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Alt 10.06.2009, 17:04   #1
Lord Skarak
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard Ich bin der Sonnensegler

Ich bin der Sonnensegler

Mein Zug fährt ab, ich schaue auf
und sehe diesen Tag erkalten.
Verletzt bin ich und kann den Lauf
des späten Magmastroms noch halten.

Sie zieht nun dort, die Baumgestalt,
sie zieht dort durch die Nebelschatten.
Sie schaukelt sanft, verrinnend bald,
und lässt sich dann vom Licht begatten.

Das Land rinnt fort, der Zug vermählt
den Pulsschlag meiner Seele wieder
mit Weltentakt, der knatternd quält;
die Sonne schaut erbarmt hernieder.

Am Fenster hockt nun eine Frau
und schaut mich an, sieht mich noch bluten...
Ihr Bild wird so verschwindend grau,
so blass beim Anblick jener Fluten,

der Ströme des geliebten Lichts,
der Heimat meines Seelentaktes.
Im Sonnenschwall begreif’ ich nichts,
bin lodernd Teil des Weltenaktes.

Mein Auge bebt im Sonnenblitz;
sie sieht, dass ich nur grinsend nicke.
So schau nur, Frau, von Deinem Sitz
herüber in die Sonnenblicke.

Die Lider sinken nicht, kein Schmerz
bedrängt mich, wenn ich, wie ein Blinder,
so starre in das lichte Herz
der Welt und meine Sehnsucht minder.

Hab’ keine Angst, es soll so sein:
ich bin der Sonnensegler, siehe!
Ihr blasser Glanz, ihr Strom, so rein!
Der Ort nach dem ich sehnend fliehe!

Mein Auge brennt nicht, dort bin ich
zuhaus’, in meinen Lichtermeeren!
Ihr Strom soll lodern hier für mich
und alles was ich bin verzehren...

Geändert von Lord Skarak (10.06.2009 um 23:21 Uhr)
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Alt 10.06.2009, 20:12   #2
Leier
gesperrte Senorissima
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Pfalz
Beiträge: 4.134
Standard

Lieber Lord Skarak,

abgesehen davon, daß ich mit der Interpunktion nicht ganz einverstanden bin:

Welch ein tiefsinniges, doppeldeutiges Gedicht mit erstaunlich frischen und lebendigen Metaphern!
Das muß man oft lesen, um jede schöne Wendung wirklich kosten zu können.

(rattern gefiele mir besser als "knattern").

Herzlichen Gruß
von
cyparis

und "Gute Weiterreise durchs Leben"!
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Alt 10.06.2009, 22:06   #3
Dana
Slawische Seele
 
Benutzerbild von Dana
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 5.637
Standard

Lieber Lord Skarak,
die Interpretation ergibt sich nicht leicht und schon gar nicht nach dem ersten Lesen.
Das Gegenteil jedoch ist der Lesefluß mit seinen Reimen. Darin segelt man förmlich dahin.

Die Rubrik verrät nichts, was du ganz sicher beabsichtigt hast.

Sonnensegler eine Metapher für ...?

Ich habe einige Bücher über das Sterben und das Leben danach gelesen.
Es soll da zuletzt einen Moment geben, wo der Sterbende sehr gelöst wirkt. Dann gibt es unsagbar viele Berichte darüber, dass die "Seele" das Geschehen noch betrachtet und ein unbeschreibliches Licht sieht.
Solche Bilder vermittelt mir dein Gedicht.
Eine Seele, vom Körper bereits gelöst, und ihre Reise. Sie "erlebt" eine Befreiung und erkennt ihr wahres Zuhause. Kein Abschiedsschmerz stellt sich ein, keine Ängste begleiten sie.

Wäre ich ganz sicher mit meiner "Deutung", würde ich weit mehr ausholen über Bilder, andere Größen und Welten.
So aber bleibe ich eher zurückhaltend und auf deine Antwort gespannt.

Auf jeden Fall ein spannendes Gedicht, in das ich mehrfach abgetaucht bin.

Liebe Grüße
Dana
__________________
Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
Dana ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.06.2009, 23:16   #4
Lord Skarak
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard Hey ihr zwei, Hallo!

Interessant wie hier die Meinungen variieren können. In einem anderen Forum durfte ich einen versuchten Verriss auf diesen Text genießen. Die machen aber auch Spaß, man kann so lustige Sachen antworten.
Nun ja, ihr wisst, ich antworte meist im Einzelnen. Also der Reihenfolge gemäß zunächst an Cyparis:

Ich glaube, ich habe "Dysinterpunktionie"... Ich weiß nicht warum ich wo ein Komma setzen sollte. Herrscht bei mir therapeutischer Bedarf? Ich mein das Ernst, irgendwoher hab ich scheints 'ne Schwäche für Punkt und Komma. Naja, ähm, ich besser den Text mal kurz der Interpunktion nach aus, also mit den logischen Kriterien die mir zur Verfügung stehen, und dann bin ich echt gespannt, ob Du damit einverstanden bist, und es bei mir vielleicht doch bloß an der Nachlässigkeit liegt. Hm. Und das mit "ratternd" ist ein guter Vorschlag, unter Rattern stellt man sich noch mehr etwas "einkaufswagenhaft-krachend-unangenehmes" vor, ich muss nur zusehen, dass ich dann den Artikel davor, der auf "r" endet, wegbekomme, weil ich irgendwie finde, dass "der ratternd quält" zu unscharf, zu verwaschen klingt beim laut lesen, durch die "r-Kollision". Allein die Konnotation von "rattern" gefällt mir besser als die von "knattern". Ich sehe zu.
Dann nochmal was anderes: Du sprichst von erstaunlich frischen und lebendigen Metaphern. In Anbetracht des Verrisses den ich mir im anderen Forum geben durfte, würde ich Dich gern fragen, was Du damit genau meinst, ich würde Deine Rückmeldung jetzt benötigen, um meine Empfindung der Sache möglichst "interpersonell" bzw. objektiv halten zu können. Ich bin ja vielleicht Selbstbewusst, aber nicht in dem Grade "anderbewusst", sodass ich genau wissen könnte, wie ein Text von mir, unter der Voraussetzung eines anderen Gehirns - - funktioniert.
Abschließend vielen Dank an Dich, Cyparis, für den Kommentar und das Lob,

liebe Grüße,
Skarak.

Nun an Dich, Dana:

Ja, du hast das "Kolorit des Textes" per Schweifblick sehr wohl erkannt. Die Themenbereiche der "Dissoziation von der Welt", auch des Ablebens, und anderer Welten sind hier sehr etwas, was das LyI beschäftigt. Nur eine Sache ist noch nicht ganz gegeben: das Ableben des LyI. Es zieht zwar sehr wohl sein eigenes Ableben in Erwägung, denn es weiß, dass es durch starke Reflexion eine gewisse Gleichgültigkeit (Freiheit von Abschiedsschmerz mitunter) erlangt hat, ich spreche vom "Erlangen", weil sich die "gelöste Seele", das LyI durch diese gewisse Gleichgültigkeit dazu imstande sieht/glaubt, das innere System, das Ideal in der Welt, die Gegensätzlichkeiten zugleich, anzuschauen, welches es aber für seine Konsistenz, sein fixiertes und noch in abgegrenzter Form begreifbares Dasein sehr wohl als etwas "destruktives" betrachtet. Diese Destrukrion wird aber von ihm nicht mehr als etwas schlechtes begriffen, sondern als etwas, was eben einfach der Fall ist. Es schaut also ohne Schmerzempfindung die scheinbaren Widersprüchlichkeiten der Welt an, analog dazu, dass es keinen Schmerz im Auge verspürt, wenn es mit voll geöffneten Augen in die Sonne starrt. Hast Du schoneinmal versucht, mit offenen Augen in die Sonne zu starren? Es kommt einem nach einigen Augenblicken so vor, als könne man ihre Ränder betrachten. Das ist zunächst die grundlegende Analogie. Jetzt mach ich aber mal Schluss und lass noch andere zu Wort kommen, in jedem Fall hab ich noch einige Semantik unausgegraben gelassen.
Vielen Dank für Deinen Kommentar, Dana, und das Lob freut natürlich zusätzlich.
Freue mich auf den nächsten Kommentar, in jedem Fall sind Deine Deutungen stets konstruktiv und willkommen.

Liebe Grüße,
Skarak.
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Alt 10.06.2009, 23:26   #5
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Registriert seit: 07.02.2009
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Beiträge: 9.913
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Hallo Lord Skarak,

ich bin auch an deinen Zeilen hängen geblieben.
Dein Gedicht liest sich flüssig, das Handwerk stimmt, am durchgängigen 4-hebigen Jambus mit abwechselnd männlichen und weiblichen Kadenzen finde ich nichts auszusetzen.
Einige verwendete Reime, wie z.B. Herz/Schmerz gelten ja unter Dichtern als verpönt, doch ich persönlich halte nichts von diesem Vorwurf, da ich der Meinung bin, daß wir heutigen Dichter das Rad auch nicht mehr neu erfinden können. Und wenn es in den sprachlichen Kontext passt, dann empfinde ich das nicht als störend.
Weiter unten werde ich kurz noch ein paar Anmerkungen zur Zeichensetzung machen.

Also, das Formale ist abgehakt, dem Auge gefällt es. Jetzt wenden wir uns einmal dem Inhalt zu, der sich dem Leser nicht ganz so leicht erschließt.

Das Lyrische Ich ist durch irgendein Ereignis verletzt. Es brennt innerlich, so daß man davon ausgehen könnte, es handele sich um eine enttäuschte Liebe.
Die Verletzung ist also so groß, daß LI den Ort des Geschehens verlassen will und auf seiner Abreise noch einmal in Gedanken und visuell Abschied nimmt.
Die Baumgestalt sehe ich als ein Symbol des Lebens, so daß sie vielleicht die Liebe des LI's war, welche sich jetzt wieder frei dem Licht hingeben kann.
Eine Mitreisende (?) sieht LI in diesem Zustand des Abschiedsnehmen, doch es nimmt sie gar nicht richtig wahr, sondern empfindet sich in seinem Abschiedsschmerz vom sonnenbeschienenen Gewohnten nur noch als kleines Rädchen in einem riesigen Getriebe.
Die oft verwendete Lichtmetapher gibt mir zu denken, so daß ich fast der Meinung bin, daß LI zwar im Schmerz scheidet, aber nicht mit Hass im Herzen.
Es hat an diesem Ort gelebt und geliebt, es war schön dort.
Nur dort war sein Leben, daß nun vorbei scheint. LI lebt in diesen Lichtermeeren, es ist seine Vergangenheit und nur noch in Erinnerungen vorhanden. Auch diese möchte er gerne verzehrt sehen.

LI verlässt also verletzt und enttäuscht den Ort, wo es glücklich gelebt hat, um etwas ganz Neues zu beginnen, vielleicht um noch einmal von vorne anzufangen.
Mögen die Erinnerungen daran verblassen und mit ihnen der Schmerz.

So kommt das bei mir an. Ein großer Abschied, ein kleiner Tod.
Schöne Wortwahl, sphärische Bilder und mit dem Sonnensegler eine interessante Figur geschaffen. Der mit der Sonne segelt/reist.


Auch wenn ich nicht richtig gelegen haben sollte, hat es Spaß gemacht, sich damit auseinanderzusetzen, vor allem, weil auch die äußere Form sehr ansprechend ist.
Gerne gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald


Mein Zug fährt ab, ich schaue auf (kein Komma)
und sehe diesen Tag erkalten;
Verletzt bin ich und kann den Lauf (kein Komma)
des späten Magmastroms noch halten.

Sie zieht nun dort, die Baumgestalt,
sie zieht dort durch die Nebelschatten.
Sie schaukelt sanft, verrinnend bald (kein Komma)
und lässt sich dann vom Licht begatten.

Das Land rinnt fort, der Zug vermählt
den Pulsschlag meiner Seele wieder, (Komma)
mit Weltentakt, der knatternd quält;
die Sonne schaut erbarmt hernieder.

Am Fenster hockt nun eine Frau (kein Komma)
und schaut mich an, sieht mich noch bluten;
Ihr Bild wird so verschwindend grau,
so blass beim Anblick jener Fluten, (kein Komma)

der Ströme des geliebten Lichts,
der Heimat meines Seelentaktes.
Im Sonnenschwall begreif’ ich nichts,
bin lodernd Teil des Weltenaktes.

Mein Auge bebt im Sonnenblitz,
sie sieht dass ich nur grinsend nicke;
so schau nur, Frau, von Deinem Sitz (Satzanfang klein, Semikolon)
herüber in die Sonnenblicke.

Die Lider sinken nicht, kein Schmerz
bedrängt mich wenn ich, wie ein Blinder,
so starre in das lichte Herz
der Welt und meine Sehnsucht minder. (kein Komma)

Hab’ keine Angst, es soll so sein,
ich bin der Sonnensegler, siehe!
Ihr blasser Glanz, ihr Strom, so rein!
Der Ort nach dem ich sehnend fliehe! (Satzanfang groß, Ausrufezeichen)

Mein Auge brennt nicht, dort bin ich
zuhaus’, in meinen Lichtermeeren!
Ihr Strom soll lodern hier für mich (kein Komma)
und alles was ich bin verzehren...
__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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