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19.08.2010, 19:31 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 151
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Warum?
Warum ?
Das Haus liegt in einer Randzone der Stadt, am Ende einer Seitenstraße, die an einem Hügel am Wald endet. Eine Villa mit großem Grundstück, das mit einer Mauer eingefasst ist. Eine ganz normale Straße. Da steigen morgens Kinder in den Schulbus, kommen am Nachmittag zurück, fahren Leute zur Arbeit, gehen Frauen zum Einkaufen. Längere Zeit haben sie das Anwesen beobachtet, alles sieht ziemlich unauffällig aus. Nur Zivilfahrzeuge fahren manchmal hinein oder hinaus, als ob jemand zur Arbeit fährt oder nach Hause kommt. „Unauffällige Leute wohnen da, ich kenne sie nicht, manchmal haben sie wohl viel Besuch. Öfter machen sie auch das Radio sehr laut an“, hatte ein Nachbar gesagt. Ab Mitternacht wird es ruhig, nur vier Polizisten sind dann anwesend. Abwechselnd hält einer Wache, kommt ab und zu aus dem Haus und geht um das Haus. Die anderen schlafen. Alle zwei Stunden wird gewechselt. Sie sind fünf, Edgardo, drei Männer und eine Frau. Eindringen in das Haus, Befreiung von Gefangenen, die hier verhört und gefoltert werden. Wo die Schlüssel zu den Zellen hängen, wissen sie. Dann Rückzug über die Mauer, Flucht mit dem Campingbus. Alles ist oft und detailliert besprochen worden. Auf keinen Fall soll geschossen werden. Der Bus wird in einer Seitenstraße abgestellt. Sie ziehen sich schwarze Kapuzen über die Köpfe und laufen zur Mauer. Zuerst klettert die Frau hinüber, dann nacheinander die Männer. Hinter dichten Büschen bleiben sie stehen und versuchen ruhiger zu atmen. Edgardo schleicht zur Rückseite des Hauses, dann an der Mauer entlang und bleibt neben dem Eingang stehen. Ein Mann kommt aus dem Haus. Er kann ihn von hinten angreifen und hält ihm das Chloroformtuch auf Mund und Nase. Der Wächter strampelt noch ein bisschen, fällt dann aber auf die Erde. Die anderen vier kommen gelaufen und schleichen ins Haus. Er fesselt den Betäubten, steckt ihm ein Tuch in den Mund. Alles oft geübt, es müsste klappen, denkt er. Er überlegt, welchen Nutzen ihr Unternehmen haben wird. Ein Tropfen auf einem heißen Stein, es wird die Diktatur nicht beenden, aber jemand wird weniger leiden. Die vier kommen leise heraus, bringen zwei junge Männer und ein junges Mädchen mit. Die Gesichter der Befreiten sind mit Blut verschmiert, ihre Kleidung ist zerrissen und verdreckt. Alle laufen auf die Mauer zu. Plötzlich geht ein Scheinwerfer an. Alles wird taghell erleuchtet. Die ersten sind schon an der Mauer, heben das Mädchen hoch, klettern schnell hinüber. Nur er und die Frau haben die Mauer noch nicht erreicht. Jemand schießt mit einer Maschinenpistole. Er weiß, dass man mit dieser Waffe nur sehr ungenau zielen kann, wenn das Ziel sich bewegt und weit genug entfernt ist. Alle sind entkommen, nur er und die Frau laufen noch auf die Mauer zu. Ein einzelner Schuss. Die Frau fällt hin, er dreht sich um, schießt den Scheinwerfer aus, es ist dunkel, nur die Straßenbeleuchtung taucht alles in Dämmerlicht. Nach dem Schuss sind die Polizisten ins Haus gelaufen, rufen Verstärkung, wissen nicht, wie viele noch im Garten sind, wollen nichts riskieren. Er hebt die Frau auf, trägt sie bis zur Mauer, sieht, dass seine Hände blutig sind und hört den Bus abfahren. Das war so ausgemacht. Er sitzt an der Mauer, hält die Frau auf seinem Schoß, Blut läuft aus ihrem Mund. Sie schaut ihn an, weiß wohl, dass sie sterben wird. Er weiß es auch. Sie flüstert: „Nimm mich in den Arm, mir ist so kalt!“ Er drückt sie fest an sich, Tränen laufen über sein Gesicht. Sie beginnt zu zittern, keucht noch einmal, rote Blasen kommen aus ihrem Mund, ihr Kopf fällt zurück, sie ist tot. 25 Jahre ist sie alt geworden, wollte die Welt verändern... Gestorben, wofür, für wen, warum? Er glaubte, es einmal zu wissen, jetzt weiß er es nicht mehr, lehnt ihren Kopf an einen Baum, streichelt noch einmal ihr Gesicht. Er springt an der Mauer empor, kann sich an den Glasscherben hoch ziehen. Der Mond ist hinter den Wolken hervor gekommen, Vollmond, der kalt am Himmel steht, unbeteiligt, als sei nichts geschehen, und doch ist für ihn eine Welt zusammengebrochen. Er verschwindet in einer dunklen Gasse.
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>Die Kritiker nehmen eine Kartoffel, schneiden sie zurecht, bis sie die Form einer Birne hat, dann beißen sie hinein und sagen: „Schmeckt gar nicht wie Birne.“< (Max Frisch) Geändert von Pedro (20.08.2010 um 09:15 Uhr) |
11.10.2010, 23:58 | #2 | |
Lyrische Emotion
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Hallo Pedro,
das ist eine krasse Geschichte, in der man die Realität ahnen kann, die irgendwo auf der Welt tatsächlich so abläuft. Die Frage nach dem "Warum" kann ich auch nicht beantworten. Vielleicht könnte man sagen, daß eine grundlegende große Veränderung immer ihre Opfer einfordert. Wenn es um Geld und Macht geht, sind manche Menschen bereit, alles dafür zu tun, um dies zu erhalten und andere sind genau so unerbittlich, jene Erstgenannten zu bekämpfen. Da braucht es Vorreiter, die in der ersten Linie stehen. Leider ist dies auch meist die Schusslinie... Eine Anmerkung möchte ich noch dalassen: Deine Geschichte ist, wie immer, interessant für den Leser. Du hast wirklich gute Ideen, die es wert sind, zu Papier gebracht zu werden. Was mich ein wenig störte, ist ein Teil deiner Satzgestaltung. Ich will dir mal ein paar Beispielsätze hierhin kopieren. Zitat:
Es klingt wie eine Aufzählung, eine leblose Aneinanderreihung von verketteten Geschehnissen. Es ist quasi wie durch einen Zeitraffer beschrieben. Dabei sollte die Geschichte, die in der Gegenwart geschrieben ist, den Leser unmittelbarer an den Geschehnissen teilhaben lassen. Das muss etwas fließender kommen. Ich hoffe, du bist mir wegen dieser Kritik nicht böse, aber als Leser deiner Geschichten möchte ich dir auch mein ehrliches Bild übermitteln. Fazit: Die Idee ist gut, die Ausführung an einigen Stellen weniger. Aus dem Stoff ließe sich mehr herausholen. Gerne gelesen und kommentiert... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
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12.10.2010, 07:35 | #3 | |||||
Erfahrener Eiland-Dichter
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Morgen Falderwald,
Zitat:
Zitat:
Diktaturen scheitern heute nicht mehr an Widerstandsbewegungen sondern wegen wirtschaftlicher Bedingungen. Zitat:
Stilistisch gelingt mir das oft nicht. Ich bin mir bewusst, dass mein Schreibstil ziemlich gewöhnungsbedürftig ist, keinesfalls vorbildlich. Zitat:
Zitat:
Liebe Grüße Pedro
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>Die Kritiker nehmen eine Kartoffel, schneiden sie zurecht, bis sie die Form einer Birne hat, dann beißen sie hinein und sagen: „Schmeckt gar nicht wie Birne.“< (Max Frisch) |
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