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Alt 09.12.2019, 22:47   #1
Thomas
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Standard Thesen zur Poesie

Thesen zur Poesie

Poeten erspüren Dinge, die im Verborgenen ruhen, bzw. dem rationalen Denken nicht zugänglich sind, sie sind Schamanen ähnlich, deren Aufgabe es ist, die Schau der Gottheit, des Kosmos, oder des Seinsgrundes der Menschen zu offenbaren.

Die Äußerungen der Dichter werden zu Poesie, im Unterschied zum Lallen eines Besessenen, Orakels oder Berauschten, jedoch erst durch die Hinwendung zum Nächsten, zu einer Gruppe von Hörern, vielleicht sogar zur ganzen Menschheit, denen sie die geistige Schau wirksam vermitteln. Diese Vermittlung scheint sogar der schwierigere Teil des Unterfangens zu sein und kann nur durch das ernste Spiel mit der strengen Form gelingen.

Bisweilen wird behauptet, die Form beenge den Dichter, die Form müsse daher "frei" sein. Das Gegenteil ist wahr. Das Unsagbare der poetischen Schau ist nur durch die Ambivalenz der Metapher, bzw. einer zielgerichteten Folge von Metaphern, zu vermitteln, wobei sich die Metaphern nicht auf ein rational erklärbares Gleichnis reduzieren lassen. Die Form, der sich der Poet freiwillig unterwirft, ist das notwendige Mittel, mit dem diese Metaphern Gestalt annehmen können. "Das Gesetz nur kann uns Freiheit geben" sagte einst jemand, der sich damit auskannte.

Daraus ergibt sich auch, dass die poetische Ambivalenz nichts mit einer sogenannten Dunkelheit zu tun hat. Diese bisweilen von Rezensenten fälschlich gelobte Dunkelheit ist Beleg dafür, dass es nicht gelungen ist zur Metapher vorzudringen, d.h. dass die poetische Vermittlung fehlgeschlagen ist und nur das bereits erwähnte Lallen vorliegt.

In Poetiken werden die poetischen Formen beschrieben, es handelt sich dabei jedoch nur um Spielregeln, die jeder Poet erweitern kann und soll.

Ein großes Problem der Poesie der Moderne ist der Verlust der Gottheit, des Kosmos und des Seinsgrundes der Menschen. Die Schau des modernen Dichters geht deshalb zwangsläufig ins Leere. Bisweilen wird diese Leere hinter der interessanten Individualität des Poeten verborgen, aber so sehr sich diese auch aufbläht, zum Kosmos kann sie nicht werden. Ohne Schau verliert die Metapher ihre Bedeutung und das Spiel mit der Form wird überflüssig, was die Behauptung erklärlich macht, die Dichtung müsse von der Form befreit sein.

Ich glaube, die Moderne überbewertet das Chaos und übersieht die Bedeutung von den Strukturen universeller "Selbstorganisation", also etwas, was einst Kosmos genannt wurde. Deshalb denke ich, dass die Poesie die Modere durch- und überleben wird.
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© Ralf Schauerhammer

Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller
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