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22.10.2020, 09:54 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 15.04.2010
Beiträge: 294
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Die des Lebens ...
Die des Lebens Überdrüssigen
kratzten sich an ihren Köpfen, schon jahrelang, von Minute zu Minute, machten es sich nicht leicht, gruben die Nägel tief in die Haut. Sie grübelten, worüber sie gedacht. Die Oberfläche auf ihren Köpfen war eine Kraterlandschaft, wie auf dem Mond, nur mit blutiger Kruste. Auch ihr Ersonnenes verkrustete und ihr Haupthaar wich der Verkrustung. Sie dachten, und sie kratzten; oft kratzten sie mehr, als gedacht. Seit zwanzig Jahren schon, kurz nach Mitternacht, sagte sie: “Wieder ein Tag weniger im Leben.” Er antwortete jedes Mal: “Ein Tag mehr.” Schweigend gab sie ihm dann immer einen Kuss auf die Stirn und trottete ins Schlafgemach. Er folgte eine halbe Stunde später. Da schlief sie bereits. Er hatte Suizidgedanken. Nachts trug er zuweilen fantastische Krawatten, gefertigt aus selbsterlegter Klapperschlange, die Rassel dazu verdeckt im Saum. Seine Schuhe waren krokodilledern, das Jagdmesser mit Griff vom Elfenbein aus reinen Gedanken. Sie waren lichtscheu wie blutrünstige Vampire. Eines Morgens am Frühstückstisch blätterte sie gelangweilt wie immer in der Tageszeitung. Er schlurfte seinen Rheumatee. Plötzlich fing sie an etwas höhnisch zu lachen, sah von der Zeitung auf in Richtung ihres Gatten und sagte: „Oh, eine neue Sex-Studie. Demnach haben die Deutschen vier bis sechsmal die Woche Geschlechtsverkehr. Und wir? Garni…“ Er fiel ihr ins Wort: „Daran kannste mal wieder erkennen, dass diese Studien nichts taugen.“ Gleichzeitig verabscheute er es, wie sie sich in letzter Zeit gegenseitig hirnlos in ihre Köpfe schossen. Am Nachmittag zeigte die alte Linde vor ihrem Fenster sich angeschlagen – mehr ein Baum wie ein Mann als ein Mann wie ein Baum, warf sie ihnen beim Lüften ein letztes Blatt auf den Küchentisch wie ein Boxer das Handtuch. Abends haben sie die Gebrochene hereingeholt an ihren Kamin. Nachdem der Alte einige Stunden ins Feuer geschaut und einige Flaschen Wein geleert hatte durchbrach er plötzlich die knisternde Stille im Raum und sprach so laut, dass seine schläfrig im Sessel sitzende Frau aufschreckte. Er sagte: „Ich will nicht, dass du mich feuerbestatten lässt und alle zum Leichenschmaus berufenen leibeigenen Mikroben um ihr Erbe gebracht werden.“ Sie drehte ihren Kopf weg und döste weiter. Seine Asche war längst besiegelt. Sie wollte sich einen Diamanten draus fertigen lassen.
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"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne so, als hätten wir alles im Blick." (Fenek) Geändert von Fenek (22.10.2020 um 15:10 Uhr) |
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