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16.10.2015, 10:00 | #1 |
Gast
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Ratschläge an den Dichter im Herbst
Streichle ein Wort, bis es anfängt zu schnurren!
Häng an die Linde, die kahle, ein Blatt! Zünde im Nebel ein Feuer, ein Funkeln! Gib deiner streunenden Ungeduld Statt! Hör, wie die brechenden Nussschalen knuspern! Lass dir ein Lied auf der Zunge zergehn! Lausche dem schwellenden, herbstlichen Husten! Bau dir ein Haus. Und baue es schön. Geändert von wolo von thurland (17.10.2015 um 12:45 Uhr) |
16.10.2015, 11:06 | #2 |
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Hallo Wolo!
Gefallen mir, deine herbstlichen Ratschläge an den Dichter. Lieblingszeile: "Streichle ein Wort, bis es anfängt zu schnurren!" In S 1, Z 4 statt statt Statt ?? In S 2, Z 4 Statt Und vielleicht ein Doch ?? Sehr gern gelesen und kommentiert. Herbstliche Grüße von Sanssouci |
16.10.2015, 11:39 | #3 | |
Gast
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Hallo Wolo,
scheinst Tag und Nacht am Metrum gefeilt zu haben: Alles, aber auch alles rischtisch! Beim "statt" durchzuckte es mich ebenfalls kurzfristig, räumte mir dann aber ein: "Der Bub wird das von "Stätte" ableiten; insofern ginge das bei mir als poetische Freiheit dorsch. Nichannersda beim "Und baue es schön." Hier liest mein lyrikverseuchtes Herz den Rilkebezug heraus: Zitat:
[Genauso geht es mir bei Lesen von Gedichten ... da kann ich gar nicht gegen an.] Der Rilkebezug zeigt sich auch in der Sprache insgesamt, in der Verwendung der Adjektive (Beispiel "brechende Nussschalen) und im leis-verhaltenen Parodieren. Ich habe streckenweise den Eindruck, dass du den Altmeister persönlich ansprichst ... Bin eine erklärte Freundin des intertextuellen Arbeitens. Darum gefällt mir das Stückerl super! MR @ Sanssouci: Wie erfreulich, dass ich wohl doch nicht die Einzige bin, die zum Vollkommenen strebt ... Geändert von Marzipania (16.10.2015 um 11:42 Uhr) |
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16.10.2015, 18:38 | #4 |
/ Bil-ly /
Registriert seit: 02.10.2015
Beiträge: 435
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Ja, der gute Wolo, ein alter Zyniker Aber das ist nur allzu verständlich, ich habe ihn unlängst belauscht:
Wolo's Beichte W: Charis will mir absprechen, dass ich etwas von Poetik verstehe. P: Ja, weißt du, mein Sohn, nicht jeder kann unsere Phonetik verstehen. Aber jeder versteht, dass wir die Demokratie erfunden haben, und sie würde immer noch funktionieren, wenn wir das Frauenwahlrecht genauso verweigert hätten, wie den EU-Beitritt. W: Ich glaube sie haben mich falsch verstanden, ich sprach nicht von unserer Sprache sondern von Poetik. P: Ach, mein Sohn! Ja, die Poesie! Was wären wir ohne die Poesie! Wie unsere schöne Sprache, hat sie etwas Außergewöhnliches, etwas sich dem alltäglichen Sprachgebrauch Entziehendes, über das Gewöhnliche Hinausgehendes, etwas Erhöhendes und Tranzendentes, ja etwas Göttliches! W: Das hätte ich mir ja denken können, dass sie an diesen so abgehobenen, überkommenen Kitschvorstellung festhalten wollen. Poesie kommt aus dem Griechischen, sie sollten das wohl wissen: Es bedeutet „etwas schaffen, machen“. Hat das irgendetwas mit "über das Gewöhnliche hinausgehend" zu tun? Wir schaffen Arbeitsplätze, Flüchtlingsunterkünfte, Kapital, machen aus Geld Zinsen, aus Abfall Energie. Poesie macht aus Worten, Metrik und Reimen ein Sprachwerk, das wars. P: Mein Sohn, hast du vergessen, dass du eine unsterbliche Seele hast? Nähre deine Seele mit wahrer Poesie und du wirst das Himmelreich finden, hier und nach deinem Tode, der dir gewiss ist wie das Amen im Gebet. W: Welcher Moslem beendet sein Gebet mit Amen!? P: Wir reden hier vom wahren Glauben mein Sohn! W: Kommen sie mir doch nicht mit "wahren Glauben" und "Seele", was ist das schon! Ein opiatöser Ersatz für den Verstand Gehirnamputierter, die nichts wissen. Sie sind auch nicht besser als diese Forendichter, die von einer "poetischen Seele" labern, wo es nur nach Kitsch stinkt. Meine Nase trügt mich nie, Herr Pfarrer, ich rieche den Gestank, wenn mir da jemand mit Liebe, Verlust, Trauer, Tod, Gefühlstiefe, Empathie, Empfindsamkeit und mit all den anderen banalen Dramen des Lebens daherkommen will, nur weil ihm nichts besseres einfällt und er es darauf anlegt, auf diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten von dem ganzen Pack der falschen Schleimer belobhudelt zu werden. Ich rieche den Verrat an der Poetik in jedem Leierjambus, in jedem Adjektiv, in jedem goldumrandeten Neben- und Schachtelsatz, in jeder aufpolierenden Inversion und jedem glitzernden Zombiewort. Ich spüre die Abgründe zwischen den gekünstelt aneinandergereihten Silben bis tief in meine spröden Knochen, sie verursachen mir rheumatische Beschwerden, und diese unbeholfenen poetischen Koitussen bearbeiten wie ungeschliffene Jagdmesser meinen Schädel und wollen meinen Neokortex herausschaben. Hätte man jemals das Rad erfunden, würde man es Forendichtern überlassen haben!? Welcher Baumeister würde die Grundfesten weglassen und sich darauf verlassen, dass das Haus schon irgendwie schweben wird, Kraft seiner poetischen Seele!? Wer würde das Dach zuunterst setzen, wenn es oben reinregnet!? Erkennen sie das Problem nicht!? P: Die Moslems?...die sagen etwas anderes, genau. Ich kann mir dieses arabische Zeugs nicht merken. Der Iman von der Moschee nebenan benutzt es am Ende beinahe eines jeden Satzes; es muss also nicht unbedingt nur ein Gebet sein. Die haben uns eindeutig etwas voraus. W: Er sagt "Inshallah"! ........Haben Sie mir überhaupt zugehört? P: Inschalla? W: "So Gott will!" P: Was soll er wollen? W: Da müssen sie den Imam fragen. P: Was willst du, mein Sohn? W: Ich? Schade, lieber Wolo, dass du deinen romantischen Wortschatz nicht öfter für Seelenerquickliches nützt! Lieben Gruß charis |
16.10.2015, 20:15 | #5 |
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 22.03.2009
Ort: Ein Ort auf Zeit und mit Herz
Beiträge: 107
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Hallo wolo,
Ich war überrascht, was ich hier entdecken konnte, nachdem ich diese, doch sehr erklärende Überschrift gelesen hatte. Die ersten Strophen waren einleitend und liebevoll, mit bemerkte ich auch bei mir ein zustimmendes Nicken. Dein Werk ist bildhaft und klar geschrieben, bringt gute Laune mit leichter Ironie. Gesund und nicht übertrieben, sagt der lyrische Doktox in meinem Kopf, direkt neben dem Vogel, der die Tassen wieder einräumt obwohl die Schrauben im Schrank noch locker sind. Gerne gelesen und Häusle eingerichtet um dann nach einem Spaziergang wieder sich wärmend darin zu erholen. LG f.D. Geändert von falscher Denker (16.10.2015 um 20:18 Uhr) |
17.10.2015, 12:08 | #6 |
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Hallo Sanssouci
Danke für deinen Besuch und deine Anmerkungen. Zur rersten meine ich: Ja, das wäre bestimmt eine Möglichkeit mit dem „Doch“. Zur ersten meine ich: Nein, ich halte in der Hand zwei Bälle, der eine heisst „stattgeben“, der andere „(eine) Statt geben“, und ich mag keinen von beiden fallen lassen, jongliere lieber ein wenig. Hallo M.R. Auch dir Dank für die Aufmerksamkeit. Nach deiner Auffassung von Metrik müsste doch die letzte Zeile unangenehm auffallen? Aber sei‘s drum, mir ist lieber, dir gefällt es, wie es ist. Zu „Stätte“: Sieh doch mal im Duden nach, bevor du mich „der Bub“ nennst. Danke. Hallo charis Ebenso schönen Dank. Mein (alter) Zynismus steckt im obigen Text mit drin. Wenn du ihn trotzdem seelenerquickend findest, ist das aber gut so. Dass deine freundliche Karikatur in mindestens zwei Punkten meine Standpunkte nicht richtig wiedergibt, habe ich anderswo schon angeführt. Hallo falscher Denker Danke auch dir, auch für dein schönes Selbstprotrait. Ein wenig Spannung darf schon sein in einem Bild. So hat die Überschrift nur ihren Dienst getan. Uff, so viel Echo! (freut natürlich) Allen einen schönen Tag wolo |
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