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Bei Vollmond Phantastisches und Science Fiction |
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08.06.2014, 02:55 | #1 |
Furzeulenlyriker
Registriert seit: 30.12.2013
Ort: Northampton, UK
Beiträge: 192
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Die Ballade vom Thekenschrat
Katzen sitzen auf den Stufen, und sie heulen wie verrückt.
Von den tausend schrillen Rufen bin ich durch und durch entzückt. Solo zieh ich durch die Gegend, finde nichts mehr weltbewegend, nur das Dunkel ist erregend, das sich in die Nischen drückt. Traurig ist der Gang der Dinge, kratzig das Gefühl der Schlinge, ganz zu schweigen von der Klinge, alles schieb ich vor mir her. Was weiß ich, was ich beginne. Einmal halte ich kurz inne. Selbst die Ratten in der Rinne geben keinen Pfennig mehr. Ich bin rettungslos besoffen, und die Hose steht mir offen, und an furchtbar schroffen Wänden renn ich mir den Schädel ein. Sagt mir bloß, wo soll das enden. Oh, da vorne brennt noch Licht. Tu ich's oder tu ich's nicht? Ach was, ich denk, ich geh da rein. Knarzend öffnet sich die Türe, das ist ein Geräusch, als führe sich der Teufel höchstpersönlich ungewöhnlich teuflisch auf. Ich geh rein. Drei alte Knacker machen sich sofort vom Acker, wohl vor mir, das sieht mir ähnlich, und ich nehm das gern in Kauf. Gerade sitz ich zwei Minuten vor des trüben Trankes Fluten, als ein Schrat eintritt, so schratig, wie ich's nie gesehn vorher. Teufel, denk ich, ist nicht möglich, doch der Kerl war so unsäglich schratig, regungslos verharrt' ich, rühre keinen Finger mehr. Doch der Schrat sieht das ganz locker, krallt sich einen Tresenhocker, grinst und stellt ihn neben meinen, und ich denk, was kommt denn jetzt. Starr zurück und kipp mir einen, und er starrt mich an mit Augen, die aus mir die Seele saugen, grinst, und hat sich schon gesetzt. "Ich bin Schrat aus tiefster Seele", lallt er "tief in meiner Höhle leben Geister, die ich quäle, Alter, aber nicht zu sehr. Diese Geister, das sind Wesen, die am Tode nicht genesen. Hör mal, brauchst du was zu lesen?" Spricht's und reicht ein Buch mir her. Drückt das Ding mir in die Finger, abgeschlafft am Tresen hing er, seufzte furchtbar, und dann ging er. Niemand hat ihn sonst gesehn. Ich beseh die alte Schwarte. Halbzerfleddert. Eine Karte fällt heraus, ich lang sie, fang sie. Gott, ich kann ja kaum noch stehn. Als ich mir das Ding begucke, kann ich nicht viel drauf erkennen, doch es kommt mir vor, als zucke jede Zeile, jedes Wort. Und das Ding fängt an zu brennen, und das Buch geht auf in Flammen. Lautlos sacke ich zusammen. Zugwind weht weht die Asche fort. Ich wach auf. Der Kellner räumt noch auf. Ein alter Penner träumt noch von den Dingen, die verschwunden sind und niemals wiederkehrn. Und die Schwarte ist beim Teufel samt der Karte, ohne Zweifel. Ich hab sie nie mehr gefunden. Und zu suchen liegt mir fern. Geändert von Schamansky (10.07.2021 um 04:21 Uhr) |
08.06.2014, 10:57 | #2 |
Kiwifrüchtchen
Registriert seit: 23.05.2009
Ort: nördlich von Auckland/Neuseeland
Beiträge: 945
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Hallo Schamansky,
also diesen Text finde ich richtig toll! Er entwickelt einen Sog, der mich sofort gepackt und mit solcher Vehemenz reingezogen hat, dass ich gar nicht schnell genug lesen konnte, so gierig war ich, zu erfahren, wie's weiter geht. Spannend, tolle Wortfindung. Der Rythmus der Metrik ist dem des 'The Raven' in vielen Passagen sehr ähnlich. Wie genau er ihm gleicht, das muss ich erst genauer beaugapfeln. Dieser Kommi hier entstand sofort nach dem ersten Lesen. Jetzt muss ich gleich nochmal ran und es mir auf der Zunge zergehen lassen. Ich bin sicher, mir fällt noch mehr dazu ein. Das werde ich dann hier reineditieren. Große Klasse! Kompliment. HG von Lailany
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.................................................. ........................................... "Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal |
08.06.2014, 11:35 | #3 |
TENEBRAE
Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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Hi, Maki!
Edgar Allen Poe's Rabe lässt grüßen - deine Adaption mit dem Schrat ist superber schwarzer Humor!! Ganz so lang wie das Original hast du's aber leider nicht geschafft - eigentlich schade bei dieser lyrischen Qualität! Ein paar Kleinigkeiten: S3Z4 - Da würde ich das "Ja" streichen. Vorletzte Str., Z4 - Da stimmt so der Takt nicht. Besser: "Und ich breche stumm zusammen, jemand fegt die Asche fort." Die allerletzte Strophe scheint mir recht indifferent gestaltet, da viele Binnenreime mitten in Phrasen liegen, die danach noch weitergehen - da findet sich der Rhythmus nicht so recht, weil er die Sprachmelodie aushebelt... Sehr gern gelesen! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
08.06.2014, 22:46 | #4 |
ADäquat
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Mitteldeutschland
Beiträge: 13.004
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Hallo Schamy
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. © auf alle meine Texte
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09.06.2014, 22:31 | #5 |
Furzeulenlyriker
Registriert seit: 30.12.2013
Ort: Northampton, UK
Beiträge: 192
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OK, ich lasse mich überzeugen. Das "ja" ist weg, und die vorletzte Strophe ist geändert.
Die letzte Strophe bleibt, wie sie ist. Lest sie euch einmal laut mit trochäischem Viererpuls vor, das groovt. Danke für eure Kommentare. Geändert von Schamansky (10.06.2014 um 01:39 Uhr) |
10.06.2014, 10:59 | #6 |
Gast
Beiträge: n/a
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Hallo Schamansky
Normalerweise lese ich solche langen Gedichte nicht
Doch als ich trotzdem hier angefangen bin, konnte ich nicht wieder aufhören. Es liest sich flüssig. Die Geschichte ist leicht nachvollziehbar, und überhaupt: wie bist Du denn auf den Thekenschrat gekommen ? Mit Begeisterung gelesen sy |
11.06.2014, 12:39 | #7 |
Furzeulenlyriker
Registriert seit: 30.12.2013
Ort: Northampton, UK
Beiträge: 192
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Hallo Syranie, ab einer bestimmten Promillezahl kann es passieren, daß man Dinge sieht...
--- Thema "Raven", das habt ihr richtig erkannt und wird von mir auch eindeutig zugegeben. Hier erging durchaus der Versuch, den Poeschen Sprach- und Rhythmikfluß zu emulieren. Das Metrum ist mit Poes identisch, nur die Strophen sind kürzer, und es gibt keinen Kehrreim. |
14.06.2014, 10:56 | #8 |
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 21.03.2009
Ort: Im hohen Norden
Beiträge: 431
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Hallo Schamansky,
auch diese Ballade ist köstlich und ich bescheinige ihr ein hohes sprachliches Niveau. Auffallend sind die vielen verwendeten Binnereime, die den Lesegenuss noch schmackhafter machen. Von mir gibt es 10 von 10 möglichen Punkten. Sehr lesens- und unterhaltenswert. Herzliche Inselgrüße Narvik
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Nur der fröhliche Mensch allein ist fähig, Wohlgefallen am Guten zu finden. (Kant) |
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