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15.11.2015, 02:24 | #1 |
Kiwifrüchtchen
Registriert seit: 23.05.2009
Ort: nördlich von Auckland/Neuseeland
Beiträge: 945
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Alte Schuld
Alte Schuld
Das Tor zum Garten Eden ist verschlossen, die Dunkelheit erstickt den letzten Laut, zu Markt getragen ist die dünne Haut des Gesternlands, wo Milch und Honig flossen. Der schwere Regen schlägt an blinde Scheiben. Erinnerungen schwelen in der Glut, in Haus und Hofe nistet Teufelsbrut, Dämonen scharen sich zum Kesseltreiben. In leeren Räumen tummeln sich die Ratten, ein Blutmond taucht das Land in tiefe Schatten, wo in Alleinherrschaft der Tod regiert. ... ... .... An morschen Balken nagt der Zahn der Zeit. Die alte Turmuhr schlägt Vergangenheit. Einst blühte hier die Hochburg guten Lebens, mit frohen Stimmen, Lachen, Sonnenschein, die Tafeln reich gedeckt mit Brot und Wein, im Überschwang des Nehmens und des Gebens. Fortuna zählte zu den Dauergästen, Gott Amor hatte sich ihr zugesellt und jeden Tag in seine Gunst gestellt. An diesem Ort, wo Milch und Honig flossen, trat vor den Traualtar ein schönes Paar und schloss den Bund, dem schon nach einem Jahr ein Erbe, ein gesunder Sohn entsprossen. ... ... ... Vor allzu forschen Augen gut verhüllt lag alte Schuld und moderte verborgen, darüber wuchs das Gras mit jedem Morgen. Die Scheuern blieben bis zum Dach gefüllt. ... ... ... Aus schnöder Raffsucht wurde er zum Täter, wie schon Jahrzehnte vor ihm seine Väter, die andrer Leid zu ihrem Nutzen schürten. Sie gaben kärglich Geld für Ländereien, denn Menschlichkeit ist satten Schächern fremd. Sie pfändeten der Armen letztes Hemd, bar aller Skrupel, Würde zu entweihen. Doch eines Tags erhob ein Greis die Stimme, auf taube Ohren fiel das Bittgesuch - sein Blut versickerte im Ackerrain. Der Schütze war vertraut mit Korn und Kimme. Er floh - doch traf ihn noch des Alten Fluch: "Der Teufel hole dich und das, was dein...." ... ... ... Ein Sturm kam auf und schwerer Hagel schlug in reifes Korn, von reger Hand bestellt und ohne Ernte blieb so manches Feld, verfault die kargen Früchte, die es trug. Die Dunkelheit verschlang den letzten Laut, als ob sie eine Seiner grauen Boten, von Ihm gesandt, die Tiefen auszuloten. Bevor der erste Eiskristall getaut, war allem Unheils Samen ausgesät, dem Wuchs zu wehren, war es schon zu spät. Der schwarze Herrscher hatte jetzt das Sagen. Ein Spinnenheer begann, Kokons zu weben, befiel die Ährenfelder, Früchte, Reben der Väter Land, von Söhnen stolz bebaut. Die Erde bebte, barst der Spiegel Glas, das Glück der guten Jahre lag in Scherben. Es wuchs der Argwohn, Lügen schlugen Kerben, am Herzblut trank und nährte sich der Hass. Die Eifersucht kroch unter Kissen, Decken, besetzte ungehindert jeden Raum, spann Ränke, die sich flink zu Fallen schlossen. Erinnerungen hockten in den Ecken, verknüpften Fäden aus vergilbtem Traum vom Gesternland, wo Milch und Honig flossen. Von fern begleitete ein Glockenläuten des fahlen Himmels wildes Wolkentreiben und schwerer Regen schlug an blinde Scheiben. Durch morsche Fensterrahmen blies der Wind. In Fieberschüben wälzte sich das Kind. Sein Vater suchte Hilfe bei den Leuten, verzweifelt bot er Habe, Geld und Gold, beschwor die Götter, die ihm einstmals hold, sie mögen Gnade ihm vor Recht gewähren, er würde jeden Preis mit Freuden tragen. Doch ungehört verhallten seine Klagen. Erinnerungen schwelen in der Glut. Aus ihrem Grab erhoben sich die Geister und pochten auf ein unverjährtes Recht, beauftragt, alte Pfründe einzutreiben. Die Wiedergänger folgten ihrem Meister, an seiner Stärke wuchs der schwächste Knecht und ungehindert mehrte sich die Brut, Dämonenpack entstieg der Höllenglut, verbreitete Gestank und Dekadenz von Kellerschächten bis zum Dachgestühle. Kein Fünkchen Licht durchdrang die Moderkühle im Schattenreich der dunklen Eminenz. Ein alter Fluch rief sie, Gericht zu halten, wo Mörder nie für ihre Zeche zahlten beginnt die Seelenerntezeit. ... ... ... Das Tor zum Garten Eden ist verschlossen. Die Dunkelheit erstickt den letzten Laut, zu Markt gentragen ist die dünne Haut im Gesternland, wo Milch und Honig flossen. Der schwere Regen schlägt an blinde Scheiben. Erinnerungen schwelen in der Glut. In jeder Nische nistet Teufelsbrut. Dämonen scharen sich zum Kesseltreiben im Domizil der Unterwelt, dem Reich der Ratten. Ein Blutmond wirft bizarre Schatten auf diesen Ort, an dem Verfall und Tod regiert.
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.................................................. ........................................... "Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal Geändert von Lailany (22.03.2017 um 04:18 Uhr) |
15.11.2015, 17:58 | #2 |
Gast
Beiträge: n/a
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Liebe Lailany!
Das ist ja ganz großes KINO! Mich schauderts! Tolle Storry, tolle Bilder. Interessante Conclusion. Großes Lob! Grüße zurück von Sanssouci |
15.11.2015, 20:15 | #3 |
Gast
Beiträge: n/a
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Liebe Lailany,
Was soll ich sagen, ich bin sprachlos!!! Ich bin hin und weg! Die Bilder, die in mir aufsteigen, sind düster. Ich hatte ein ähnliches Gefühl, als ich den "Der Herr der Ringe" von John Ronald Reuel Tolkien las. Du schaffst es, die Dunkelheit in vielen Bildern zu zeigen. Das "Gesternland" finde ich klasse. Überhaupt die ganze Geschichte. Die nicht gleich langen Strophen machen das ganze spannender und abwechsungsreicher. Ab hier: Ein Sturm kam auf und Hagelschauer frästen durch reifes Korn, von reger Hand bestellt. Die Dunkelheit verschlang den letzten Laut, als ob sie eine Seiner grauen Boten, von Ihm gesandt, die Tiefen auszuloten. Bevor der erste Eiskristall getaut, war allem Unheils Samen ausgesät, dem Wuchs zu wehren, war es nun zu spät. Der schwarze Herrscher hatte jetzt das Sagen. wird es richtig spannend, das heißt nicht das es vorher nicht schon spannend war, nein du steigerst dich. Klasse! Da ist dir was Großes gelungen! LIebe Grüße aus dem friedlichen Schleswig - Holstein sy |
15.11.2015, 21:46 | #4 |
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 24.04.2011
Beiträge: 3.375
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Liebe Lailany,
sehr gut! Eine Kleinigkeit "Ein Spinnenheer begann, Kokons zu weben," Spinnen weben keine Kokons, sinder Raupen. Das lässt sech, leicht korrigieren. Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
16.11.2015, 03:45 | #5 |
Kiwifrüchtchen
Registriert seit: 23.05.2009
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Beiträge: 945
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Liebe Kommentatoren
@ Sanssouci Wenns den Leser schaudert, dann seh ich das als Kompliment an. So wars angedacht. Das Schreiben fällt mir in der dunklen Ecke am leichtesten, da meine Phantasiewelt vorwiegend aus solchen Schaudergeschichten besteht. Warum, weiß ich nicht, denn vom Naturell her bin ich eher die fröhliche Sorte. Dass das Dingens hier ein Zuhause gefunden hat, hab ich eigentlich DIR zu verdanken. Warum? Dazu schreib ich dir eine PN. @ Sy Dass ich meine düsteren Hirnbilder vermitteln konnte, freut mich und wenn der Leser trotz Länge bis zum Schluss durchgehalten hat, darf ich mit meinem Dingens sehr zufrieden sein. Zur Aufteilung: Das Ding kugelt schon ca 2 Jahre in meinem Fundus rum und hätte eigentlich ein Sonettkranz werden sollen. Meistersonett und 7 Einzelsonette hatte ich fertig, beim 8. blieb ich stecken, trotz allem Bemühen und zig weiteren Anläufen kam ich einfach nicht mehr weiter und irgendwann war dann die Luft, sowie auch die Lust raus. Zum Wegwerfen wars mir aber doch zu schade, also hab ichs ein wenig überarbeitet und jetzt sitzt es eben hier. Das Werk umfasst ja verschiedene Epochen der Protagonistenfamilie und die Aufteilung in Abschnitte soll dem Leser vermitteln, wo in der Story er sich grad aufhält. Beim Originalentwurf wurde in und durch die Einzelsonette deutlich, wann sich die diversen Szenarien abspielen. Für diese Fassung aber musste ich etliches verwerfen, bzw umschreiben. Freut mich sehr, dass der Sci-Fi-Sy mein Abstecher in die Vergangenzeit gefallen hat. Ich hab unzählige Male versucht, Sci-Fi Bücher zu lesen, schon allein deswegen, weil ich rausfinden wollte, WARUM dieses Genre so beliebt ist. Bei keinem Buch bin ich weiter als Seite 20 gekommen. Tolkien hab ich sogar noch früher weggelegt, schon bei ca Seite 10. Bei derlei Lesestoff muss ich mich zu sehr auf all die unmöglichen Namen von Personen und Orten konzentrieren, die ich mir als Schnellleser einfach nicht sofort merken kann. Also muss ich laufend zurückblättern, wer wo schon irgendwann und in welchem Zusammenhang aufgetaucht ist. Das ist so mühselig, dass mir dabei Unterhaltungs-, Spannungs- und Entspannungsfaktor des Lesens verlorengehen. @ Thomas, danke fürs "sehr gut!" Die spinnenden Spinnen: Peinlich... Logikfehler wegen Betriebsblindheit... Natürlich hast du Recht. NOCH kann ich mich von dieser Zeile nicht trennen, zumal mir noch nix Besseres eingefallen ist. Ich grüble... Das Spinnenheer will ich keinesfalls aufgeben, das "weben" brauch ich nebensächlich für den Reim, hauptsächlich für den Inhalt der nächsten Zeilen. Damit wirds nicht einfach, sondern gleich doppelt schwierig.. --> Bild "Spiderweb" Herzlichen Dank, liebe Kommentatoren für Besuch und Feedback. LG von Lai
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.................................................. ........................................... "Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal Geändert von Falderwald (19.11.2015 um 19:21 Uhr) Grund: Link geändert und Anhang eingefügt |
16.11.2015, 11:46 | #6 |
Gast
Beiträge: n/a
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Hallo Lai,
Vielleicht kannst du eines davon gebrauchen:
Ein Spinnenheer begann, Kokons zu weben, ein Spinneheer begann, Gestrüpp zu weben, ein Spinnenheer begann, mit Pech zu weben, ein Spinnenheer begann, mit Schmutz zu weben, ein Spinnenheeer begann, mit Dreck zu weben, ein Spinnenheer begann, mit Wut zu weben, ein Spinnenheer begann, mit Blut zu weben, befiel die Ährenfelder, Früchte, Reben der Väter Land, von Söhnen stolz bebaut. nebelige Grüße sy |
16.11.2015, 20:03 | #7 | |
Slawische Seele
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 5.637
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Liebe Lai,
herrlich schaurig, ich habe es genossen. Wirklich genossen, denn ich liebe Traurigkeiten, Spukgeschichten und alles Düstere. Im Alltag bin ich wie Du eher eine Frohnatur - aber erwische ich Geschichten, Gedichte oder Dokus zum Thema - bin ich darin gefangen. So auch hier. Die "Begeisterung" entsteht auch ob Deiner Sprachkunst. Bilder überfluten und wirken wie ein Sog. Ich wäre vor lauter "Schaudergenuss" gar nicht darüber gestolpert, Zitat:
Ich sehe auch, dass es gar nicht so leicht ist daran etwas zu verändern. Es klingt so "schauerlich" gut. Eine Idee habe ich nicht. Ich weiß nur aus einer Doku, dass Spinnen ihre Opfer vor dem "Beweben" mit eigenem Gift lähmen. Vielleicht hilft Dir das weiter. Gern abgetaucht und noch lieber meine Begeisterung mitgeteilt. Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
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16.11.2015, 20:22 | #8 |
TENEBRAE
Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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Hi, Lai!
Ist ja gewaltig! Die Tipps: Das Tor zum Garten Eden ist verschlossen, die Dunkelheit erstickt den letzten Laut, zu Markt getragen ist die dünne Haut des Gesternlands, wo Milch und Honig flossen. Runder: "des Gestrigen,..." Der schwere Regen schlägt an blinde Scheiben. Erinnerungen schwelen in der Glut. In Haus und Hofe nistet Teufelsbrut, Dämonen scharen sich zum Kesseltreiben. In leeren Räumen tummeln sich die Ratten, ein Blutmond wirft bizarre Schatten Zeile hat nur 4 Heber. Korr.: "ein dunkler Blutmond..." auf einen Ort, an dem Verfall und Tod regiert. Zeile hat 6 Heber. Korr.: "..., an dem Verfall (oder: der Tod) regiert." ... ... .... An morschen Balken nagt der Zahn der Zeit. Die alte Turmuhr schlägt Vergangenheit. Einst blühte hier die Hochburg guten Lebens, mit frohen Stimmen, Lachen, Sonnenschein, die Tafeln reich gedeckt mit Brot und Wein, im Überschwang des Nehmens und des Gebens. Fortuna zählte zu den Dauergästen, Gott Amor hatte sich ihr zugesellt und jeden Tag in seine Gunst gestellt. Version mit Reim wie in S1. An diesem Ort, wo Milch und Honig flossen, trat vor den Traualtar ein schönes Paar und schloss den Bund, dem schon nach einem Jahr ein Erbe, ein gesunder Sohn entsprossen. ... ... ... Der Ahnen Schuld, sie moderte verborgen, vor allzu forschen Augen gut verhüllt. Die Scheunen blieben bis ans Dach gefüllt - es wuchs das Gras - mit jedem neuen Morgen. Bindestrich nach "Gras" würd ich wegtun. ... ... ... Den Rest bearbeite ich ein andermal! Gern gelesen! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
16.11.2015, 23:42 | #9 |
Gast
Beiträge: n/a
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Hallo Lailany
Das ist ein faszinierender Text, in dem ich gerne auf Entdeckungsreise gegangen bin. Die Nester, welche von Spinnen gesponnen werden, werden oft als Kokons bezeichnet, weil sie Ähnlichkeiten mit Falterkokons haben. Vielleicht gibt es für diese Zeile eine Lösung mit Nest oder Nester? Aber Wikipedia ist eigentlich der Meinung: Ein Kokon [koˈkɔ̃ː; -ˈkɔŋ; -ˈkoːn] (frz.: cóque = Eischale, Gehäuse) ist ein mittels eines Sekrets hergestelltes Gehäuse, das dem Schutz von Eiern oder Jugendformen der Tiere dient, die es erbaut haben. Wenn ein Kokon zum Schutz der Eier und der daraus schlüpfenden Jungtiere produziert wird, stellen ihn die Elterntiere her. Kokons, die zum Überdauern älterer Entwicklungsstadien, etwa der Puppenruhe nötig sind, werden von den darin befindlichen Jungtieren selbst hergestellt. Zu finden sind Kokons vor allem bei verschiedenen Gliederfüßern (Arthropoda), aber auch bei einigen Würmern. Ob der Artikel dem Blick eines Arachnologen standhält, kann ich allerdings nicht sagen. Gruss wolo Geändert von wolo von thurland (16.11.2015 um 23:52 Uhr) |
17.11.2015, 08:32 | #10 |
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 24.04.2011
Beiträge: 3.375
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Liebe Lailany,
ich habe mich geirrt, wolo hat Recht, auch bei Spinnen kann man von Kokons sprechen. Um so besser ist dein Gedicht, Chapeuax! Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
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