04.10.2014, 13:40 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Miss Amerika
Miss Amerika
Dir stockt der Atem. Sie erscheint! Du merkst, wo sie auch geht und steht, erstrahlt für sie das Rampenlicht. Wie sie den Kopf zur Seite dreht und huldvoll lächelnd spricht! Wie sie Begehrlichkeit verbreitet, mit jeder Geste, jedem Wort, mit ihrer Zauberkraft es schafft die Attraktion zu sein, die dich und andere betört. Sie fesselt deinen Blick – er würde, würde… Doch plötzlich diese Hürde, sie stößt zurück, weil Dissonanzen sie heraufbeschwört, wie etwas, das fast ungehört sich in die Sinne zwängt, zum Überdenken drängt, dich zwingt, nun nochmals hinzusehen, zu fragen, ob des Kopfes Drehen nicht doch ein wenig eitel ist, ob du in ihren Augen nicht vermisst, was Leben ist und Leben spendet, ob nicht an ihrem Makeup endet, was Grazie von innen her nur spendet – dich zwingt, noch einmal hinzuschauen. Dich packt das Grauen, denn plötzlich siehst du, siehst, wie aus der Haut, aus kleinen Rissen, Vergänglichkeitsermatten sprießt, ein Stoff, der Würmern Nährstoff schafft. Du siehst, dass eine Wunde klafft, die sich nicht übertünchen lässt. Sie ist Fassade, nur ein Rest von dem was einstmals war. Du merkst, die Augen sind sogar nur Fensterrahmen ohne Scheiben, die in Ruinen übrig bleiben. Du stehst versteinert da verstehst nicht, was geschah. Du denkst zurück. War sie nicht einst das Glück, der Menschheit Ideal, die Hoffnung einer bessren Zeit? Ein Leuchtturm, der so zukunftsweit das Licht der Freiheitsfackel trug? So aufgeklärt und klug! Und selbst der Weltraum stand ihr offen! Vor kurzem war es noch, als es dich dünkte, dass sie sich ewig selbst verjüngte. Weil sie ein Ideal regierte, das allen Gleichheit garantierte. Es sagte, jedem sei gegeben das unveräußerliche Recht auf Leben, auf Freiheit und sogar das Streben nach Wohlstand und Glückseligkeit. Es war einmal. So war das Hoffen. Der Glaube schwand, und mit der Zeit bestimmte alles Nützlichkeit und Pragmatismus und Kommerz. Das Ideal verlor das Herz. Es blieb die Hülle, die noch steht, die nur mechanisch weitergeht, weil die Vergangenheit noch treibt, was von dem Damals übrig bleibt; selbst der Kredit ist schon verspielt. Und ihr Verblassen gibt nun Raum für das, was einst der Menschheitstraum für überwunden hielt. Hervor aus dunkler Geisterzeit, aus Gräbern, die schon überwunden geglaubt, erscheinen nun befreit Gespenster aus den schlimmsten Stunden der Menschheit: Dogmen, Hass und Krieg, von Fanatismus angefacht, und mit archaisch, wilder Macht sprengt Fundamentalismus seine Pferde mit Sichelwagen in das Feld, und keine Tugend auf die Erde, die diesen Ansturm hält. Ach, während die Natur versteht, aus allem, was vergeht, eine Neues, Schöneres zu bilden, bleibt, was Kultur und Kunst geboren, wenn es zerfällt, für immer uns verloren, denn die Barbaren und die Wilden zerstören, reißen Stein für Stein der Menschheit Geistestempel ein. Dir stockt der Atem. Sie erscheint! Du merkst, zwar strahlt noch Rampenlicht, doch siehst du ihre Seele nicht und keine Hoffnung mehr. Wer nahm die Zukunft, nahm das Licht? Du fühlst dich matt und leer und träumst, du könntest sie auf Rosenblüten betten, um sie durch Poesie zu heilen, zu erretten.
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller Geändert von Thomas (13.10.2014 um 10:18 Uhr) |
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