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#8 |
TENEBRAE
Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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Hi Thomas!
Meine Rede! Ich versuche immer so zu schreiben! Entscheidend sind Sprachfluss und Wortklangmelodie - es muss schwingen, sich wiegen, tanzen ... Takt und Sprachmelodie müssen Hand in Hand gehen, und der klangliche Impetus dem Inhalt angemessen sein. Ich nenne es gern "die lyrische Einheit". Nie darf ein deutlicher moralischer Zeigefinger geschwungen werden, nie darf doziert, belehrt und geschulmeistert werden, noch nicht mal geklugscheißert! Die Conclusio muss den Leser überraschen, ein Aha-Erlebnis bieten - oder den Text zumindest sinnvoll zusammenfassend und sprachlich elegant abrunden. Hier einige in meinen Augen wirklich geniale Conclusios von Rilke: Aus dem Stundenbuch, Teil III Denn sieh: sie werden leben und sich mehren und nicht bezwungen werden von der Zeit, und werden wachsen wie des Waldes Beeren den Boden bergend unter Süßigkeit. Denn selig sind, die niemals sich entfernten und still im Regen standen ohne Dach; zu ihnen werden kommen alle Ernten, und ihre Frucht wird voll sein tausendfach. Sie werden dauern über jedes Ende und über Reiche, deren Sinn verrinnt, und werden sich wie ausgeruhte Hände erheben, wenn die Hände aller Stände und aller Völker müde sind. Letztes Sonett an Orpheus Stiller Freund der vielen Fernen, fühle, wie dein Atem noch den Raum vermehrt. Im Gebälk der finstern Glockenstühle lass dich läuten. Das, was an dir zehrt, wird ein Starkes über dieser Nahrung. Geh in der Verwandlung aus und ein. Was ist deine leidendste Erfahrung? Ist dir Trinken bitter, werde Wein. Sei in dieser Nacht aus Übermaß Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne, ihrer seltsamen Begegnung Sinn. Und wenn dich das Irdische vergaß, zu der stillen Erde sag: Ich rinne. Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin. Der Schwan Diese Mühsal, durch noch Ungetanes schwer und wie gebunden hinzugehn, gleicht dem ungeschaffnen Gang des Schwanes. Und das Sterben, dieses Nichtmehrfassen jenes Grunds, auf dem wir täglich stehn, seinem ängstlichen Sich-Niederlassen - : in die Wasser, die ihn sanft empfangen und die sich, wie glücklich und vergangen, unter ihm zurückziehen, Flut um Flut; während er unendlich still und sicher immer mündiger und königlicher und gelassener zu ziehn geruht. Römische Fontäne Zwei Becken, eins das andere übersteigend aus einem alten runden Marmorrand, und aus dem oberen Wasser leis sich neigend zum Wasser, welches unten wartend stand, dem leise redenden entgegenschweigend und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand, ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend wie einen unbekannten Gegenstand; sich selber ruhig in der schönen Schale verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis, nur manchmal träumerisch und tropfenweis sich niederlassend an den Moosbehängen zum letzten Spiegel, der sein Becken leis von unten lächeln macht mit Übergängen. Der Fremde Ohne Sorgfalt, was die Nächsten dächten, die er müde nichtmehr fragen hieß, ging er wieder fort; verlor, verließ -. Denn er hing an solchen Reisenächten anders als an jeder Liebesnacht. Wunderbare hatte er durchwacht, die mit starken Sternen überzogen enge Fernen auseinanderbogen und sich wandelten wie eine Schlacht; andre, die mit in den Mond gestreuten Dörfern, wie mit hingehaltnen Beuten, sich ergaben, oder durch geschonte Parke graue Edelsitze zeigten, die er gerne in dem hingeneigten Haupte einen Augenblick bewohnte, tiefer wissend, dass man nirgends bleibt; und schon sah er bei dem nächsten Biegen wieder Wege, Brücken, Länder liegen bis an Städte, die man übertreibt. Und dies alles immer unbegehrend hinzulassen, schien ihm mehr als seines Lebens Lust, Besitz und Ruhm. Doch auf fremden Plätzen war ihm eines täglich ausgetretnen Brunnensteines Mulde manchmal wie ein Eigentum. Diese letzte ist meine absolute Lieblingsconclusio! Das liest sich in einem durch, findet doch Rhythmus, schmiegt sich erst ins Ohr, dann an die Seele, kitzelt Herz wie Verstand! In der fast lapidaren Beiläufigkeit der inhaltlichen Aussage kommt so viel zum Tragen, soviel Liebe für's Detail zum Ausdruck: Die geradezu buddhistische Gleichmut, mit der dieser der Heimat fremd Gewordene die Welt bereist und durch ein besitzloses Leben geht, das gerade darum ALLES besitzen kann, was es sieht - auf eine Weise, die sich nur dem Weisen erschließt. Absolut genial! ![]() LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. Geändert von Erich Kykal (31.03.2017 um 15:30 Uhr) |
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