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05.04.2013, 05:02 | #1 |
TENEBRAE
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In Zeit und Wandel
Es war ein Tag entwaffnender Gebärden,
von eigner Schönheit und gelinder Scheu, und alle Dinge, die uns sonst gefährden, erträumten uns in diesen Stunden neu. Die hohen Wolken trugen sanfte Mienen, als wäre keine noch von Regen schwer, und in den Blütenhecken summten Bienen, und alles schien gelöst und ungefähr. Die sanften Hände trieb kein harter Wille zu strenger Arbeit und erlernter Zucht, sie reckten scheu sich in die Überfülle erlebter Augenblicke, wie zur Flucht. Ein kühler Wind ging über reife Felder, als streifte selig er den Rand der Zeit, und lockte aus dem Dunkel tiefer Wälder ein Duften wie nach Weltvergessenheit. So sehr vollkommen war kein Tag je wieder als dieser eine, der uns doch entglitt. Es war ein Tag der Herzen und der Lieder, und unsre Seelen sangen freudig mit. Doch ist auch er in Abendrot verglommen wie all die anderen, danach, davor - in Zeit und Wandel gibt es kein Entkommen, und kein Behalten, das uns nicht verlor.
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. Geändert von Erich Kykal (01.08.2018 um 12:41 Uhr) |
22.12.2013, 12:39 | #2 |
Lyrische Emotion
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Servus Erich,
Zeit bedeutet ja eigentlich Veränderung, so ist der Titel nur logisch: "In Zeit und Wandel". Solche Tage gibt es. Sie scheinen perfekt oder besser gesagt, sie scheinen uns perfekt, obwohl wir in Unkenntnis darüber sind, was die Zukunft uns noch bringen wird. Eines aber ist jedenfalls klar, sie sind auch einzigartig, denn sie sind dem unterworfen, was alles Sein bedroht, nämlich der Vergänglichkeit. Und somit wären wir wieder bei der Veränderung, denn alles was aufhört, in seiner gegenwärtigen Form zu existieren, verändert die Welt bzw. das Universum, denn es ist nicht mehr so, wie es vorher war. Auch wenn diese Veränderungen nur minimal sind (immer nur sein können), so summieren sie sich doch und verändern somit immer das Gesamtbild. Und so unterliegt eben alles der Zeit und dem Wandel, wie auch immer. Sehr schöne und tief nachdenkliche Naturbetrachtung, die es auf den Punkt bringt, denn alles ist eben nur eine Momentbetrachtung. Anmerkung: Müsste es in S3 / Z5 nicht heißen "Doch ist auch er im Abendrot verglommen"? Irgendwie will mir "in" dort nicht eingehen. Etwas verglimmt im Feuer, im Abendschein der Sonne etc... Sehr gerne gelesen und kommentiert... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
22.12.2013, 14:35 | #3 |
TENEBRAE
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Hi, Faldi!
Danke für Kommi und Analyse! Ich halte dieses für eines meiner gelungeneren Werke, daher vergrämte es mich etwas, dass es so lange nicht kommentiert wurde - leider! Das "in" ist dort durchaus korrekt. Schreibt man "im Abendrot", bezieht man sich auf ein bestimmtes, dem jeweiligen Tag zugeordnetes Abendrot. Schreibt man "in Abendrot", spezifiziert man nicht, sondern beschreibt nur die Art des "Verglimmens" an sich, quasi rein technisch. Man sagt ja zB. auch: "in Tagen gemessen", oder "in Meilen ausgedrückt", oder "eine Studie in Rot" ... Wie "in Abendrot verglommen" auch Dativ. LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. Geändert von Erich Kykal (31.07.2019 um 13:52 Uhr) |
22.12.2013, 16:17 | #4 |
Eiland-Dichter
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Hi Erich!
Ich bin auch erst jetzt aufgrund des Kommentars von Falderwald auf dieses Gedicht gestoßen und finde es sehr sehr schön zu lesen. Irgendwie kann man sich richtig sehnsüchtig an diesen Ort denken, den du beschreibst - hat für mich etwas von totaler natürlicher Harmonie in ihrer reinsten Form. Da ich ja dein Meisterwerk der seltsamen Sonette kenne, entsteht hier in meinen Gedanken auch ein bildnerisches Abbild deines Gedichts, welches leider nie so umgesetzt werden wird - aber die Worte verleiten einfach dazu, hier gewisse Bilder in seinen Gedanken abspiele zu lassen. Zeit und Wandel könnte man ja etwas enger betrachtet sogar als Thautologie deuten - die Zeit bringt Wandel mit sich, der Wandel ist von der Zeit beeinflusst - nach Herklits Kurzformel des "panta-rhei" könnte man zum Schluss kommen, dass Zeit=Wandel ist (ok, jetzt kommen wir von der Germanistik über die Philosophie zur Mathematik ). Da wir in unserer Existenz diesem Raum-Zeit-Konstrukt unterliegen, glaube ich, dass wir Vergänglichkeit, Veränderung, usw. nie als etwas "gutes" oder "schlechtes" beurteilen können, wir unterliegen ihr einfach und können, je nach Situation, auf diese hoffen, diese am liebsten versuchen aufzuhalten, oder wiederrum sie herbeisehnen - Veränderung ist einfach eines der großen Prinzipien, die Basis unserer Existenz zu sein scheint und aus der auch alles Leben und Energie zu enspringen mag. ...um jetzt nicht zu weit in philosophische Gedanken abzuschwirren - finde das Werk so richtig gut - hoffe, es findet den Weg in dein nächstes Buch!
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Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen. Lucius Annaeus Seneca Geändert von gerig1 (22.12.2013 um 16:20 Uhr) |
22.12.2013, 23:09 | #5 |
TENEBRAE
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Hi, Gerig!
Danke für Gedanken und Lob! Ja, dieses Gedicht kommt sicher ins nächste Buch! So philosophisch habe ich die Szene gar nicht betrachtet, beim Dichten gehe ich eher nach Gefühl. In diesem Falle das Gefühl, dass eben nichts von Dauer wein kann, alles vorübergeht, Gutes wie Schlechtes. Sich geborgen zu fühlen ist schön, solang die Illusion dauern mag - aber sie wird nicht ewig halten: Kein Behalten, das uns nicht verlor! Schön, wenn man nicht nur einen einzelnen Tag so wie hier, sondern sein ganzes Leben innerhalb eines Bereiches der Geschichte leben kann, der dank Frieden und Wohlstand solche Illusionen zulässt! Dieser Gnade sollten wir stets eingedenk sein! LG, eKy
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23.12.2013, 22:33 | #6 | |
Slawische Seele
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Zitat:
Lieber eKy, ein Gedicht, das ganz naturbelassen der Schönheit und Erhabenheit der Natur überlassen werden darf und wie von selbst in Philosophie übergeht. Weder in Philosophie noch in Natur können wir an etwas festhalten. Die Zeit steht stets im Wandel und mit ihr die Betrachtung. Zeit und Wandel regieren alle und ich darf ganz für mich jenen und mehr Augenblicke behalten (festhalten) - dankbar, dass sie gewesen und nicht traurig, dass sie vergangen. Eine wunderschönes Gedicht, das Momente festhält, die ein Dasein entlohnen. Liebe Grüße, Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
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25.12.2013, 17:09 | #7 |
TENEBRAE
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Hi, Dana!
Bei diesem Gedicht waren mir Wortklang und Satzmelodie besonders wichtig - alles sollte fließen, als wäre es leiser Gesang. Interessanterweise hast du deinen Kommi sprachlich ebenso gestaltet, als sollte er den Stil des Gedichts widerspiegeln! Sehr schön - und danke für die Blumen! LG, eKy
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27.12.2013, 20:33 | #8 | |||||
Lyrische Emotion
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Servus Erich,
ich finde dieses Gedicht auch ausdrücklich gut gelungen, deshalb komme ich auch noch einmal zurück (Das kennst du ja schon ). Ich kann deinen Gedankengang bezüglich "in Abendrot" durchaus nachvollziehen und verstehe, was du damit ausdrücken möchtest. Aber ich finde es stilistisch äußerst ungewöhnlich und umständlich, in einem ansonst nachvollziehbaren Gedicht, das in eine schöne lyrische Sprache gekleidet ist. Du schreibst: Zitat:
Zitat:
Zitat:
Zitat:
In welchem undefinierbaren Abendrot ist dieser vorher genau spezifizierte Tag denn nun verglommen? Mit Fantasie kann ich mich in Abendrot kleiden oder hüllen. Das besagt, ich bekleide mich mit Abendrot. Doch ich kann nicht in Abendrot tanzen, singen, verschwinden oder sonstige Dinge tun. Das Abendrot ist nämlich ein momentaner Zustand und ich kann in diesem Zustand alles tun, also im Zustand des Abendrots. Sogar verglimmen... Zitat:
Dann müsstest du schreiben: in Abendröten verglommen. Solltest du noch mal drüber nachdenken... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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27.12.2013, 21:45 | #9 |
TENEBRAE
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Hi, Faldi!
Man kann IN Schleiern tanzen oder IN Trance, IN Harmonien singen, IN aller Heimlichkeit verschwinden und sonstige Dinge IN etwas tun - auch IN Abendrot verglimmen. ER - der Tag nämlich, kann IN Wolken gebettet schwinden, IN Regenschleiern verdämmern, IN Sturmgebraus enden, usw... und eben auch IN Abendrot verglimmen, wenn man das Abendrot eben als einen von vielen möglichen Zuständen des Dahingehens interpretiert, als eine von vielen denkbaren Kulissen des Dunkelwerdens. Singular und Plural spielen da übrigens keine Rolle, es ist von beidem genug da für zig Beispiele. Ich hoffe, du kannst die Korrektheit meiner Formulierung nun endlich nachvollziehen. Falls nicht, verbleiben wir eben dabei, in diesem Punkte unterschiedlicher Ansicht zu sein. LG, eKy
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28.12.2013, 00:45 | #10 | |
Lyrische Emotion
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Servus Erich,
Singular und Plural spielen da ganz im Gegenteil eine große Rolle. Tanzt du wirklich in Schleier? Also ich tanze im Schleier, aber in Schleiern. In Wolken gebettet funktioniert. Aber: nur im Plural und im Akkusativ. Genauso kann der Tag in Regenschleiern verdämmern. Aber nur im Plural. Im Singular verdämmert er im Regenschleier, oder nicht? Solche Beispiele erübrigen sich also. Tatsächlich aber kann ich in Harmonie singen. Auch in Trance tanzen. Ebenfalls in (aller) Heimlichkeit verschwinden. Wie kommt das? Nun, diese Worte sind Substantive Femininum. Also singe ich in der Harmonie und tanze in der Trance, verschwinde in der Heimlichkeit, abgekürzt in Harmonie, in Trance und in Heimlichkeit Aber das funktioniert nur bei diesen. Bei Substantiven Maskulinum und Neutrum ist das aber nicht der Fall: Hier ist dem Dativ im Singular ganz klar der Artikel "dem" zugeordnet. Der Schleier Des Schleiers Dem Schleier Den Schleier Das Abendrot Des Abendrots Dem Abendrot Das Abendrot Mit der Präposition "in" bzw. "im" wird der Kasus ausgedrückt, wenn der entsprechende Artikel weggelassen werden soll (und kann). Ich hülle mich in den Schleier oder in einen Schleier. Akkusativ Sg Ich tanze in dem Schleier oder im Schleier. Dativ Sg Ich tanze in Schleier geht hier also gar nicht. Genauso wenig geht das mit Abendrot. Ich verglimme, vergehe, verschwinde in dem Abendrot, also im Abendrot. Nur so kann ein reiner Dativ ausgedrückt werden. Hätte der Dativ hier eine andere Endung, würde es deutlicher: Heißt es "Im Namen der Rose" oder "In Namen der Rose"? Anderes Beispiel: Sagt man, es ist alles im Feuer verbrannt oder es ist alles in Feuer verbrannt? Neutrum Weitere Beispiele für eine Dativbildung: Das Schiff ist im Sturm gesunken, nicht: in Sturm versunken (und zwar in irgendeinem nicht näher definierten Sturm). Maskulinum Er ist im Dämmerschein verschwunden, auf keinen Fall: in Dämmerschein verschwunden. Maskulinum Sie steht im Rampenlicht, niemals: Sie steht in Rammpenlicht. Neutrum Esse ich in Abendrot? Singe ich in Abendrot? Liebe ich in Abendrot? Mache ich überhaupt was in Abendrot? Nein, ich esse im Abendrot, ich singe im Abenrot und ich liebe im Abendrot. Alles was irgendjemand oder -etwas tut, oder was ihm widerfährt, geschieht im Abendrot, niemals aber in Abendrot, wenn das Abendrot im Dativ verwendet werden soll. Denn in Abendrot ist auf keinen Fall ein Dativ, sondern so, wie hier gebraucht, ein unvollständiger Akkusativ. Zitat:
Liebe Grüße Bis bald Falderwald PS: Wir haben in diesem Punkt tatsächlich eine unterschiedliche Ansicht, nur bin ich fest davon überzeugt, dass meine Auffassung den grammatischen Regeln entspricht. Das Englische ist da viel simpler gestrickt. Da ist alles "in"...
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