dem die Bande löste heimlich eines Emirs Töchterlein!' 'Pilgrim Gilbert Becket!' dröhnt es, braust es längs der Themse Strand. Sieh, da kommt er ihr entgegen, von des Volkes Mund genannt, Über seine Schwelle führt er, die das Ziel der Reise fand. Liebe wandert mit zwei Worten gläubig über Meer und Land. Versucht, dieses Gedicht bitte einmal laut vorzutragen. Vielleicht wird dann deutlich, was ich mit dem mama-experiment-spiel meine und einige (außer Chavali) bekommen doch noch Lust darauf, mitzumachen. Viele Grüße Thomas |
15.01.2012, 11:14 | #5 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 1.836
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Hallo, Thomas,
ich hatte das Forenspiel schon entdeckt, und ich mache auch gerne mit. Abgeschreckt haben mich die "formalen" 64 Möglichkeiten nicht, nur kommt es bei mir auch auf die "Tagesform" an, die letzten Tage war ich nicht so "gut drauf". Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. 01 kurz unbetont hoch kurz unbetont hoch = Kontaktwunsch 02 kurz unbetont hoch lang unbetont tief = Komm bitte / Ruf 03 kurz unbetont hoch kurz betont--- hoch = Wo bist du? / Kommst du? / Hast du gehört? etc. 04 kurz unbetont hoch lang betont--- tief = Wo bleibst du denn? 05 kurz unbetont hoch kurz unbetont hoch = (Das hier ist doppelt - siehe Nr. 01) 06 kurz unbetont hoch lang unbetont tief = Aufforderung / ein leichtes "Nachhaken" 07 kurz unbetont hoch kurz betont--- hoch = unsicher, ob Mama (ihr Kind) gehört hat 08 kurz unbetont hoch lang betont--- tief = Mit "Nachdruck", jetzt komm endlich, ich werde ungeduldig 09 lang unbetont hoch kurz unbetont hoch = Kontaktwunsch, aber wohl "lauter" - evtl. ist Mama in einem anderen Zimmer 10 lang unbetont hoch lang unbetont tief = Sehr nachdrücklich: Manno, hörst du denn nicht, jetzt komm, sonst werde ich sauer War sehr lustig, da ich jede "Variante" mehrmals laut sprach. Gut, dass die Wände hier recht dick sind, sonst würden die Nachbarn sich sonstwas denken. Ich mache gerne morgen weiter, einverstanden? Beim Sprechen merke ich, dass ich mehr als 10 auf einmal nicht interpretieren sollte, sonst leidet die Konzentration. Es ist aber interessant, und Spaß macht es mir auch. Liebe Grüße Stimme
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15.01.2012, 12:36 | #6 |
asphaltwaldwesen
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hallo, thomas.
ich könnte mich mehr für das experiment begeistern, wenn ich die 64 mama-varianten als ton-datei zum hören hätte. so - schriftlich - ist mir da viel zu viel interpretationsspielraum und möglichkeit für missverständnis. sinds die japaner oder die chinesen, wo dasselbe wort (geschrieben) mit jeweils anderer betonung etwas völlig anderes heißt? mich erinnert das ein wenig. auch kam mir die überlegung, ob es nicht auch vom sprachkultur-raum abhängt, zu wievielen variationen wir fähig sind und bei wievielen "mamas"/"gilberts" einigkeit herrschen kann. in australien gibt es einen stamm aborigines (wenn ich das noch korrekt verorte in der erinnerung), die kennen über 100 sorten von "braun". und haben auch über einhundert namen dafür. ob wir das auch leisten können, egal mit welchem (und vor allem nur einem!) wort, ist fraglich. das gedicht tritt m.E. ja eher den beweis dafür an, dass das betonungsprinzip nicht universell einsetzbar ist und die variation der betonung alleine reicht. einen großen anteil hellseherisches talent wird mama also immer einkalkulieren müssen, wenn das als konzept angewandt werden will. und der sprössling wird eine hohe frustrationsschwelle benötigen, soll das zusammenleben harmonisch bleiben. ich halte nichts davon, kindern - egal welchen alters!!! - die komplexität sprachlicher syntax vorzuenthalten. wie sollen sie da die sprache erlernen, wenn man ihnen derart entgegenkommt? (ich stell mich da also auch gerne mal taub. vor allem, wenn so sätze kommen wie z.bsp. "mama, kann ich nintendo?" dasselbe gilt auch für schüler, wenn sie das pech haben, unter mein hartes regime zu geraten ). am anfang der sprachentwicklung und des erlernens tasten sich babys und kleinkinder ohnehin an den hauptwörtern entlang, die sie kennen. auch hinkt das experiment, auch, wenn ich es als gedankenspiel für lustig halte, weil mimik, gestik und eben hör-ebene fehlen. mit einer ton-datei mit 64 mal "mama" in allen lebenslagen könnte ich mich allerdings anfreunden. gerne stell ich dann bei gelegenheit m.E. fehlende mama-varianten dazu. plus den satz, den es ersetzt. fee in wien könnte man zudem ohrenzeuge eines dialogs wie dieses werden: er: "na?" sie: "naaa...." er: "na geh" sie: "najoo" er: "na oiso" sie: "naa!" er: "jooo!" sie: "joo, na eh!" er: "na daun..." sie: "jo" er: "na!"
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"Gedichte sind Geschenke an die Aufmerksamen" Paul Celan Geändert von fee (15.01.2012 um 21:58 Uhr) Grund: noch etwas klarer nachformuliert |
15.01.2012, 21:37 | #7 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Liebe Stimmer der Zeit, Liebe Fee,
vielen Dank. Die Interpretationen der Bedeutungen werden natürlich nicht universell sein, das ist ja aber auch nicht entscheidend, denn jeder sprachliche Ausdruck ist nur in einem sozialen Kontext möglich und sinnvoll, weswegen es ja verschiedene und sehr unterschiedliche Sprachen (Fee erwähnt zu Recht Chinesisch und Japanisch) und Dialekte gibt. Die soziale Situation zwischen Mutter und Kind ist ganz besonders eng, weswegen sicherlich jede Mutter und ihr Kind die Laute von Mama individuell etwas anders interpretiert. Eine gewisse Allgemeingültigkeit wird dadurch zustande kommen, dass das Kind von der Mutter die Bedeutung der Prosodie lernt. Mir ist inzwischen übrigens eingefallen, dass die Kommunikation mit Tieren die Situation noch extremer ist. Fees Wiener Beispiel passt wunderbar. Die Tatsache, dass es sehr viele verschieden Worte für eine Sache gibt, welche die Erscheinungsformen dieser Sache charakterisieren ist eigentlich das genaue Gegenteil von dem, worauf es mir hier ankommt. Ich nehme aber an, dass Fee dieses Beispiel nur anführt, um mich zu warnen, mich nicht zu sehr auf die Prosodie zu stürzen. Das tue ich auch nicht. Aber ich glaube dieser Aspekt der Sprache ist leichter zu verstehen. Er ist für die Poesie von großer Bedeutung, da jedes Wort seine eigene Geschichte und Erfahrungswelt mit sich bringt. Dadurch sind diese Worte mit bestimmten Emotionen verknüpft. Für die Poesie ist jedoch der durch die Prosodie variierende emotionale Gehalt wahrscheinlich noch wichtiger. Aber das ist nur eine Hypothese. Liebe Grüße Thomas P.S.: Natürlich soll man sich beim Sprechen mit Kindern (übrigens auch mit Ausländern) nicht Baby-Talk beschränken. Es gibt aber die Zeit, in der ein Kind nur Mama sagen kann, und wie das Wiener Beispiel zeigt, ändert sich bei manchen nicht viel daran. Geändert von Thomas (04.02.2012 um 23:38 Uhr) |
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