03.05.2014, 09:04 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 431
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Der letzte Traum
Der letzte Traum
Ich sehe jene schwankenden Gestalten um mich herum im Altenpflegeheim, kann selbst mich kaum noch auf den Beinen halten, die müden Knochen gehen aus dem Leim, ja, selbst mein Spiegel wirft schon tiefe Falten und auch der Haare Pracht erstickt im Keim. Der Zeitvertrag erfüllt die letzte Klausel, mir wird es klar, ich bin ein alter Zausel. Fort sind die Kräfte aus den jungen Tagen, der scharfe Blick, hat einst die Welt fixiert, es fehlt ein Teil von Prostata und Magen, das Hüftgelenk ist künstlich generiert, und Blinddarm, Mandeln sind, ich will nicht klagen, wie auch die Zähne längst schon extrahiert. Der Medizin war ich ein Kassenschlager, jetzt bin ich nur noch ein Ersatzteillager. Dort, wo mein Herz schritt, stimuliert ein Macher den Muskelrhythmus wie ein letzter Trumpf, elastisch, als Thrombose-Widersacher, stützt meine Beine je ein schicker Strumpf, und jeder noch so gutgemeinte Lacher erschüttert äußerst schmerzhaft meinen Rumpf. Im Grunde sinkt mein Pegelstand rapide, gewiss ist nun, ich bin ein Invalide. Die meisten meiner Lieben sind entschwunden im Kreislauf, der in die Gezeiten fließt, doch Augenblicke heilen alle Wunden, aus denen frische Zuversicht entsprießt. Solange ich in neuen Morgenstunden das Blut, das sich in meinen Geist ergießt, erspüre, weiß ich, dass ich nichts versäume, wenn ich mein Sein in Poesie verträume. ---
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Nur der fröhliche Mensch allein ist fähig, Wohlgefallen am Guten zu finden. (Kant) Geändert von Narvik (19.05.2014 um 07:03 Uhr) |
03.05.2014, 09:33 | #2 |
Senf-Ei
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Lieber Narvic,
vier flotte Stanzen zu einem so lustigen Gedicht vereint zu lesen, ist wirklich eine Freude! Einen besseren Muntermacher kann ich mir gar nicht wünschen. Danke für diesen Leckerbissen! Jetzt kann der Tag beginnen. Und sollte mich irgendein Zipperlein erwischen, werde ich an Dein Gedicht denken und versuchen, nicht zu jammern. Liebe Grüße Claudi |
03.05.2014, 12:46 | #3 |
verkannt
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Wir hatten auch noch nicht das Vergnügen uns hier zu treffen, von daher sei gegrüßt Narvik.
Ich finde es wirklich gut, dass sich einige User hier gerade entschieden haben mal den Staub aus ihren Inselferienhäusern zu kehren, ist immer wieder schön mal Zeilen aus anderer Hand zu lesen. Da mir heute aufgrund ungewohnter Aktivitäten jeder Knochen im Leib schmerzt, passen deine Zeilen wie die Faust aufs Auge. ;-) Direkt in der ersten Zeile schwankt mir hier irgendwie Goethes Faust entgegen und ich kann mir denken dass es wahrscheinlich einiges an Durchhaltevermögen bedarf die vorgegebene Form so strikt durchzuhalten. In Zeile drei fällt es mir ein wenig schwer im Lesefluss zu bleiben, ansonsten ich finde dieses Gedicht gut umgesetzt und mir gefällt die Leichtigkeit und der Humor mit dem deine Worte sich mit unseren Zipperlein und Leiden befasst ohne das es jammernd wirkt. Gern gelesen. Einen lieben Gruß C.
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© auf alle meine Texte „Mir gefiel der Geschmack von Bier, sein lebendiger, weißer Schaum, seine kupferhellen Tiefen, die plötzlichen Welten, die sich durch die nassen braunen Glaswände hindurch auftaten, das schräge Anfluten an die Lippen und das langsame Schlucken hinunter zum verlangenden Bauch, das Salz auf der Zunge, der Schaum im Mundwinkel.“ Dylan Thomas Geändert von Cebrail (03.05.2014 um 12:48 Uhr) |
03.05.2014, 16:18 | #4 |
TENEBRAE
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Hi, Narvik!
Formidabel (aus)gestanzt! Bei den "schwankenden Gestalten" musste ich unmittelbar an Goethes Vorwort zum Faust denken: "Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,...", einem der wunderbarsten seiner Gedichte, auch wenn die Thematik dort eine ganz andere ist! Hier geht ein offenbar ziemlich hinfälliges LyrIch doch recht heiter, mit etwas Zynismus kokettierend, mit seinen Gebrechen ins Gericht. Versöhnlich der harmonisch-philosophische Ausklang. Sehr gern gelesen! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
04.05.2014, 09:17 | #5 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Claudi,
ich freue mich, dass ich dir den Start in den Tag verschönern konnte, dann hat mein Gedicht sein Ziel erreicht. Es sollte zeigen, dass niemand den Mut sinken lassen sollte, egal wie schlimm es auch kommt. Irgendwie geht es immer weiter. Danke für deine netten Worte. Herzliche Inselgrüße Narvik --- Hallo Cebrail, ich grüße dich auch. In der letzten Zeit ist hier wieder etwas mehr los. Leider bin ich aber noch nicht wieder in der alten Form,. Das Dichten bereitet mir zwar nach wie vor ungeheure Freude, doch es fällt mir sehr schwer, brauchbare Zeilen zu schreiben. Du hast es richtig erkannt, Herr Faust lässt hier grüßen, das war auch so beabsichtigt. Ich gebe zu, dass ich eine Weile für diese Stanzen gebraucht habe. Zeile drei werde ich ein wenig umstellen. Vielleicht magst du mir noch eine Rückmeldung geben, ob sie sich dann besser lesen lässt. Manchmal beschummelt man sich selbst und die eigene Lesart spielt einem einen Streich. Auch dir sei gedankt für deinen wohlwollenden Kommentar. Herzliche Inselgrüße Narvik --- Hallo Erich Kykal, danke für das Lob, ich habe mich auch sehr bemüht, die Zeilen auszustanzen. Auch du hast die Anspielung auf Goethes Faust richtig erkannt. Ich stimme dir zu, dass diese Zueignung eines der schönsten Gedichte vom alten Meister ist. Als mir vor vielen Jahren die Bedeutung seiner Zeilen klar geworden ist, habe ich ein paar Tränchen zerdrückt. Das war ganz große Lyrik. Mein Gedicht verarbeitet tatsächlich die Gebrechen des Alters. Man muss sie mit Humor nehmen, sonst bringen sie um. Das wird zwar früher oder später ohnehin geschehen, doch besser wäre später. Schönen Dank für deine freundliche Antwort. Herzliche Inselgrüße Narvik
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Nur der fröhliche Mensch allein ist fähig, Wohlgefallen am Guten zu finden. (Kant) |
04.05.2014, 12:22 | #6 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Narvik,
den Faust im Altersheim spielen zu lassen, ist sehr lustig. Überhaupt ist Humor sicher der beste Weg, mit der Situation fertig zu werden. Dazu noch dein Rezept: Gedichte schreiben. Dann geht es einem wieder gut. Hat mir sehr gefallen. Viele Grüße poetix
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Lineam rectam sequere |
04.05.2014, 20:51 | #7 |
Gast
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Hallo Navik
Auch wenn der Körper schon fast den Geist aufgibt, bist Du frohen Mutes.
Dein Gedicht ist trotz der Länge, die diese Reimform wohl hat, nie langweilig. Ich habe so noch nie gedichtet. Mit Interesse an dieser Dichtform, und Hut ab bei den beschriebenden Krankheiten, ( ich bin auch schon älter, da weiß ich was auf mich zukommt) da ist Dir ja eine Menge eingefallen Liebe Grüße sy |
05.05.2014, 06:48 | #8 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo poetix,
die Lyrik ist glücklicherweise etwas, das man bis ins hohe Alter ausüben kann, sofern der Geist noch mitspielt. Und wenn ein schönes Gedicht gelingt, und sich auch noch andere daran erfreuen können, dann ist das schon eines der wenigen, kleinen Erfolgserlebnisse, die noch bleiben. Hab Dank für deine freundlichen Worte. Herzliche Inselgrüße Narvik --- Hallo syranie, die Hauptsache ist, dass der Geist frisch bleibt. Diese Reimform mag ich sehr, vielleicht magst du das ja auch einmal versuchen. In jüngeren Jahren habe ich ganze Balladen geschrieben, die ich aber hier gar nicht mehr vorstellen mag. Ich wünsche dir, dass du von all diesen beschriebenen Sachen verschont bleiben mögest. DAnke für deinen wohlwollenden Kommentar. Herzliche Inselgrüße Narvik
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Nur der fröhliche Mensch allein ist fähig, Wohlgefallen am Guten zu finden. (Kant) |
06.05.2014, 07:03 | #9 |
Kiwifrüchtchen
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Lieber Narvik,
fein gebastelt, prima gelungen; trotz aller Unpässlichkeiten kein Klagelied und kein bisschen wehleidig. Ich applaudiere Deinem LI zu seinem Optimismus und Humor, die mich zu ein paar Zeilen inspiriert haben: Ein 'alter Zausel' hätte das geschrieben? Und wenn schon - frühlingsfrisch ist sein Humor, drum ist er auch im Herzen jung geblieben, sein Geist ist scharf und rege wie zuvor. Er schweigt diskret, was er bei Nacht getrieben, doch munkelt man, er ließe gern vor Tor- schluss hübsche Puppen 'oben ohne' tanzen, und uns hier macht er weis, er schreibe Stanzen. Ich war sehr gerne hier zu Besuch. LG von Lailany
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.................................................. ........................................... "Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal Geändert von Lailany (06.05.2014 um 08:55 Uhr) |
06.05.2014, 15:29 | #10 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Lailany,
ich freue mich, wenn dir meine kleine Stanzerei gefallen hat. In Selbstmitleid zu baden hat noch nie richtig geholfen. Natürlich kann man sich auch nicht immer am eigenen Schopf aus dem Sumpfe ziehen, aber wenn man den Mut nicht verliert, dann ist das schon einmal die halbe Miete. Vielen Dank für deine Antwortstanze. Die Puppen tanzen lassen, überlasse ich allerdings (gezwungenermaßen) den anderen. Das ist bei mir so ähnlich wie in der Muppet Show. Da sitze ich wie Statler und Waldorf in der Loge und mache mich lieber lustig. Danke für Kommentar und Antwortgedicht. Herzliche Inselgrüße Narvik
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