02.12.2009, 22:23 | #1 |
Gelegenheitsdichter
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Ein Gebet
Ein Gebet
Ich spreche, Herr, jetzt ein Gebet. Wie es mir geht ist obsolet. Auf Deinem Stuhl da siehst Du alles, Jedoch, im Falle jenes Falles, Dass Du vor lauter Mord und Totschlag Die ganze Woche, auch am Sonntag, Die Petitessen übersiehst, Wovon mein Herz grad überfließt, Sag ich Dir doch, woran’s hier klemmt Und meine Lebensfreude hemmt: Die Welt ist schlecht, das sag ich Dir. Du bist zu lange nicht mehr hier Gewesen und hast aufgeräumt. Ich habe gestern laut geträumt Ein wenig von dem Paradiese, Mit warmer Sonne, grüner Wiese, So ohne Not um’s täglich Brot, Der Nachbar nicht so’n Idiot, Die Kinder lieb und ausgeruht, Das Aufstehn leicht, die Stimmung gut, Der Nachtschlaf tief und ohne Sorgen, Dasselbe auch am nächsten Morgen: Es wäre schön, das hier zu sehn. Ich weiß, Herr, Gott, das wird nicht gehn. Nun ist es raus und mal gesagt. Die Klage schrumpft, wenn man sie klagt Und einer zuhört einfach so. Ich bin erleichtert, zwar nicht froh Und danke Dir jetzt für Dein Ohr. OK, Herr, es kommt nicht mehr vor. Ich überlass Dich all den Dramen, Die mir die Lebensfreude nahmen. Die Arbeit ruft, Herr. Tschüss dann! Amen!
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Dichtung zu vielen Gelegenheiten -
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25.02.2010, 18:08 | #2 |
ADäquat
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Lieber Walther,
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26.02.2010, 20:27 | #3 |
Gelegenheitsdichter
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Lb. Chavali,
habe ich gesagt, daß dieses Gebet "ernst" gemeint ist? Ich glaube viel mehr, der Betende möchte so den einen oder anderen Beter ein wenig persiflieren. Vielleicht will er uns auch nur den Spiegel vorhalten, den Hinweis geben, wir sollten uns nicht so wichtig nehmen? Also, wenn ich den Herrgott richtig einschätze, dann hat er das gelesen und sich amüsiert. Und wenn er sich nicht amüsiert, dann würde er genau den nach Mottenkugeln riechenden pietistischen Betschwestern und -brüdern sowie den katholischen Zölibatsverteidigern und Kindesmißbrauchsverschleierern gleichen, die sein eigener Sohn damals mit der Peitsche aus dem Tempelbezirk getrieben hat. Und das wiederum kann ich nicht glauben (und sollte niemand ernstlich glauben [machen] wollen). Wie gesagt: Es ist alles eine Frage des Blickwinkels. Ich sage einfach einmal, daß das LyrIch ein zutiefst gläubiger Mensch ist, der einmal gesagt hat, wie man es vielleicht am besten nicht sagen sollte. Und wie man seine Erwartungen realistisch und bescheiden einschätzt, bevor man zum Gebet anhebt. Also: Was sollte ich damit erklärt haben, was hier nicht schon stünde? Höchstens, daß der Glaube mit Humor und mit Ironie genau dann gut zusammengeht, wenn man sich nicht zu wichtig nimmt. Wer hat also das Problem hier: Gott, der Autor, sein BetIch, der Leser? Vier alle, um Otto zu zitieren? Danke + Gruß W.
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mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt Alle Beiträge (c) Walther Abdruck von Werken ist erwünscht, bedarf jedoch der vorherigen Zustimmung und der Nennung von Autor und Urheberrechtsvorbehalt Geändert von Walther (26.02.2010 um 20:29 Uhr) |
26.02.2010, 20:57 | #4 |
Slawische Seele
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Lieber Walther,
ich denke, der Herr, wenn er deinem lyr.Ich ein Ohr geschenkt hat, hat sich gut unterhalten und war vielleicht ein wenig stolz auf diesen "Anbeter". Nichts, was uns an Üblem geschieht, ist von Gott gewollt oder gemacht. Das können wir Menschen allein am besten. Die Ironie des uns vorgesetzten "Irrglaubens" kommt gut 'rüber. Nächstenliebe predigen und Nächstenliebe praktizieren sind zwei Welten. Wir sollten uns geschlossen für die zweite entscheiden - Amen. Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
28.02.2010, 15:45 | #5 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Walther,
ich habe mich mal belehren lassen, dass Männer klagen um zu lösen und Frauen meckern um es einfach loszuwerden. Ob das so stimmt bezweifle ich, aber dass wir alle immer alles so haben wollen, dass wir zufrieden sein können ist verständlich. Und wir haben die Erlaubnis zu meckern. Ein Gebet ist ein Schlüssel, eine Hilfe, ein Ort, eine innerer Einstellung zu sich selbst und dem Glauben im Leben, wie auch noch mehr. Ich glaube, viele nehmen das Gebet als Lösung, als Notgriff, um später dann doch beim Psychologen 200 Euro die Stunde liegen zu lassen. Im Leben erfahren wir uns, weil wir uns die Grenzen geben, genau so wie Probleme und Lösungen zusammen mit dem Schicksal, dass wir erklären könnten, aber so nie bis zu einem gewissen Punkt müssten. Vertrauen ist wichtig und ein Gebet ist dabei nicht die Kontrolle, sondern eine Möglichkeit sich bewusst zu werden. Mir gefällt die Ansicht deines lyr. ichs in diesem Stück. Es klingt reif, aber ehrlich. Gebete sind keine Problemlöser, sie sind beruhigend und auf sich zurückzuführen. Gerne gelesen. Liebe Grüße f.D., Sebastian
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Habe einen Vogel der die Tassen im Schrank wieder aufstellt dessen Schrauben locker sind. |
01.03.2010, 16:27 | #6 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Werther Walter,
ein tolles Werk mit unverbrauchten Reimen hast du uns da aufgetischt - wo gibts die nur? Ich scharre vor Begeisterung mit den Füßen unterm Schreibtisch, auch weil du bei all deinen Ausführungen den philosophischen Tiefgang nicht vernachlässigst hast. Für ein Kindergebet ist es vielleicht ein klein wenig zu lang, dafür ist die Konklusion im letzten Satz um so besser geraten. Benedikt von Nursia hätte sich sicher verbeugt. Taschentuchbeschäftigt winkt der Hans
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chorch chorch |
01.03.2010, 19:59 | #7 |
Gelegenheitsdichter
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Liebe Dana,
danke für Deine Gedanken. In der Tat blasen meist wir selbst uns so furchtbar auf, dass ein Sturm ausbräche, würde man uns die Luft ablassen. Einbrocken tut der Mensch sich die Suppe immer selbst. Danach begibt er sich auf den Weg, andere zu suchen, die sie am besten für ihn, mindestens aber mit ihm auslöffeln. LG W. Lb. falscher denker, in der Tat denkt der Mensch, man könne andere für den eigenen Mumpitz verantwortlich machen. Der liebe Gott bietet sich für eine solche Klage an. Nun ist der Dialog mit sich (und seinem Gott, wobei dieser eher Katalysator als Anwesender ist) durchaus selbstreinigend - wenn man sich darauf einläßt. Und damit wird ein Gebet zu dem, was es im Kern ausmacht: Über sich und seine Probleme unter Distanzgewinnung lauthals nachzudenken. Viele Antworten auf die nicht gestellten Fragen kennt man ja bereits - aber so kommen sie leichter über einen. Danke und Gruß W. Lb. Hans, bei Dir weiß ich immer nicht so recht, wie Du's gerade meinst. Nehmen wir es heute mal als Kompliment. Denn das liebt der Dichter bekanntlich am meisten - auch wenn er stets ganz Anderes behauptet. Danke und Gruß W.
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03.03.2010, 23:20 | #8 |
Lyrische Emotion
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Hallo Walther,
du hast Recht, so ein Gebet kann dem Betenden einiges klar machen. Allerdings habe ich den Eindruck, daß sich viel zuviele gläubige Menschen, egal welcher Religion, auf so ein Gebet zu sehr verlassen. Der liebe Gott wird es schon richten, denn es ist ja alles so von ihm gewollt. Im Ernst, ich glaube auch, daß "er" sich über diese Art von Gebet amüsieren kann. Wie du schon sagtest, man darf sich selbst nicht zu ernst nehmen. Und wenn dabei dann noch ein paar sozialkritische Aussagen in einem Text herüberkommen, umso besser. Also, gelungen, wie ich finde. Schlicht und einfach, aber auf den Punkt bringend. Amen. Ah so, ich fand das Gedicht inhaltlich so gut, es hat mich zu einem Antwortgedicht inspiriert, was ich nochmal überarbeiten und dann einstellen werde. Aber nur, wenn du dies gestattest. Gerne gelesen und kommentiert... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
04.03.2010, 16:12 | #9 |
Gelegenheitsdichter
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Lb. Falderwald
sich inspirieren zu lassen, ist gestattet. LG W.
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