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26.05.2016, 19:50 | #1 |
TENEBRAE
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Vollendet
So schließt sich bald der bunte Kreis des Lebens,
das mich so vieles so beharrlich lehrte und manches gar ins Gegenteil verkehrte zum Besten wohl, was ich begann. Vergebens war nichts davon, und was ich auch begehrte im Wirbeltanz des Wünschens und Erstrebens um Götzen und an Orten des Erbebens - es war das Falsche nur, das mich beschwerte. Um wie viel leichter war mir in den Jahren, die nicht erobert, bloß geliehen waren, da ich um dieses Abschiednehmen wusste. Mein Leben wird vollendet nun im Geiste, wo er sich selbst verliert, wie er das meiste verlieren und erst so begreifen musste.
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. Geändert von Erich Kykal (28.05.2016 um 13:24 Uhr) |
26.05.2016, 22:09 | #2 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Erich,
eine sehr interessante Form! Enjambements und Umkehrung der Reime in den Quartetten. Klingt richtig gut. Die einzige winzige Kleinigkeit: Mir würde in Zeile 8 besser "nur" statt "erst" gefallen, reine Geschmackssache. Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
26.05.2016, 23:52 | #3 |
TENEBRAE
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Hi Thomas!
Danke für den Tipp - mit "nur" sagt es zwar nicht exakt das aus, was mir ursprünglich vorschwebte, aber im Sinne des Gesamtinhalts und der Aussage ist es sogar besser! Gern genommen! Die umgekehrten Reime in den Quaretten mache ich öfter so, um die Form ein wenig aufzulockern. Ich denke, das ist sogar erlaubt - aber falls nicht, wär's mir egal ... Enjambements habe ich öfter mal, auch in Sonetten. Ich lasse mir die Möglichkeiten der Sprache, Fluss und Eleganz nicht gern von in Stein gehauenen "Regeln" einschränken. Für mich geht eigenes sprachliches Geschmacksermessen immer vor sklavischer Befolgung einer Form, sogar vor Vermittlung eines bestimmten Inhalts, den ich eher einem besseren Wortklang unterordne, als um seinewillen die lyrische Anmutung der Sprache zu strapazieren! Ich sehe es so: Dem Leser späterer Jahre wird es egal sein, welches Thema genau ich am sounssovielten Dings im Jahre Bums exakt bedichten wollte, weil ich es da so beschlossen hatte. Ihm werden zeitlos schöne und elegante Sprache wichtiger sein als die Überlegung, welcher Gedanke genau den Dichter wohl an einem bestimmten Datum bewegte. Wenn ich ein Hortensiengedicht von Rilke lese, sinniere ich sicher nicht darüber, ob er an jenem Tage nicht vielleicht eigentlich Tulpen bedichten wollte, doch das Werk geriet ihm dann doch anders ... - ich freue mich einfach nur an der wunderbaren und klingenden Sprache, die rund und harmonisch fließend beschreibt. Viele Autoren, denen ich Vorschläge zur Verbesserung der Sprache machte, die den Inhalt auch nur geringfügig verschoben oder geändert hätten, ereiferten sich - für mich unbegreiflich - darüber, dass es unmöglich für sie sei, von der einmal gewählten Thematik abzuweichen - ja, sie schienen es gar als eine Art Verrat an ihren Intentionen zu betrachten! Für sie stand immer der zu vermittelnde Inhalt im Vordergrund, das Gedicht war nur ein gewähltes Transportmittel dafür. Ich sehe es anders herum: Mir geht es - meist - um das vollendet gelungene, in sich bündige Gedicht an sich, ein Feiern der Schönheit der Sprache - sozusagen um die Dichtkunst selbst. Inhalt und unreflektierte Formentreue sind da nachrangig. Mal sehen, welcher Angang letztlich zu nachhaltigerer Lesertreue führt ... LG, eKy
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27.05.2016, 12:22 | #4 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Erich,
du denkst halt in einem größeren Rahmen von Zeiten und Kulturen, was ein Verständnis für die Ich-hier-und-jetzt-und-wichtig-Menschen schwierig macht. Ja, die sprachliche Schönheit ist ganz entscheidend für die Qualität eines Gedichtes, deshalb nehme ich auch deine Kommentare und Kritik sehr ernst. Der unmittelbar erkennbare Inhalt kann es ja nicht sein, denn was ist an der tausendsten Nachtigall oder Rose, oder wegen mir Hortensie, so aufregend? Der Inhalt dieser "Bilder" ist insofern wichtig, als sie eine Metapher erzeugen, man kann auch Symbol sagen, wenn man das Rechte darunter versteht. Die schöne Sprache und die poetischen Bilder bedingen und tragen sich gegenseitig. Schöner Klang alleine wäre leer, schöne Bilder allein nicht zu verstehen. Die Angst vor Kritik an einzelnen Worten stammt oft daher, dass das Dichten zu persönlich genommen wird und gemeint wird, es müsse das Individuelle, wie eine Schaufensterpuppe, ausgestellt werden. Aber es ist einfach so, wie es Schiller (in meiner Signatur zitiert) sagt. Individuell ist das Gedicht sowieso immer, da es ein Individuum schreibt, daran muss man nichts tun, man muss am Individuum arbeiten, dann wir das Gedicht von selbst interessant. Der Kerl hat Recht, er hat sich und uns in die Seele geschaut. Liebe Grüße Thomas
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27.05.2016, 13:23 | #5 | |
TENEBRAE
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Hi Thomas!
Zitat:
Nur WELCHE Inhalte dies letztlich sind, ist der lesenden Nachwelt egal, vor allem mit größerem Abstand zu aktuell bedichteten Tagesgeschehnissen/-erlebnissen. Wenn ein Dichter die bestmögliche Form seiner lyrischen Sprache opfert, weil er so an seiner einmal gefassten Thematik klebt, dass er der Lyrik zuliebe nicht mit- oder umzudenken vermag, sollte sich diese Notwendigkeit erweisen, und er sein gedankliches Konzept partout nicht verlassen möchte, tut er der Poesie an sich oft nichts Gutes. Es sind die Gedichte, die - vereinzelt - die Zeiten länger überdauern als ihre Schöpfer, nicht die darin vertretenen Standpunkte oder Ergüsse zum Zeitgeschehen. Es ist die Lyrik selbst, die überlebt. Goethe schrieb viele sehr durchdache Gedichte - aber wieviele kann man nennen? Nur die paar, die so gut waren, dass es eine Leserschaft für wert befand, sie weiterzutragen! Der Inhalt dieser Werke ist dabei beliebig, es geht nur um die vollendete Sprache, die einen Inhalt vollendet beschreibt - welcher das auch sei. Darum ist mir das Werk meist wichtiger als das, was es beschreibt, oder was ich mir beim Schreiben zu jenem Thema dachte, oder wie wichtig es mir gerade da war. Der Inhalt folgt dem Sprach- oder Gedankenfluss beim Dichten, nicht umgekehrt! LG, eKy
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27.05.2016, 17:15 | #6 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Erich,
ich glaube schon verstanden zu haben, was du sagst. Ich wollte nur zu bedenken geben: Sprach ist nicht Musik, Worte sind nicht Töne, Poesie hat deshalb zwangsläufig immer etwas mit Inhalten zu tun. Man kann den Inhalt nicht negieren, die Frage ist, welche Inhalte sind für schöne (im Sinne von gute) Poesie geeignet. Ob es soweit geht, dass der "Inhalt den Sprachfluss folgen muss", möchte ich nicht beurteilen. Liebe Grüße Thomas
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27.05.2016, 18:18 | #7 |
TENEBRAE
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Hi Thomas!
Von "folgen muss" habe ich nichts gesagt, nur dass ich es meist so mache. Und meine Aussage war nie, den Inhalt zu negieren, sondern Inhalt flexibel einzusetzen. Ich beginne mit einem Gedanken und überlasse es meinem Unterbewusstsein während des Schreibens, wo das Gedicht hin will. Ausnahmen sind jene Kopfgedichte, die auf bestimmte Ereignisse Bezug nehmen und diese kritisieren, hinterfragen oder sonstwie kommentieren sollen. Klar, da kommt man nicht aus. Aber ob mich ein Blick aus dem Fenster nun zu einem Gedicht über die Haselnuss oder einem über Eichenlaub führt, ob es mittendrin abbiegt zu den Tieren, die darin leben, ob die Erzählstruktur in andere Jahreszeiten verweist oder sich einfach über das Wetter auslässt, dem die Blätter ausgeliefert sind, überlasse ich dem poetischen Prozess, der Wahl der Reimworte, der Konstruktion der Sprache, einer unbewussten Eingebung aus tieferen Wesensschichten usw... - das wird bei mir nicht zuvor geplant und vorentworfen, weil ich mich auf bestimmte Aspekte oder Themen vorweg festgelegt hätte. Ich bleibe sozusagen "im Fluss" ... LG, eKy
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27.05.2016, 18:37 | #8 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Erich,
genauso persönlich, wie du es beschreibst ist es klar, ich habe wieder mal eine allgemeine Aussage vermutet wo keine war. Liebe Grüße Thomas
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27.05.2016, 21:27 | #9 |
Slawische Seele
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Lieber eKy,
hier habe ich doppelt genossen. Einmal das sprachlich fließende Sonett und dann die Besprechung mit Thomas. Bevor ich überhaupt wusste, dass Poesie auch "Fachwissen" beinhaltet und erfordert, reimte ich fleißig und es machte mir Spaß. Fast jeder Vers war ein vollständiger Satz mit Punkt oder Komma. Enjabements sind mir zwar in anderen Gedichten aufgefallen, aber eben nicht als solche. Ich habe die Kunst darin bewundert und geglaubt, ich könnte es nicht. Einleuchtend in Eurem Gespräch auch die "Betrachtung" des Inhalts. Wäre das z.B. eines von Goethe, stellte ich bewundernd fest, was und wie er über "Vollendung" schrieb und dachte. Mir gefiele es und ich würde es mir an die Wand pinnen, um für mich zu übersetzen, um nachzudenken oder um es Freunden zu zeigen. Ich würde über Goethes "Klugheit, Weisheit" reden und dabei seine persönliches Anliegen auslassen. Das finde ich hoch interessant, denn ich neige sehr dazu, im Gedicht ein "Anliegen" zu erkennen und nicht selten Empathie zu zeigen. Ich bin mir dessen bewusst und denke, darin besteht der Unterschied - ob sich lebende Dichter austauschen oder ob man über "alte Meister" spricht. Am Ende zählt das Werk. Ein Urururenkel, der "Vollendet" liest, pinnt es sich an die Wand und spricht mit Freunden über das Leben. Ein gutes Sonett mit wertvollen Beiträgen. Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
27.05.2016, 22:01 | #10 |
TENEBRAE
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Hi, Dana!
Vielen Dank für deine profunden Gedanken zu Gedicht und Kommentaren! Du rundest diesen Faden wunderbar ab! Das Sonett wird in S2 und zum Ende hin eher buddhistisch, wo sich der Geist "verliert", und zwar im Sinne ebenjener Philosophie, die vertritt, dass man die Dinge erst loslassen muss, um sie zu verstehen: Nur ohne Begehren betrachtet erschließt sich der wahre Kern - auch des Lebens selbst. Nicht dass ich Buddhist wäre - ich picke mir nur gern die Golderbsen aus so mancher Kulturen Denkgebäude, um sie zu reflektieren. LG, eKy
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