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Alt 30.08.2016, 21:11   #1
Wodziwob
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Standard Mescalito


Heute wird mit mahnendem Zeigefinger davor gewarnt, dass da eine Familie lebensbedrohlicher und süchtig machender Rauschmittelpflanzen wächst und gedeiht in den Weiten des Südwestens, die sich zunehmender Beliebtheit erfreut und deren Folgen für die weiße Jugend noch nicht einmal abzusehen sind. Wie bei allen giftigen Gewächsen, die der Mensch zum Zwecke der Berauschung zu sich nimmt, bedarf auch der Umgang mit Peyote der nötigen Umsicht und des rechten Maßes. Der Erlebnisbericht, den mir der bebrillte Doc, ansonsten ein vernünftiger und gebildeter Mann, abliefert, lässt Beides gröblich vermissen.

Soweit ich mich seiner kruden Fantastereien entsinnen kann, begann alles mit feuerspeienden in Eisenrüstungen gepackten Flugdrachen, die eines Nachts ein paar Häuser seiner kleinen City in Brand steckten und die Leute, die entsetzt auf der Straße durcheinanderliefen, mit Lassos einfingen, ehe sie mit ihrer Beute wie ein böser Spuk in der Dunkelheit verschwanden. Angeführt vom größten Rancher der Gegend und einem Bandenboss, der sein Gedächtnis verloren hatte und eine nie gesehene, aber vernichtende Schußwaffe mit sich führte, nahmen einige der mutigsten Männer die Verfolgung der Ungeheuer auf, unterwegs konnte der clevere Bandit seine wiedergefundenen Kumpane für die Unternehmung gewinnen, darunter sogar ein paar Bandidos, und um der Unglaublichkeit die Krone aufzusetzen, stößt noch eine Gruppe von Apache Kriegern zu der illustren Schar, die ebenfalls nach Stammesmitgliedern sucht, die von den Drachen entführt wurden und mit Hilfe des Ziehsohnes des Ranchers, eines waschechten Apache, zur Zusammenarbeit überredet werden kann. Außerdem kennen die Inde' im Gegensatz zu den stockblinden Weißaugen und dümmlichen Mexicanos das Ziel ihrer Suche und den Verbleib der Verschleppten, die in einer Höhle unter einer hoch aufragenden eisernen Zinne gefangen gehalten werden, in deren Innerem die Drachen verschwunden sind. Dort angekommen liefert sich die zusammengewürfelte Truppe einen erbitterten Kampf mit den Monstern, die in dieser Kuppe hausen, größer als Grizzlybären und von schrecklich furchterregender Gestalt, mit Dynamit, Gewehren, Pfeilen und Keulen rücken sie den Scheusalen zu Leibe, die in Scharen aus dem Eisenturm gesprungen kommen. Während der grauenhafte Kampf in vollem Gange ist, dem unter anderem der heldenhaft streitende Ziehsohn des Ranchers zum Opfer fällt, kann der Bandenchef mit einer geheimnisvollen Indianerin unbekannter Herkunft, die mit von der Partie ist und Unsterblichkeit besitzen soll, die verwirrten Gefangenen aus der großen Höhle befreien, dann jagen die Beiden das unterirdische Verließ ziemlich gründlich in die Luft, worauf die restlichen Monster hastig in ihre Festung zurücklettern, die sich alsbald mit mächtigem Getöse und einem grellen Flammenschweif vom Wüstenboden erhebt und fauchend gen Himmel fährt. Doch sie kommt nicht sehr weit, weil sich die überirdische Indianerin unbemerkt in ihr Inneres geschlichen hat und den fliegenden Feuerberg irgendwie zur Sprengung bringen kann, der in einer gewaltigen Lichtwolke verglüht, ehe er noch die Wolken erreichen hat können.

Alles, was mir einfällt zu dieser seiner Geschichte, ist ein mürrisches „Leute, ihr müsst auf die Dosierung achten, so hat das doch keinen Sinn!“

Der alte Mescalero verpasst mir mal ein Ding , das er aus einer mexikanischen Kakteenart, ursprünglich aus dem mittelamerikanischen Raum stammend, gewonnen und zusammengebraut hat, und der Schamane ist so stolz auf seine persönliche Schöpfung, dass er dem Kügelchen den Namen seines Stammes gibt, obgleich der Kaktus eigentlich Nahuatl heißt. Sein spanischer Name Mezcal hat sich unter anderm im Indio-Getränk Mexcalli niedergeschlagen, das kostbare Mescal wird von den Apache nur mit Begleitung heiliger Zeremonien geerntet und zubereitet, sei wie es sei, er tauft sein Wundermittelchen Mescalito und verabreicht mir ein winziges Portiönchen davon. Als ich nach ungefähr achtundvierzig Stunden, oder waren es sechsunddreißig, auf allen Vieren aus seiner Höhle gekrochen komme, sitzt der seinerzeit noch recht agile Greis in stumme Meditation versunken und grinst unverhohlen in sich hinein.

Ich meine, jeden Tag geistert dein Geist schließlich nicht von Zeit und Raum befreit in den unendlichen Weiten des Weltalls herum, ohne dass dein Körper sich vom Fleck bewegt hätte, du verwandelst dich ebenso wenig in einen steinhaftigen Berg, von dessen bewaldeten Hängen mächtige Wasserfälle ins Tal deiner Füße hinunter rauschen. Der zwitschernde Gesang eines Vögelchens dauert ansonsten keine Ewigkeit, und nicht jeder seiner Töne wächst in bunten Wellen aus dem Nichts, bis er die glasklare Höhe seines herrlichen Gipfels erreicht, um langsam, unendlich langsam auszuklingen, abzuebben, und fein wie ein zitterndes Haar zu vergehen. Und viele andere der merkwürdigen Erlebnisse mehr, was eben so alles in einem Kaktus steckt, oder besser in dir, wenn du mit ihm ins Gespräch und in regen Austausch kommst. Das Spektakel allerdings mit einer Religion oder so was Ähnlichem in Verbindung zu bringen, auf diese Idee wäre ich auf meiner Reise nie gekommen. Der Mescalero ebenso wenig, für ihn ist der Genuss seines Zauberkügelchens nichts weiter und nicht mehr als ein brauchbares Verkehrsmittel, mit der Welt der Geister steht er sowieso andauernd in Kontakt. Er kann unterscheiden zwischen Wesentlichkeit und erweiterter Vorstellungskraft, zwischen Mittel und Zweck. Und er hat mich diese Fähigkeit der Trennung von Wahrheit und Unwirklichkeit durch erlebte Übung gelehrt. Hätte er das Gegenteil getan, er wäre nichts weiter als ein gewissenloser Seelenfänger, ein übler Scharlatan und Verführer, so aber wird er mir zum weisen Lehrer.

Heutzutage treiben durchtriebene Gauner Schindluder mit derlei Reisen und behaupten, der verkäufliche Trip wäre ein Weg zur Erleuchtung, und dieser führe geradewegs zu Gott. Was für ein blanker Hohn. Gott mag über allem stehen und tut es wohl auch, was aber noch lange nicht heißen soll, dass er total drüber ist. Und ein Dealer oder Pusher ist er schon gar nicht. God damn the pusher, so heult es der Steppenwolf seit Anbeginn über die Prärie.

Sicher steckt in jedem Körnchen, Sud, Büschelchen, Brösel und Kügelchen ein Körnchen Wahrheit. Das freilich gilt es erst einmal zu finden unter all dem Schotter aus Trugbildern und Verzerrungen der Selbsttäuschung, und wer da unablässig sein Sieb bis zum Rand füllt, wird nie bis auf seinen Grund vordringen können, weil er nichts hinabsinken lässt und sich in Ruhe setzen. Und selbst wenn es ihm irgendwann gelingt, seinen Waschteller doch noch leerzubekommen, hat das Gewicht von Schlamm und Geröll längst die Goldkörnchen durch die Löcher des Filters gedrückt, so dass er nichts mehr vorfinden wird als gähnende Leere. Sag ich aber zu den Greenhorns, Jungs nehmt euch bloß in Acht, so ein Goldrausch kann euch mit verschwindendem Aufwand und ohne große Mühe nicht weniger als eure Seele kosten, ohne dass ihr ihren Verlust überhaupt spitzkriegt, so grinsen sie nur überheblich und denken, nur weil der Olle es seinerzeit maßlos übertrieben hat, muss er sich jetzt noch lange nicht zum unkenden Lehrmeister aufspielen. Laufen sie mir drei Jahre später über den Weg, steht in ihrem Gesicht ein „hätten wir damals bloß auf dich gehört“ geschrieben, aber mir ging’s ja in ihrem Alter nicht recht viel anders.

Es gibt andrerseits immer noch Leute, die derlei Feststofflichkeit grundsätzlich verteufeln und im selben Atemzug tönen, dass ein Bierchen zur rechten Zeit tausendmal gesünder ist. Ein Fässchen davon, ein Fläschchen Whiskey, Brandtwein, Absinth, Methylalkohol, Rasierwasser, Parfüm, Petroleum und die Welt ist in Ordnung. Und tauchen sie dann so richtig tief ins Delirium, geben sie eine großartige Figur für ein Gruselkabinett ab und krepieren derart jämmerlich und erbärmlich, dass einem die Lust auf milden Apfelwein vergehen will. Als Desperado lass’ ich es mir natürlich nicht nehmen, auch diese Gefilde zu durchwandern, in jungen Jahren mit belastbarer Leber und ausreichend überschüssigem Verschleißguthaben im Hirnkasten, aber wenn du dann eines milden lauen Frühlingsabends in dein Lager plumpst, am nächsten Morgen die Farbenpracht des Indianersommers ins Land gezogen ist und du dich voller Staunen fragst, wie das denn bitte möglich sein kann und wo der Sommer abgeblieben ist, ist es wohl allerhöchste Zeit fürs Trockendock. Das du auch eisern durchziehst, selbst wenn dir erst mal ein Truthahn in den Eingeweiden rumhackt, ein Affe dir die Haare einzeln vom Kopf reißt, ein pechschwarzer Zug durch deine Birne donnert und du dich nach der gnädigen Folter eines Marterpfahls sehnst.

Gleich der Magie der Ostküste übt das Feuerwasser einen gewaltigen und unwiderstehlichen Sog aus.




Buchauszug: Der Federhut

Geändert von Wodziwob (12.10.2016 um 09:30 Uhr) Grund: Komplettierung
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