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Alt 14.06.2014, 19:49   #1
Sidgrani
Von Raben umkreist
 
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Registriert seit: 27.12.2009
Ort: Am Niederrhein
Beiträge: 1.053
Standard Die Tiefe

Zur Mitte des Flusses in dunkelster Nacht,
das Mondlicht kann sie nicht erhellen,
begibt sich ein Mädchen, das lang nicht gelacht,
vom Leben zum Tod in den Wellen.

Sein Schutzengel kämpfte, doch ist es zu spät,
es rinnen die letzten Minuten,
zu spät auch der Junge, der bettelt und fleht,
sein Rufen hallt über die Fluten.

Als hätte das Mädchen noch Hoffnung gehegt,
verharrt es, schaut rückwärts und lächelt.
Die Flut will es haben, sie brodelt erregt,
das Scheusal, es wälzt sich und hechelt.

Die Wesen dort oben, sie sind ihm verhasst,
darum lässt es nicht mit sich handeln;
und ist so ein Menschlein erst einmal gefasst,
dann soll es im Fluss mit ihm wandeln.

Ein Wink an die Schergen, sie strömen herbei
und zerren an Beinen und Armen.
Der Mond kann nicht helfen, ein gurgelnder Schrei,
das Wasser hat niemals Erbarmen.

Dem Mädchen wird leichter, jetzt ist es egal.
„Du Schöne, gleich geht es dir besser.
Willkommen, nun füge dich deinem Gemahl -“
und tosend schließt sich das Gewässer.




Alte Version

Zur Mitte des Flusses in dunkelster Nacht,
das Mondlicht kann sie nicht erhellen,
begibt sich ein Mädchen, das lang nicht gelacht,
vom Leben zum Tod in den Wellen.

Sein Schutzengel kämpfte, doch ist es zu spät,
es rinnen die letzten Minuten,
zu spät auch der Junge, der bettelt und fleht,
sein Angstschrei hallt über die Fluten.

Als hätte das Mädchen noch Hoffnung gehabt,
verharrt es, schaut rückwärts und lächelt.
Die Flut will es haben, sie wallt und sie schwappt,
das Scheusal, es wälzt sich und hechelt.

Die Wesen dort oben, die sind ihm verhasst,
drum lässt es auch nicht mit sich handeln;
und ist so ein Menschlein erst einmal gefasst,
dann soll es im Fluss mit ihm wandeln.

Ein Wink an die Schergen, sie strömen herbei
und zerren an Beinen und Armen.
Der Mond kann nicht helfen, ein gurgelnder Schrei,
das Wasser hat niemals Erbarmen.

Dem Mädchen wird leichter, jetzt ist es egal.
„Du Schöne, gleich geht es dir besser.
Willkommen, nun füge dich deinem Gemahl“ -
und über ihm schließt das Gewässer.
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"Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch"

»Erich Kästner«

Geändert von Sidgrani (15.06.2014 um 14:18 Uhr) Grund: Anregungen von eKy
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Alt 14.06.2014, 20:30   #2
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Beiträge: 8.570
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Hi, Sid!

Eine gar schaurige Moritat! Erinnert an Lorelei und Konsorten! Gut gemacht!

Ein paar stilistische Feinheiten, die meines Erachtens der Gesamtwirkung zugute kämen, erlaube ich mir vorzuschlagen:


Zur Mitte des Flusses in dunkelster Nacht,
das Mondlicht kann sie nicht erhellen, Seltsame Betonung von "kann sie" im Takt. Alternative: "kein Mondlicht vermag sie zu hellen"
begibt sich ein Mädchen, das lang nicht gelacht,
vom Leben zum Tod in den Wellen. Sehr schön formuliert!

Sein Schutzengel kämpfte, doch ist es zu spät,
es rinnen die letzten Minuten,
zu spät auch der Junge, der bettelt und fleht,
sein Angstschrei hallt über die Fluten. Der "Angstschrei" klingt unlyrisch. Alternative: "Sein Rufen hallt..."

Als hätte das Mädchen noch Hoffnung gehabt, Schöner: "...noch hoffen gewollt,"
verharrt es, schaut rückwärts und lächelt.
Die Flut will es haben, sie wallt und sie schwappt, "...und sie rollt,"
das Scheusal, es wälzt sich und hechelt.

Die Wesen dort oben, die sind ihm verhasst, Stilistisch sauberer: "..., sie sind ihm..."
drum lässt es auch nicht mit sich handeln; Das "drum" ist als Verkürzung nicht falsch, wirkt aber bei solch lyrisch schwerer Kost zu locker. Besser: "darum lässt es mit sich nicht handeln;"
und ist so ein Menschlein erst einmal gefasst,
dann soll es im Fluss mit ihm wandeln.

Ein Wink an die Schergen, sie strömen herbei
und zerren an Beinen und Armen.
Der Mond kann nicht helfen, ein gurgelnder Schrei,
das Wasser hat niemals Erbarmen.

Dem Mädchen wird leichter, jetzt ist es egal.
„Du Schöne, gleich geht es dir besser.
Willkommen, nun füge dich deinem Gemahl“ - Rufzeichen nach "Gemahl".
und über ihm schließt das Gewässer. Da fehlt das "sich"! Alternative: "und über ihm schäumt das Gewässer."


Alternative II für die letzte Strophe:
...
"Du Schöne, gleich wirst du noch blasser!
...
und über ihm schließt sich das Wasser.


Sehr gern gelesen und beklugfummelt!

LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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Alt 15.06.2014, 10:24   #3
Chavali
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Hei Sid,

aus welchem Jahr ist denn dein Gedicht?
Das ist schon so professionell gedichtet, dass man kaum an ein Anfangswerk denken kann.

Ein schönes Gedicht!
Auch ohne Erichs Verbesserungen Aber mit natürlich auch

Eine gruselige Geschichte.
Ich hatte auch gleich Goethes Der Fischer im Kopf


Sehr gern gelesen!

Liebe Grüße,
Chavali


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Alt 15.06.2014, 14:29   #4
Sidgrani
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Hei eKy,

einige deiner Vorschläge habe ich - wenn auch etwas abgewandelt - gerne übernommen. Nur für deinen Vorschlag zu "das Mondlicht kann sie nicht erhellen" kann ich mich nicht erwärmen. Da werde ich noch ein Weilchen drüber brüten.

Ich freue mich, dass du dich so in das Kommentieren reingekniet hast und mir die Schwachstellen aufgezeigt hast - und natürlich noch mehr darüber, das dir das Gedicht gefällt.

Lieben Gruß
Sid


Hei Chavali,

das Gedicht ist aus dem Jahr 2011, aber der Grund für die Neueinstellung ist die Überarbeitung gewesen. Schön, dass es im Eiland die Möglichkeit dazu gibt.

Ein ganz klein bisschen Goethe lässt sich tatsächlich erkennen, aber das hätte ich auch ohne sein Zutun hingekriegt.

Danke für die Blumen und einen lieben Gruß
Sid
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»Erich Kästner«
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Alt 17.06.2014, 20:31   #5
Falderwald
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Moin Sid,

das gefällt mir auch ausgesprochen gut, ist es doch ein schauriges und fantastisches Märchen, in das man sich gut hinein denken kann.

Die Geschichte ist spannend und man fiebert dem Ende entgegen. Der Amphibrachys lässt einen wie auf Wellen passend durch die Zeilen reiten und ist konsequent durchgehalten.

Ich hatte bei der "Mondlichtzeile" eigentlich keine Schwierigkeiten beim Lesen, aber als ich Erichs Bemerkung sah, wollte ich plötzlich auch "nicht" betonen.

Was kann ich dazu beisteuern?

Zur Mitte des Flusses in dunkelster Nacht,
das Mondlicht versinkt in den Schnellen, (vielleicht wäre das eine Option zum Weiterdenken?).
begibt sich ein Mädchen, das lang nicht gelacht,
vom Leben zum Tod in den Wellen.


Du kannst es aber auch lassen, wie es ist, denn dein Text hat mir auf jeden Fall gefallen, weil er eine interessante Idee besitzt und dementsprechend anregend und abwechslungsreich ist.


Gerne gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald


__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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Alt 25.06.2014, 15:57   #6
Narvik
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Beiträge: 431
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Hallo Sidgrani,

das ist eine kleine, aber feine Ballade und gekonnt verdichtet. Sie erinnert mich an die alten Klassiker von Schiller und Goethe. So etwas lese ich immer wieder gerne.
Sie ist umgeben von einer geheimnisvollen Atmosphäre und endet ebenso duster, wie sie angefangen hat.
Dein Gedicht hat mir gut gefallen.

Herzliche Inselgrüße

Narvik
__________________
Nur der fröhliche Mensch allein ist fähig, Wohlgefallen am Guten zu finden. (Kant)
Narvik ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.06.2014, 06:57   #7
Sidgrani
Von Raben umkreist
 
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Registriert seit: 27.12.2009
Ort: Am Niederrhein
Beiträge: 1.053
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Hei Falderwald und Narvik,

den Amphibrachys habe ich mir tatsächlich vom alten Goethe abgeguckt, er passt hervorragend zu meiner Ballade. V2 in S1 macht mir, auch beim lauten Lesen, keine Schwierigkeiten, nun ja, ich habe es ja selbst so formuliert.

Ich freue mich, dass euch mein Text gefällt und wünsche einen schönen Sonntag.

Liebe Grüße
Sid
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