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19.12.2012, 00:26 | #1 |
TENEBRAE
Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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Steingeworden
Ein Stein bin ich an vieler Bäche Betten,
und fühle ab und an des Strömens Tropfen an meine glattgeschabte Schale klopfen, war immer kalt und niemals je zu retten. Ein Stein bin ich an vieler Berge Wände, und fühle ab und an des Windes Streichen mein kühles Eremitensein erreichen, für das ich jeden Atemzug verwende. Ein Stein bin ich und bin es lebenslänglich. Dem Menschsein gegenüber unverfänglich. Kein Fluten und kein Wärmen macht mich weich. Für keines andern Nähe je empfänglich sind Höhen mir und alle Tiefen gleich in meinem stillen und entrückten Reich.
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
19.12.2012, 11:59 | #2 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 3.375
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Hallo Erich,
ein sehr interessantes Gedicht. Schon das erste Bild von dem Stein an vielen Bächen erzeugt eine Ambivalenz, die zu dem Thema passt, denn ein wirklich Versteinerter würde ja nie ein Gedicht über sein Steinsein schreiben. Auch hast du mit der Form des Sonetts etwas Erstaunliches angestellt, indem dreimal "Ein Stein" eigentlich die natürlich Grenze nach den beiden Quartetten überspringt (wie beim Shakespeare-Sonett), aber trotzdem das letzte Terzett bestehen bleibt, eine formale Ambivalenz, die durch die Ähnlichkeit der Reime in beiden Terzetten gefördert wird. Etwas ungewöhnlich finde ich "des Strömens Tropfen". Könnte es nicht schlicht "des Wassers Tropfen" lauten, was auch gut zu dem Wind in der nächsten Strophe passen würde. Auch "dem Menschsein gegenüber" klingt mir etwas abstrakt. Man verhält sich doch immer Menschen gegenüber unverfänglich, aber das ist wahrscheinlich nur Geschmackssache. Inhaltlich hat mich das Gedicht an etwas erinnert, was ich vor einiger Zeit unter dem Titel "Schwerelos" geschrieben habe und nachher in Forum einstellen werde. Mir gefällt dein Gedicht sehr gut. Liebe Grüße Thomas |
19.12.2012, 15:26 | #3 |
TENEBRAE
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Beiträge: 8.570
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Hi, Thomas!
Da ich Gedichte meist einfach so vor mich hinschreibe und dabei der "inneren Melodie" formal wie inhaltlich folge, kommt eben mal derlei dabei heraus. Ich achtete nur auf das Sonettgerüst - alles andere ergab der fließende Gedanke. "Strömens" fügt sich meines Erachtens besser in die Klangmelodie der Zeile als "Wassers", liest sich obstruktionsfreier. MenschSEIN heißt hier viel mehr als nur der Umgang unter Menschen - es beinhaltet als Begriff auch das eigene, innere "Menschsein" das soziale Gewissen, die Erfahrungen, insgesamt alles, was uns ausmacht, nicht bloß das, was du darin andeutest. Dem eigenen tiefsten ICH, dem eigenen Menschsein gegenüber unverfänglich zu bleiben, heißt sich selbst verleugnen, zu sublimieren, was uns überfordert. Vielen Dank für deine Gedanken! LG, eKy
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21.12.2012, 20:42 | #4 |
Slawische Seele
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Beiträge: 5.637
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Lieber eKy,
"Steingeworden" hat mich sehr berührt, weil ich beim Lesen nie das Bild eines Steins bekommen habe. Ich sah ein lyr. Ich, das leidet - eines das friert und sich schmerzlich seines "entrückten" Daseins durch Vergleich und Erleben bewusst wird. Manchmal denke ich, dass wir das Universum besser kennen als das Innere des Menschseins (was ein Universum für sich ist). Die im Menschsein enthaltene Kälte, Gleichgültigkeit und Härte löst beim Lesen und Verstehen eine ungeheure Traurigkeit darüber aus, dass es so sein kann. Es hat nichts mit Gut und Böse zu tun, sondern mit der Einsicht, dass es jedem so ergehen kann und man nie erfährt, warum es so ist. Immer noch berührt und nachdenklich über ein erhabenes Sonett, liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
25.12.2012, 03:41 | #5 |
TENEBRAE
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Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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Hi, Dana!
Vielen Dank für soviel innige Zustimmung! Ich hab einfach gelernt, dass es schlicht weniger wehtut, wenn man Schmerz vermeidet. Ab einem gewissen Alter - so ab 14 - kam eigentlich niemals wieder jemand emotional an mich heran, und wenn, behielt ich es tunlichst für mich. Wer mich so nehmen konnte, hatte Spass mit mir, aber über freundschaftlichen Respekt und Sympathie kam auch das kaum je hinaus. Das macht ein Leben vielleicht um ein paar zweifelhafte Erfahrungen ärmer, aber insgesamt wesentlich gefühlsstabiler. Für diese Stabilität nimmt man auch in Kauf, dass es zumeist keine überwiegend lebensfrohe Gefühle sind. Es ist wie bei allem: Man gewöhnt sich irgendwann daran... LG, eKy
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25.12.2012, 17:51 | #6 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 446
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Steingeworden
Hallo Erich,
wieder einmal ein tolles Werk! Doch wenn Menschen wie Steine sind, wenn sie nichts (mehr) berührt, weil alles an ihrer glatten Oberfläche abgleitet, wenn die Gefühle erstarrt und versteinert sind - lohnt sich so ein Leben? Es gibt sicher Menschen, für die das erstrebenswert ist - doch solche Menschen haben nie gelebt! Sehr nachdenklich stimmende Zeilen! Weihnachtliche Grüße wüstenvogel |
25.12.2012, 19:25 | #7 | ||
Lyrische Emotion
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Beiträge: 9.913
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Servus Erich,
ich hätte jetzt besser vorher nicht alle Kommentare und Antworten gelesen und mich an den Text selbst gehalten, dem ich vorab schon einmal ein Lob aussprechen möchte, weil er ein wirklich schönes und gelungenes Sonett geworden ist. So gehen mir jetzt natürlich noch andere Gedanken durch den Kopf, die ich eigentlich lieber außen vor gelassen hätte. Denn viel lieber läse ich die Zeilen aus der Perspektive eines wirklichen Steins, sozusagen als Fiktion, wie ein Stein sich mitteilen würde, wenn er es denn könnte oder aber wie sich ein menschliches Bewusstsein ein Steinsein vorstellen könnte. Den ganzen emotionalen Schnickschnack dabei wegzulassen, kommt dem Text viel mehr zu Gute, denn es sind ja auch viele Fakten darin enthalten, welche die Existenz eines Steines ausmachen, die zudem noch in schöne lyrische Bilder gekleidet sind und das Geschehen vorstellbar machen. In jenem Sinne hat mir dieses Sonett ausnehmend gut gefallen. Gerne gelesen und kommentiert... Liebe Grüße Bis bald Falderwald ------------------------------------------------------------- Hallo Wüstenvogel, ich habe deinen Beitrag mit Interesse gelesen und möchte ein paar Gedanken dazu beisteuern. Zitat:
Zitat:
Bedeutet sie jetzt, solche Menschen hat es nie gegeben oder wenn ein solcher Mensch existierte, hat er eigentlich nicht gelebt? Wir müssen natürlich voraussetzen, daß es für einen Menschen niemals möglich sein wird, genau wie ein Stein zu sein, also sprechen wir nur über einige Eigenschaften, die ein Steinsein ausmachen würden. Wenn also ein Mensch auf alles verzichtet und gerade mal so viel zu sich nimmt und erledigt, wie überhaupt nur nötig ist, um seine organischen Funktionen aufrecht zu erhalten, sich aber ansonsten ganz in sich selbst zurückzieht und auf rein geistiger Basis existiert, dann wäre das die höchste Form des Asketen. Dieser hätte die vorstellbar höchstmögliche Bewusstseinsebene erreicht und bis auf die o. a. alle weltlichen Dinge überwunden. Keine Freude, keine Lust, kein Genuss, aber auch keine Angst und keine Leiden mehr und das bei vollem Bewusstsein. Ich könnte mir eigentlich keinen schöneren Tod vorstellen, als diesen in jenem Zustand zu erfahren. Und bis diese Stufe erreicht wird, hat der Betreffende durchaus gelebt, denn es erfordert seine ganze Kraft und seinen Willen, um ihn zu erreichen. Und solche Menschen hat es gegeben. Zu allen Zeiten, in allen Kulturen bis heute. Nicht viele freilich, aber sie sind da. Liebe Grüße Falderwald
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25.12.2012, 20:13 | #8 |
TENEBRAE
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Hi, wüstenvogel, faldi!
Danke für eure Gedanken! Der buddhistische Gedanke (löse dich von allen Dingen) ist hier interessant - und wär eine schöne Aussicht für dieses Gedicht, indes, als ich es schrieb, stand mir nur meine soziale Abkapselung vor Augen, die zwar freiwillig gewählt und meistens gesucht ist, aber mir zuzeiten doch auch zur Last werden kann. Nichts weiter. LG, eKy
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25.12.2012, 20:29 | #9 |
Lyrische Emotion
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Ja sicher, Erich, aber wir sind hier in der Denkerklause, also der philosophischen Abteilung und da wäre mir eine Diskussion über den buddhistischen Gedanken allenthalben näher gekommen, als den netten und verständnisvollen Onkel des Kummerkastens in einer atompsychologischen Aufbereitungsanlage spielen zu müssen.
Du armer Stein... Liebe Grüße Faldi
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25.12.2012, 20:36 | #10 |
TENEBRAE
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Wenn ich eine Schulter zum Ausweinen brauche, sag ich schon Bescheid!
Ich wollte eigentlich nur meine Intention in den Raum stellen, um deutlich zu machen, worum es mir ging. Ist schließlich mein Gedicht, atompsychologisch hin oder her... Denkt euch an Philosophischem dazu, was ihr wollt - hab ich nix gegen. LG, eKy
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