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Alt 18.12.2016, 10:43   #1
Angelika
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Standard Trivialroman ohne Titel, 1. Kapitel

1. Kapitel

„Die Amerikaner sollen nur noch fünfzehn Kilometer vor Möglingen sein!“ Der bärtige Knecht atmete schwer. Helga Johannsen hatte ihn ins Nachbardorf geschickt, um etwas über den Vormarsch der Amerikaner zu erfahren. In der Ferne donnerten ein paar Geschütze. Auf dem Hof war es totenstill.

„Reg dich nicht auf, Hinrich, wir werden es überleben“, sagte sie. Sie glaubte an das, was sie sagte. Ihr Hof hatte so vieles überlebt: Revolutionen, Putsche, die Weimarer Zeit. Dass es mit der jetzigen Zeit zu Ende ging, wusste sie schon lange. Der Krieg näherte sich auch dem Dorf Möglingen, und bald würde Frieden sein und die Felder konnten wieder bestellt werden.

In Gummistiefeln und Schürze, so stand sie in der Tür des Hauses. Viel Volk, Flüchtlinge und Soldatentrupps und Plünderer, war in den letzten Monaten vorbeigekommen, jetzt hieß es wachsam sein. Ihre misstrauisch zusammengekniffenen Augen musterten die junge Frau mit dem Kind an der Hand, die gerade den Hof betreten hatte. Eine Flüchtlingsfrau, entschied sie.

„Woher?“, fragte sie.

Die Frau antwortete nicht. Sie öffnete den Mund, wollte etwas sagen, aber ihr fehlte die Kraft zum Sprechen. Helga Johannsen entging es nicht. Das Kind, ein Junge, sah die Bäuerin mit großen schwarzen Augen an.

„Hinrich, führ die Leute in die Scheune. Und bring ihnen den Rest Suppe.“

Sie sah den beiden nach, Mutter und Sohn, als Hinrich sie in die Scheune führte. Sollten sie dort übernachten, Helga Johannsen war kein Unmensch, auch wenn ihr das fahrende Volk, wie sie all die Fremden nannte, die seit kurzem durch Möglingen zogen, nicht sympathisch war.

Helga Johannsen war die Besitzerin des Hofes. Der war, so gut es die Zeiten zuließen, in Schuss. Sie war stolz darauf, dass man im Dorf erzählte, sie habe auch ein gutes Herz. Vor Gott sind wir alle Sünder, sagte sie. Ihr Mann war gefallen, weit weg von Möglingen, in diesem schrecklichen Russland. Aber das Leben musste weitergehen, und nichts war jetzt wichtiger, als klaren Kopf zu behalten.

Nachts klopfte es an ihre Schlafkammer. Hinrich stand vor der Tür. „Kommen Sie, Bäuerin, die Flüchtlingsfrau ...“

Helga Johannsen eilte in die Scheune. Die Flüchtlingsfrau, das sah sie auf den ersten Blick, war tot. Das Kind lag schlafend neben der Toten.

„Trag ihn ins Haus, in die Kammer. Er soll nicht den Anblick der toten Mutter ertragen müssen. Morgen früh fährst du sie in die Stadt. Ich kann sie nicht hier auf dem Hof beerdigen. Falls bis dahin nicht die Amerikaner hier sind.“ Helga Johannsen seufzte.

Die Amerikaner kamen am nächsten Nachmittag. Sie lachten, schimpften und stießen ihre Gewehre ins Stroh. Als sie das Kind sahen, gaben sie ihm Schokolade. Sie hielten es wohl für Helga Johannsens Enkelkind.

„Wie heißt du, mein Kleiner?“ Helga Johannsen beugte sich über das Kind.
„Tobias.“

„Und weiter? Wie heißt deine Mutter?“ Das Kind sah die Bäuerin mit großen Augen an. „Weiß nicht“, sagte es und begann zu weinen.

So kam Tobias auf den Hof der Bäuerin Helga Johannsen.

Die Zeiten wurden wieder besser. Der Hof blühte auf, Tobias kam in die Dorfschule, und er half im Stall. Helga Johannsen hatte drei Pferde, kräftige Ackergäule, mit denen er schon in jungen Jahren recht gut umgehen konnte. Nichts liebte er so sehr wie die Pferde. Er wuchs zu einem stattlichen jungen Mann heran, klug, arbeitsam und freundlich. Obwohl man im Dorf nicht vergaß, dass er ein Fremder war, mochten ihn alle, der Bürgermeister, der Pastor und der Dorfschullehrer. Und alle jungen Hoferbinnen warfen ein Auge auf ihn.

Helga Johannsen baute ihre Hoffnung auf den Jungen. Sie adoptierte ihn, denn eines Tages sollte er den Hof übernehmen, der rechtmäßige Johannsen-Bauer werden.
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