Frühschicht

[norbert]

Frühschicht

Extra früh ins Bett gegangen,
um am Morgen fit zu sein.
Schlaflos, trostlos wach gehangen,
als die ersten Vögel sangen,
stellte sich der Tiefschlaf ein.

Grausam aus dem Traum gerissen,
als der Weckerhenker schrillt,
wohlig weich und warm die Kissen,
Wecker an den Schrank geschmissen,
jetzt schon müde und getillt.

Pulverkaffee, Brot im Stehen,
Pfarrer quatscht im Radio
vom Verzeihen und Verstehen,
Gott in allem Schönen sehen.
Halt die Schnauze - schnell zum Klo.

Vor mir sieben müde Stunden,
dreizehn brutto Stundenlohn.
Stechuhr sticht in alle Wunden,
sieben lange Zeigerrunden,
Hölle, dumpfes Leiden, Hohn.

Hallo norbert,

makellos! Eine Zeiler aber, nur ein Vorschlag:

wohlig weich und warm die Kissen, -- Hier sollte die Sprache dem Inhalt ein ebenso wohlig, weicher Begleiter sein. Mein Vorschlag: wohlig weiche, warme Kissen, - kaum ein Unterschied, geht aber weicher von der Zunge

Ansonsten sehr gut! Dieses Gedicht macht sicherlich jedem Leser deutlich, was für eine Hölle das alltägliche Arbeitswesen manchmal sein kann. Weiter so!

LG,
Abraxas

[Medusa]

Lieber Norbert,

zum Lachen und zum Heulen zugleich! "Weckerhenker" ist natürlich suuuuper! Aber was, zum Kuckuck, ist "getillt" .

Wort- und bildreich und absolut leicht zu lesen, ein Labsal!

Herzliche Grüße,
Medusa.

[Corazon]

Zitat von Medusa

Aber was, zum Kuckuck, ist "getillt" .

Guten Tag Medusa,

ich vermute - in dem Zusammenhang mit dem restlichen Text - er meint das, was passiert, wenn du einen Flipperautomaten bewegst, dagen trittst oder ihn rüttelst. Die Meldung "Tilt" leuchtet auf und das Spiel ist vorbei. Der Automat schaltet ab.
In dem Text hat das lyrische Ich schon "abgeschaltet" bevor der Arbeitstag beginnt.

Kann natürlich auch sein, dass ich das völlig falsch interpretiere.

Gruss

Corazon

[norbert]

danke für eure kommentare,
corazon hat -getillt- genau richtig definiert und den textzusammenhang erklärt, danke.
"til(l)t" habe ich bzgl. schreibweise gegoogelt, als eingedeutschtes wort wird es öfter mit ll geschrieben, im original wird es tatsächlich mit l geschrieben,
über eure besserungsvorschläge muss ich erst nachdenken...
Abraxas, dein vorschlag klingt gut - ich denk drüber nach.
liebe grüße
tiltbert

[Herbstblatt]

Hallo Norbert,
geht wie so manches deiner Gedichte geschmeidig über die Lippen und kalt unter die Haut, weil man so schön mitleiden kann.

liebe Grüße vom Herbstblatt

[Dana]

Lieber Norbert,
damit triffst du genau den Nerv der Leidensgenossen.
Wer kennt das nicht, dieses Einstellen auf den nächsten Tag und dann klappt das schnelle Einschlafen nicht. Kurz bevor man es aufgibt, weil die Nacht eh zu Ende geht, überfällt einen seligster und tiefster Schlaf.

Du hast feinstens mein Leid verdichtet. Ich muss jeden Morgen um 6.00 Uhr hoch, also mitten in der Nacht.

Die morgendliche Hast kann treffender nicht sein, in Bildern wie in der Umsetzung klasse.

Liebe Grüße
Dana

[norbert]

danke, herbstblatt und dana,
es bezieht sich auf die frühschicht meiner frau im altenheim - 7,5 std., metrisch auf sieben gekürzt.
da sie keinen führerschein hat, fahre ich sie.
sie kann eigentlich relativ gut schlafen, geht dann extrem früh ins bett - die einschlafprobleme hab ich eher, weil ich einfach ein nachtmensch bin.
ich glaube auch, dass die meisten menschen keine persönliche erfüllung in ihrem job finden - und das nimmt angesichts der globalisierung eher noch zu.
liebe grüße
schichtbert

[Quicksilver]

Hallo Schichtbert,

ein lustiges Gedicht aber mit viel Tiefgang. So wünsche ich mir humorige Lyrik. Es lässt sich, wie bereits angemerkt wurde, rund lesen. Darf ich einige Anmerkungen machen?

Frühschicht

Extra früh ins Bett gegangen,
um am Morgen fit zu sein.
Schlaflos, trostlos wach gehangen,---hier würde ich am Ende einen Punkt setzen und mit "Als" einen neuen Satz beginnen. So ist es recht verwirrend
als die ersten Vögel sangen,
stellte sich der Tiefschlaf ein. ---Wer kennt es nicht?! Sehr schön

Grausam aus aus dem Traum gerissen, --- ich klaue dir ein aus
als der Weckerhenker schrillt, --- super Wortschöpfung! Ich habe gelacht
wohlig weich und warm die Kissen,
Wecker an den Schrank geschmissen,
jetzt schon müde und getillt.

Pulverkaffee, Brot im Stehen,
Pfarrer quatscht im Radio
vom Verzeihen und Verstehen,
Gott in allem Schönen sehen.
halt die Schnauze - schnell zum Klo. --- Halt groß und nach Schnauze vielleicht ein ! ?

Vor mir sieben müde Stunden,
dreizehn brutto Stundenlohn.
Stechuhr sticht in alle Wunden,
sieben lange Zeigerrunden,
Hölle, dumpfes Leiden, Hohn. --- m.E. würde dumpfes Leid und Hohn noch runder klingen

Für den Start in meinen Tag genau das richtige Gedicht

Gruß
von
Quicksilver

[Erich Kykal]

Zitat von norbert

Frühschicht

Extra früh ins Bett gegangen,
um am Morgen fit zu sein.
Schlaflos, trostlos wach gehangen, hier eher Strichpunkt: Ein neues Satzglied beginnt.
als die ersten Vögel sangen,
stellte sich der Tiefschlaf ein.

Grausam aus aus dem Traum gerissen,
als der Weckerhenker schrillt, wäre Henkerwecker nicht sprachmelodisch runder, oder zumindest leichter verständlich im Lesefluss?
wohlig weich und warm die Kissen,
Wecker an den Schrank geschmissen,
jetzt schon müde und getillt. das letzte Wort kenne ich nicht. Bitte um Aufklärung.

Pulverkaffee, Brot im Stehen,
Pfarrer quatscht im Radio
vom Verzeihen und Verstehen,
Gott in allem Schönen sehen.
halt die Schnauze - schnell zum Klo. Nach Punkt in der Vorzeile vorne groß beginnen.

Vor mir sieben müde Stunden,
dreizehn brutto Stundenlohn.
Stechuhr sticht in alle Wunden,
sieben lange Zeigerrunden,
Hölle, dumpfes Leiden, Hohn. schmerzlich nachempfunden! Sehr gut rübergebracht!

Hi, quicksilver!

Sehr gern gelesen, rund, rasant und "süffig". Erinnert mich an frühe Liedtexte von Heinz Rudolf Kunze! Noch ein knackig sozialkritischer Refrain dazu, und die Sache wäre perfekt!
Meine Tipps sind dem Zitat anhängig. Mach draus, was du meinst.

LG, eKy