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Alt 27.12.2021, 20:11   #1
Thomas
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Standard Computerglaube

Computerglaube
oder
Die Geschichte von der verlorenen Rechenkunst


Ich möchte Ihnen etwas erzählen, das mich eine ganze Weile beschäftigt hat. Kürzlich sprach ich nämlich mit jemandem, den ich seit vielen Jahren recht gut kenne. Normalerweise ein ruhiger Mensch, aber er erschien mir nervös. Als ich ihn fragte, was los ist, sagte er nur: "Ich kann es einfach nicht fassen, was gerade abläuft, ich komme mir vor wie im Irrenhaus."

"Naja, das ist wieder eine deiner Übertreibungen." sagte ich lächelnd. Aber er blieb ernst.

"Ich kann es dir gar nicht alles erklären. Mir geht viel durch den Kopf. Ein Problem ist die naive Zahlengläubigkeit. Weil keiner mehr selber rechnet mit Bleistift und Papier! Wer kann das noch? Kannst du dich erinnern, als rechnen noch 'Arbeit' war? Man hat einfach, weil es Arbeit war, unnötige Nachkommastellen weggelassen. Heute tippt man etwas in den Computer uns glaubt an die fünf Nachkommastellen, obwohl die Ausgangsdaten Natürliche Zahlen wie 1,2,3 sind."

"Naja, so schlimm ist das nicht..."

"Doch! Es geht ja weiter. Dieser blinde Glaube an Rechenmodelle! Alles wird kritiklos geschluckt, wenn es nur aus einem 'Expertenmodell' kommt!"

Ich versuchte zu widersprechen, vergeblich.

"Ich habe es doch selbst erfahren. Als junger Spund habe ich mit ein paar Mathematikern zusammen mit tollen Differentialgleichungen ein ökonomisches Rechenmodell entwickelt. Dabei merkte ich, wie schwierig es war das Ding überhaupt stabil zu halten und wie kleinste Veränderung an den Parametern – d.h. kleinste Veränderungen in den impliziten Annahmen – die Ergebnisse hoch und herunter schießen ließen. Und dann sah ich die 'Wirtschaftsexperten' wie sie mit meinem hypersensiblen Rechenmodell die tollsten Vorhersagen machten und diese im Brustton der Wissenschaftlichkeit verkündeten. Irgendwann hat es mir gereicht und ich habe mit einigen simplen Argumenten gezeigt, was für ein Unsinn sie da treiben."

"Und?"

"Es hat keinen Effekt gehabt, nur einig Leute haben fortan nicht mehr mit mir gesprochen. Ich war für sie einfach nicht mehr da."

Ich wurde nachdenklich, verstand aber nicht, was er damit sagen wollte, was das mit heute zu tun hat.

"Ich habe es doch gesagt. Diese ignorante Zahlen- und Computergläubigkeit! Eigentlich ist es nichts Neues. Malthus hat ja schon den Unterschied von arithmetischer und geometrischer Reihe benutzt, um die Leute in Bockshorn zu jagen. Und dann das lächerliche 'Weltmodell' des Club of Rome! Der gleiche Trick! Dann kamen die Klimamodelle, die zur Grundlage einer Pseudo-Wissenschaft wurden..."

Ich war schockiert: "Das kannst du doch nicht ernsthaft behaupten! Das ist Stand der Wissenschaft und ökonomische Entscheidungen über Milliarden von Euro werden auf Basis der Modelle getroffen – du kannst das doch nicht als Pseudo-Wissenschaft bezeichnen!"

"Ich kann es behaupten, weil es so ist." Sagte er nachdenklich. Wenn du genügend Geduld hast, versuche ich zu erklären, warum."

"Wenn es nur das ist. Geduld habe ich."

Er holte tief Luft: "Also, die Klimaprognose basieren allesamt auf Globalen Zirkulationsmodellen. Die Rechenschleifen der Modelle berechnen Schritt für Schritt aus heuteigen Messdaten und hunderten von Parametern, welchen unbewiesene Annahmen zugrunde liegen und mit denen man 'spielen' kann, ein Ergebnis in der Zukunft. Dabei muss aber gar nicht absichtlich mit Parametern manipuliert werden. Die Modelle sind einfach für den Zweck, den sie erfüllen sollen, selbst beim besten Willen nicht tauglich."

"Du willst mir doch nicht weiß machen, dass diese Modelle, die ja allgemeiner Konsens sind..."

"Du hast gesagt, dass du Geduld hast." fuhr er unbeirrt fort. "Du warst bei den Pfadfindern?"

"Ja, aber was hat das damit zu tun?"

"Gut, dann kennst du sicher die Übung, dass deine Gruppe mit einem Kompass eine Richtung vorgeben bekommt in der das Ziel liegt, sagen wir genau in westlicher Richtung in genau 10 km Entfernung. Das Ziel war meist ein Kirchturm oder ein Bauernhaus."

"Ja, das kenne ich. Da man nicht so weit blicken kann, wählt man Zwischenziele, an denen man erneut peilt. Wenn ich es richtig erinnere muss man im Durchschnitt in normalem Gelände etwa all 500 Meter neu peilen."

"So etwa ist es, man braucht für 10 km etwa 20 Messungen. Wenn man eine Messfehler von 2 Grad annimmt, dann verfehlt man das Ziel höchstens um 350 Meter."

"Ja, wir konnten das Ziel immer sehen."

"Nun hast du sicher schon gehört, dass Menschen, die bei schlechter Sicht unterwegs waren, z. B. im Schneesturm, im Kreis gingen."

"Ja, weil sie die Orientierung verloren haben."

"Stell dir nun vor, ihr bekommt bei den Pfadfindern nachdem ersten Peilung den Kompass weggenommen."

"Das ist gemein."

"Was könntest du tun?"

"Wir könnten trotzdem peilen, wenn die Gruppe mindesten 3 Mann hat."

"Nun zwei sind keine Gruppe."

Wir mussten über unsere Debatte kurz lachen, aber dann fuhren wir ganz ernsthaft fort. Ich teilte drei Personen 1, 2 und 3 ein. 1 stand am Ausgangspunkt, 2 ging zu dem ersten angepeilten Punkt. Dann ging 3 so weit, dass er 1 und 2 gerade noch sehen konnte und postierten sich in der Verlängerung der Linie von 1 und 2. Danach übernahm 1 die Rolle von 3 und dann 2 und so weiter. Siehst du, auf diese Weise können wir die vorgegebene Richtung über die erste Messstrecke hinaus beliebig verlängern, bis wir in 10 km am Ziel ankommen."

Mein Gegenüber war zufrieden: "Nun lasst uns überlegen, wie das mit der Messgenauigkeit ist. Liegt ihr auf diese Weise auch höchstens 350 Meter daneben?"

Ich hätte fast spontan gesagt: "Natürlich!" Aber ich überlegte vorsichtshalber genauer, ich wusste ja, dass er etwas über die Genauigkeit von Klimamodellen erklären wollte. Was war der Haken bei der Sache? Ich murmelte vor mich hin: "Also, ich kann davon ausgehen, dass die Peilung auch nur einen Fehler von 2 Grad hat."

"Sicher, das können wir. Und ist das alles?"

Nein, wahrscheinlich nicht. Mir fiel der Wanderer im Schneesturm ein und mir wurde plötzlich klar, worauf es ankam. Ich erklärte ihm, nicht ganz ohne Stolz, dass bei der zweiten Messung ja zusätzlich der Fehler zur Verschiebung der Richtung führt, dass man also im zweiten Schritt annimmt Westen liege 350 Meter neben der wirklichen Richtung. Beim zweiten Schritt ist der mögliche Irrtum also schon 700 Meter. Das wiederholt sich Schritt für Schritt bis zum 20. Schritt, bei dem man dann im ungünstigsten Fall 7 km neben dem Ziel liegt. Das Verfahren ohne Kompass ist also im Grunde unbrauchbar.

Nachdem ich das verstanden hatte, wollte ich meine Geduld nicht überstrapazieren und fragte: "So, jetzt erkläre mir aber bitte kurz, was das mit den Globalen Zirkulationsmodellen der Klimaforschung zu tun hat. Denn darauf wolltest du doch hinaus."

"Ganz einfach. Die Modelle rechnen nicht nur zwanzig Schritte, sondern Millionen, und selbst wenn der mögliche Fehler in jedem Schritt sehr klein ist, erhält der Nächte immer seine Orientierung durch den vorhergehenden. D.h. der Fehler vergrößert sich Schritt für Schritt, genau wie bei deiner Peilung ohne Kompass. Wenn man das genauer untersucht, ist der potentielle Fehler etwa zehnmal so groß, wie die Veränderungen der Temperatur, die vorausgesagt werden. Verstehst du? Selbst wenn all die vielen implizite Annahmen völlig richtig getroffen wären, bestünde dieses Problem. Wenn du das genau überprüfen willst, dann empfehle ich dir die wissenschaftliche Veröffentlichung von Patrick Frank über 'Propagation of Error and the Reliability of Global Air Temperature Projections' vom 6 Sept. 2019 (doi: 10.3389/feart.2019.00223), da ist es im einzelnen belegt."

"Das hieße ja, dass die Modelle als Werkzeug gar nicht brauchbar sind, wofür sie angewandt werden!"

"Genauso ist es."

"Aber wieso wird das nicht bekannt gemacht?"

"Das habe ich ja schon gesagt. Betrachte dir das 'Weltmodell' des Club of Rome, es ist lächerlich, aber es wurde als große Erkenntnis gefeiert. Die Leute rechnen nicht mehr selbst, sie betrachten nur noch Graphiken. Und wir haben alle ein zu kurzes Gedächtnis."

"Wie das?"

"Naja, das ist es wahrscheinlich nicht. Vielleicht wollen wir lieber eine rechnerische Gewissheit, anstatt der Wahrheit, bei der man sich ja nicht beruhigen kann."

"Jetzt wirst du aber philosophisch!" entgegnete ich schmunzelnd.

"Nimm doch zum Beispiel das Rechenmodell des ' Imperial College COVID-19 Response Team' zur Corona-Entwicklung, welche Anfang 2020 berechnete, dass es in den USA bis Ende Juli 2,2 Millionen Coronatote geben wird, und dass sich die Todeswelle durch Quarantäne-Maßnahmen etc. bis Ende des Jahres strecken ließe. Bis zum 31. Juli 2020 wurden in den USA 151901 Todesfälle an oder mit Corona gemeldet und bis zum 31.Dezember 348388. Die Horrornachricht von 2,2 Millionen Toten wurde wahrgenommen und blieb im Unterbewusstsein hängen. Aber haben Sie davon gehört, dass das Rechenmodell an den realen Zahlen gemessen und korrigiert wurde?"

In der Tat hatte ich seinerzeit von den Prognosen des Imperial College gelesen, aber nachgeprüft hatte ich es auch nicht. "Da muss ich mich an der eigen Nase fassen," gestand ich. Da beschloss ich in Zukunft genauer zu rechnen und zu prüfen und vor allem, andern von dem Gespräch zu erzählen.
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© Ralf Schauerhammer

Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller
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